HIP-HOP HipHop gab es schon zu DDR-Zeiten. Die heute dienstältesten Rapper Ostdeutschlands besingen "Jungfernknacker" und ihr Elbflorenz, die jügeren feiern große Erfolge
Es ist muffig in diesem Raum. Das Linoleum riecht noch nach Scheuermittel und die Vorhänge sollten eigentlich schon lange mal wieder entgilbt werden. Auf den klassischen DDR Holzstühlen sitzen sie in ihren blauen FDJ-Hemden und schauen gespannt auf die Minibühne, die fleißige Lehrlinge heute früh aufgebaut haben. Die Stimmung ist fröhlich in der Großraumkantine der Lehrwerkstatt in der Dresdner Prießnitzstraße, heute Nachmittag findet das Fest der Talente statt. Wir befinden uns im Jahr 1987 und in wenigen Minuten wird der ostdeutsche HipHop erfunden. Doch das wissen die meisten der Anwesenden zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zuerst treten die auf, die präsentieren, was sie in ihrer Arbeitsgemeinschaft gelernt haben: Der Modellbauer mit sein
r mit seinem Flugzeug und der Nachwuchsliterat mit einem Gedicht von Wilhelm Busch. Jetzt ist der Moment gekommen. Zwei 17-jährige Jungen stürmen auf die Bühne und rappen kräftig drauf los. "Mike und Marian das sind wir! Wir kommen aus Dresden, nicht weit von hier. Gebrauchswerber - das wird unser Beruf, der hat in manchem Laden einen schlechten Ruf." Ironisch nehmen sie ihre Ausbildung und sich auf dem Arm - fünf Jahre bevor die Fantastischen Vier mit "Die da" den HipHop in Deutschland massentauglich machten. Musikalische Unterschiede zu den Kollegen im Westen gab es nicht. Auch in der DDR lernten die ersten Rapper ihr Handwerkszeug von den - meist schwarzen - Ghettogrößen aus Brooklyn. Das Publikum hat sich damals "wohl unterhalten gefühlt", erzählt Mike Wagner heute. Und so wussten die beiden ersten ostdeutschen Rapper, dass sie genau das Richtige machten. Sie legten sich Künstlernamen zu und holten einen dritten Mann ins Boot. Als Three M-Men machten sich Mike Wagner alias "DynaMike", "MCM" (Marian Meinhardt) "Snowman" (Michael Kral) nun schnell einen Namen in der damals noch überschaubaren DDR-Szene. "Die Platten von Run DMC oder den Beastie Boys haben wir uns von Oma aus dem Westen mitbringen lassen oder über verschlungene Wege aus den anderen Ostblockstaaten geschmuggelt", berichtet der heute 31-jährige Mike. Die amerikanischen Vorbilder, Beastie Boys oder die Bloodhound Gang beispielsweise, prägten den Stil der drei M-Männer. Bald produzierten sie erste Mixtapes, Kassetten mit ihren selbst eingespielten Liedern und traten bei kleineren Veranstaltungen auf. Aber auch auf anderen Gebieten zeigte die Combo kreatives Potenzial. Sie zeichnete Comics, produzierte eigene Hörspiele und wusste, dass sie nicht so sein wollte, wie viele andere Jugendliche in ihrem Umfeld. "Die meisten Mädchen unseres Ausbildungsjahrgangs arbeiten heute als Angestellte oder Dekorateurinnen in Kaufhäusern", resümiert DynaMike. Sein Weg war ein anderer, lieber textete er Raps wie diesen: "We rap for all and paint on da wall." Was die drei M-Männer mit ihrem Schulenglisch ausdrücken wollten, ist heute zum Lebensgefühl einer ganzen Jugendgeneration geworden. Sprechgesang, Graffiti und Breakdance, als heilige Dreifaltigkeit des HipHop. Damals war das ganz anders. Es gab nur eine offizielle Radiosendung über Rapmusik und es war eine Ehre für die Three M-Men, als die Sendung "Vibrationen" im Jugendradio DT64 ihren ersten Demosong spielte. Und weiter schrieben sie deutsche Musikgeschichte: Sie waren dabei, als der erste deutsch-demokratische Rap-Contest veranstaltet wurde, waren die erste Rap-Band, die im Musikmagazin Melodie Rhythmus erwähnt wurde und präsentierten schließlich 1989 mit "Black J" die erste Rapperin der DDR. Heute sind sie die dienstälteste Rapband der fünf neuen Länder, mitunter mit zotigen Raps wie "Jungfernknacker" oder "Pimpern". Nach der Wende wurde es ruhiger um Three M-Men. HipHop gewann an Popularität und wurde zwangsläufig kommerziell. Verschiedene Stilrichtungen bildeten sich heraus. Unterschiede zwischen Deutschland Ost und West spielten dabei keine Rolle, Three M-Men, die HipHop-Vorreiter im Osten, blieben allerdings eher im Untergrund. Mike Wagner schrieb in Büchern über DDR-Jugendkultur und moderierte eine Rap-Sendung im offenen Kanal, ansonsten lebt er von Gelegenheitsjobs. Marian Meinhardt und Michael Kral schlugen sich in der Werbebranche durch und arbeiten heute als Art Director in einer Agentur und Grafiker bei einer Handelskette. Als Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnet