Volkswagen in Zwickau, da glaubte ich bisher als geborener Wessi, hier läuft es gut. Bis ich in die Stadt kam und nun einen anderen Eindruck habe«, sagt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Der Gewerkschafter spricht in einer Halle des früheren VEB Sachsenring. Um ihn herum sind Automobile aus der Vergangenheit ausgestellt, auch der Trabant. Er wurde hier zwischen 1957 und 1991 gebaut. Davor Luxusautos der Firma Horch. Wo einst montiert wurde, werden jetzt überbetrieblich junge Menschen ausgebildet. Deshalb ist der so genannte Blaumann noch nicht verschwunden. Sächsische Aufbau- und Qualifizierungsgesellschaft, kurz SAQ, wird die Einrichtung genannt. Die DGB-Regionsvorsitzende von Vogtland-Zwickau, die geborene Ostdeutsche Sabine Zimmermann, hat ihren Bundesboss ein
eingeladen. Er spricht vor Gewerkschaftern der Region. Sabine Zimmermann wird nicht müde, auf die dramatische Lage in und um Zwickau zu verweisen. Die Gewerkschaftsvorsitzende ist eine Kämpferin. Mehrere Male in der Woche können die Zwickauer in den lokalen Medien lesen, wie diese Frau sich engagiert.In der Bahnhofshalle der Industriestadt Zwickau, heimisch oft Swigge genannt, sitzen aus Metall gegossen ein Bergmann und ein Metallarbeiter. Der Kumpel ist Geschichte. Nach über 680 Jahren wurde der Bergbau 1976 wegen Erschöpfung der Vorräte eingestellt. Die Planwirtschaft der DDR fing eine mögliche Krise ab, Berlin ordnete die Errichtung von Nachfolgebetrieben an. Bis kurz nach der Wende brannte man in Zwickau sogar noch Koks. Der Angereiste erlebt vor dem Bahnhof Tristesse. Das frühere Hotel »Stadt Zwickau« wird seit einem Jahrzehnt nicht mehr betrieben. Das Gebäude verfällt. Die Bahnhofstraße in Richtung historischer City ist im neuen Staat farblich aufgefrischt worden. Es gibt Geschäfte und Cafés, aber kaum Kunden. Wer Zwickau noch aus der DDR kennt, wird überrascht sein, wie sehr diese Kommune mit Transfergeldern optisch zu einem Schmuckstück aufgerüstet worden ist. Die Stimmung war in der DDR schlecht, in der Gegenwart sieht der Chronist auch meist mies gestimmte ältere Menschen. »Es fehlt die Hefe im Teig«, sagt die Gewerkschaftsfrau Sabine Zimmermann, womit sie Jugendliche meint, die in Zwickau weniger zu sehen sind. Sie zuerst schlug Alarm über die Medien. Die Stadt an der Mulde wird jährlich von 1000 jungen Menschen zwischen 15 und 35 verlassen. Über die Schulabgänger sagt sie: »Sie folgen den Lehrstellen.« Gelegentlich flaniert Sabine Zimmermann »bewusst« vom Gewerkschaftshaus in Bahnhofsnähe durch die Fußgängerzone Innere Plauensche Straße zum Kornmarkt oder vor das alte Rathaus mit dem Schumannhaus; sie registriert: » Die Armut nimmt zu, das sieht der genaue Betrachter.« Es gibt dort die »Fleischerei Glück-Auf« und eine Glück-Auf-Apotheke, neu eröffnet wurde eine Gaststätte mit dem bergmännischen Namen »Zum Füllort«. Bergbau ist Tradition. Über den Bergbau-Aktivisten Adolf Hennecke reden die Menschen selten, mehr über die Torwartlegende Jürgen Croy, der in der DDR-Auswahl spielte und für Sachsenring Zwickau. Der Club heißt jetzt FSV Zwickau. In 37 Vereinen Zwickaus wird Fußball gespielt. Einer heißt »SV Glück auf Zwickau«. Auf der Straße hört der Tourist überrascht, dass nicht selten noch mit Glück auf gegrüßt wird.Sabine Zimmermann sieht sich als zuständig für die reale Gegenwart. Sie kann Zahlen aus dem Kopf nennen, weil sie mit ihnen täglich zu tun hat. Diese Fakten hören sich auch aus ihrem Mund positiv an. Im Stadtteil Mosel beschäftigt VW 6.200 Personen, 30.000 Arbeitsplätze bieten die Zulieferer um Zwickau herum. Rund 4.000 Studienplätze sind auf der Westsächsischen Hochschule belegt. Es gibt immer noch Textilbetriebe. Das Ausbesserungswerk der Bahn soll geschlossen werden. In dem gibt es nur noch 236 Arbeitsplätze, früher waren es 3.000. Da hieß es Reichsbahn-Ausbesserungswerk, mit dem Kürzel RAW, und so nennen es die Menschen in Zwickau noch immer. Die Einwohnerzahl sank seit der Wende von 120.000 auf gerade noch 100.000. »Viele Betriebe werden wieder zurück verlegt in den Westen.