Bandleader Wagner ein von Three M-Men organisiertes Konzert, auf dem 14 sächsische Bands Lieder der Grungeband Nirvana coverten. Während die Dresdner von ihre Musik nicht leben können, sieht das bei Tefla aus Chemnitz schon anders aus. Sören Metzger und Tino Kunstmann alias Tefla sind zwar noch nicht so lange im Geschäft, haben aber seit 1999 schon elf Platten veröffentlicht. Sie sehen sich nicht mehr als Untergrund-Band. Eher spaßbetont nehmen sie Themen ihrer meist minderjährigen Zielgruppe auf und verarbeiten sie in ihrem typischen "Zonen-Stil". Auf einen Schlag bekannt wurden Metzger und Kunstmann vor zwei Jahren mit dem Hit "Wenn Zonis reisen". Danach rissen sich die HipHop-Größen förmlich darum, mit Tefla zusammenarbeiten zu dürfen. Vielen Fans sind die Sachsen wegen "ihres" Festivals bekannt. Seit fünf Jahren organisieren sie Europas größtes HipHop-Open Air: das Splash-Festival am Stausee Oberrabenstein. Deutsche Größen wie Blumentopf, Fünf Sterne deluxe oder Samy deluxe treten hier auf. Die Chemnitzer Jungstars können von den Einspielergebnissen ihrer Veröffentlichungen und den Einnahmen des Splash-Festivals gut leben, die billige Plattenbauwohnung ist für sie schon lange tabu. Trotzdem kümmern sie sich um junge Talente. Ihr HipHop Label "Phlatline" bietet Nachwuchskünstlern eine Plattform. Seit sechs Jahren machen Tefla nun schon gemeinsam "sympathische Musik, fern von jeglichem Gangsterimage und HipHop Prollgehabe", wie Kritiker gern betonen. 1998 brachten sie ihr erstes Album auf den Markt. Trotz Billigproduktion gingen in kurzer Zeit über 6.000 Platten über den Ladentisch. Kein Wunder, dass Fernsehauftritte, Einladungen zum Splash und unzählige Livebuchungen folgten. Mit ihrer aktuellen Single schaffte es die bekannteste nordostdeutsche HipHop-Combo sogar in die Charts des österreichischen Kult-Jugendsenders FM4. Aber nicht nur amerikanisch klingender HipHop kommt aus den Provinzen zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Einen ganz anderen Weg geht der Erfurter "Clueso". Seine Art, rhythmischen Sprechgesang zu präsentieren, ist von Xavier Naidoo beinflusst, dem Paten des deutschsprachigen Souls. Der 20-jährige Clueso ist mit dieser ArtMusik derzeit der bekannteste Thüringer "Sprechgesangler". Clueso wohnte bis vor kurzem noch in seiner Geburtsstadt Erfurt, heißt eigentlich Thomas Hübner, und wie der Star der Fantastischen Vier, Thomas D., wollte auch Thomas H. Frisör werden. Nebenbei lebte er aber bereits die HipHop-Kultur: Spraydosen und Rap-Wettbewerbe. Bei einem Auftritt im Jenaer "Kassablanca" entdeckte ihn eines Abends der Manager des ViVa-Moderators MC Rene. Clueso schmiss seine Lehre, ging nach Köln und schon bald nahmen ihn die Fantastischen Vier unter Vertrag. Ohne Angeberei und Angriffe auf andere HipHopper macht er deutschen Rap, der nachdenklich und ehrlich ist. Inspiriert von Reggae-Rythmen und Soul hat er so ein ganz neues Feld betreten. Über diese breite Entwicklung der einst so kleinen Szene ist Mike Wagner froh. "Viele der neuen Bands haben es einfach verstanden, ihre Passion zum Job zu machen". Sie produzieren Massenware für den Massenmarkt. Insgeheim aber verwirklichen sie Projekte, die ihnen wichtig sind. Sie nehmen schlecht-verkäufliche Lieder auf, arbeiten mit Musikern aus anderen Bereichen zusammen oder unterstützen junge Talente. "Eine feine Sache" wäre das, wenn auch Mike Wagner seine Musik einmal so verkaufen könnte, dass er dass Geld für die Produktion wieder reinbekäme. Deshalb muss er aber jetzt endlich los, zu einem Videodreh, seinem ersten seit 15 Jahren im Musikgeschäft. Medienstudenten setzen einen seiner Solo-Raps in Szene. Mit diesem massentauglichen Stück möchte er seiner Heimatstadt "eine Hymne auf Elbflorenz" schenken. Schließlich wurde bisher für jede HipHop-Metropole ein Ruhmeslied eingespielt - Seeed sang für Berlin, das Rödelheim Hartreim Projekt für Frankfurt und Fettes Brot für Hamburg. So reimt Mike aus dem Stegreif los und es wird klar, dass sich in manchen Punkten nichts geändert seit 1987, im Speisesaal der Lehrwerkstatt: "So gefällt es an Elbe: Bier trinken und kiffen! Dabei den Leuten winken auf den Weisse-Flotte-Schiffen. Nehm´ das Leben eben nicht verkniffen, wie Du wohl siehst: Begriffen? Bin ´n Rapper, der das Wetter genießt."Das "Splash!"-Festival findet in diesem Jahr vom 2. bis 4. August am Stausee Oberrabenstein bei Chemnitz statt.
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