« Die Regionsvorsitzende beklagt die Einkommensunterschiede zum Westen, es fehlt an Kaufkraft.»Wenn VW in Wolfsburg hustet, hat Zwickau die Grippe. Nun sollen 1000 Passat weniger produziert werden.« Sabine Zimmermann stammt aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Norddeutsche formuliert ohne sächsischen Dialekt sehr bildhaft.»Wenn ich mal Zeit habe durch die Straßen zu gehen, sehe ich viele alte Menschen. Es fehlt die Jugend, die für Innovation steht.« Immer wieder predigt sie in den Gremien der Stadt: »Die Arbeitslosigkeit ist weiblich.« Nach einer Pause: »Frauen befinden sich im toten Winkel der Personalpolitik von Unternehmen.« Die Arbeitslosigkeit erreichte in der Region eine Quote von 20 Prozent. Das sind 40.000 Menschen. 12.000 Frauen und 6.000 Männer sind als Langzeitarbeitslose registriert.Im September 1991 wurde in Zwickau Ostdeutschlands erster Kreis des DGB gegründet. Schaut die jetzige Amtsinhaberin der Region aus dem Fenster, sieht sie auf ein seit Jahren unbewohntes Hotel und einen gähnend leeren Bahnhofsvorplatz. Der Bergmann in der Mitte ist schon ein Denkmal. Sie möchte es nicht erleben, dass auch der Metallarbeiter nur noch zur Erinnerung dort sitzt.Günter Löschner, letzter Vorsitzender des FDGB in Zwickau, räumt unumwunden ein, dass »wir« es nicht geschafft hätten, Zwickau optisch so herzurichten. Dafür habe es keine Kapazitäten und keine Reserven gegeben. Mit »wir« meint er die SED. Nun ist er in der PDS. Die Stimmung unter den Menschen im Ort sei schlecht, weiß auch er zu berichten. Geht er durch die Stadt, grüßen ihn meist ältere Bewohner. Die gibt es in der Überzahl. In der Gutenberg-Buchhandlung blättert er gern in Das dicke DDR-Buch, erschienen im Eulenspiegel-Verlag. Die junge blauäugige Buchhändlerin sagt ungefragt, es sei in der DDR nicht alles schlecht gewesen. »Das war nun mal unser Leben, die Jugendweihe zum Beispiel.« So als habe er ein persönliches Verdienst daran, führt Günter Löschner Besucher durch das renovierte Zwickau. Er weist auf die Geschäfte. »Keine Kunden«, sagt er sehr oft. Der frühere Torwart Jürgen Croy war als Parteiloser auf dem Ticket der PDS einige Jahre Kulturbürgermeister von Zwickau. Nun ist er Geschäftsführer der Stadthalle. Im Jahr 1948 errang Zwickau den damaligen offiziellen Titel Ostzonen-Meister im Fußball. Aber da hieß der Club noch »SG Planitz«. Planitz ist ein Stadtteil der einstigen Kohlestadt wie Schalke von Gelsenkirchen. Danach kam es unter Parteidruck zu einer Fusion zum späteren Werksclub Sachsenring. Dass Martin Luther und Thomas Müntzer in Zwickau gepredigt haben, wird nur Kulturinteressierten erzählt. Auf der ersten Anti-Kriegskundgebung auf dem Marienplatz spricht auch Michael Sommer vom DGB. Weil er sich in der Stadt aufhält, macht er spontan mit. Peter Porsch, Österreicher von Geburt, Fraktionsvorsitzender der PDS im sächsischen Landtag, bringt einige hundert Versammelte in Stimmung. Der eloquente Politiker, der einst freiwillig in die DDR kam, beschuldigt die USA. Er spricht vom »größten Tankstellenüberfall in der Geschichte.« Sabine Zimmermann ist anwesend. Günter Löschner auch, die beiden haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt. Der vom FDGB lobt aber die engagierte Frau vom DGB.In der Gaststätte »Am alten Steinweg« ist Jürgen Croy auf einer Wandbemalung gezeichnet wie eine Ikone. Er habe im Tor gestanden, als Sachsenring 1975 den Pokal gewann, heißt es auf einem Wandspruch. Die Plattenbauten am Rande von Zwickau werden abgerissen. Der Abriss wird Rückbau genannt, kritisieren Gäste. Das sei doch ein Tarnbegriff, also Propaganda. »Damals gab es Privilegien, jetzt aber auch«, sagt einer verbittert. Einige trauern aber, wie ironisch eine Journalistin aus dem Osten schrieb, der Gemütlichkeit des Mangels nach.
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