Das dominante Duftmolekül M2 beleidigt die Nase des jungen Mannes in Lederjacke und Sneakern. Sein Urteil über den Duft auf Papierstreifen Nummer 6: „Das riecht wie altes Blumenwasser“. Zehn junge Menschen nehmen beim so genannten 5 Gum Vision Lab in Berlin an einem Workshop zum Thema „Smell“ teil. Sie sollen für die Kaugummi-Firma Wrigley ein unsichtbares Duftlogo entwerfen, einen wiedererkennbaren Firmenduft. So wie Workshop-Leitern Sissel Tolaas sie auch für große Unternehmen kreiert.
Der Geruchssinn ist nur einer von fünf Sinnen, mit denen an diesen zwei Tagen experimentiert wird. So entwirft Telse Bus, die sich selbst Foodkonzepterin nennt, mit Elementen der Molekularküche neuartige Esserlebnisse. Der Modedesigner Marc Eley ana
igner Marc Eley analysiert das Zusammenspiel von Identität und „Look“. Scott Schuman vom Street-Mode-Blog The Satorialist ist als Trendexperte eingeladen, während das Produktdesignerduo Front den Tastsinn erforscht und Musikproduzent Ewan Pearson neue Hörerlebnisse im urbanen Raum schaffen will.Wie wird ein Kaugummi hip?Neben den eingeflogenen Experten hat Wrigley den Nachtclub „Weekend“ im obersten Stockwerk eines Hochhauses am Alexanderplatz gemietet. Das Setting soll der Einführung eines neuen Lifestyle-Kaugummis die nötige Glaubwürdigkeit verleihen. „Fivegum“ hat die Firma dieses Produkt genannt, das alle Sinne ansprechen soll. Wer in die dezent verstreuten Probeboxen greift, fischt in Metallic-Papier eingeschlagene Streifen heraus, die schon in der Packung durchdringend riechen und später beim Kauen im Mund leise knistern.Rund 150 Nachwuchskreative sind für die Workshops mit den Sinnesexperten ausgewählt worden. Die meisten der Mittzwanziger sehen aus, als habe Modeblogger Schumann sie direkt von den Straßen in Berlin-Mitte gecastet: Die Frauen tragen Leggins und lax zusammengebundene Haarknödel, die Männer karierte Halstücher. Sie sind über Verlosungen in Modeblogs und auf Facebook auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht worden. Einige sind auch Finalisten eines Kreativ-Wettbewerbs, den der Kaugummihersteller mit 10.000 Euro Preisgeld dotiert hat.Doch bevor der Preis vergeben wird, sollen zunächst die Sinne auf neuartige Weise angesprochen werden. So stellen die Teilnehmer des Workshops „Taste“ bei Foodkonzepterin Telse Bus mit Geliermittel, Hackfleischpüree und Kartoffelpaste eine „Currywurstpraline“ her. Sie sieht aus wie ein Dominowürfel, schmeckt aber nach Wurst.Telse Bus fertigt solche Speisen für Firmenevents an. Um die Unterhaltung zwischen den Besuchern anzuregen – und damit auch indirekt die Beschäftigung mit dem Ausrichter und der dazu gehörenden Marke. „Wenn man das Erwartete stört, hat man den ersten Kontakt, dann fangen die Leute an zu reden“, sagt Bus. So kämen die Firmen „in den Menschen hinein“.Kontakt, Erlebnis, in den Menschen hineinkommen – das ist auch das Ziel der Wrigley-Veranstaltung über den Dächern von Berlin. Vorbei die seligen 80er Jahre-Zeiten, in denen es reichte, wenn in der Fernseh- und Kinowerbung junge Paare mit überdimensionalen Kaugummi-Packungen über den Strand liefen. In der Presselounge erklärt Wrigley-Marketingleiter Dominik Thiele, die heutige Konsumentenschaft sei zu fragmentiert, um sie mit einfachen Spots zu erreichen. Die Konsumenten seien so unterschiedlich wie die unzähligen Medien und Netzwerke, aus denen sie sich mit Informationen und Geschmackscodes bedienen.Das Marketingkonzept des Workshops sei es darum, in die „Community der Kreativen“ einzudringen, um durch Mundpropaganda von den Trendsettern von heute in die Massen von morgen getragen zu werden. Und wie könnte das besser gelingen, als wenn man die richtigen Leute einlädt? So hat man die Party in populären Mode- und Berlinblogs bekannt gemacht und über Facebook versucht, direkt die sozialen Netzwerke der Berliner Kreativszene zu aktivieren und so auch jene Szenegänger anzulocken, die Kaugummis bisher nicht mit Coolness verbinden.Heraus kommt ein Event, das typisch für Berlin und die gegenwärtige Popkultur ist. Die Grenzen zwischen Subkultur und Markt verschwimmen, Kreativität soll nicht mehr in widerständigen Nischen entstehen, sondern in Symbiose mit Konzernen. Es ist ein Ereignis, das deshalb funktioniert, weil heutige Identitäten und deren Formen der Selbstdarstellung, bis hin zu den Sehnsüchten und Gefühlen mit einer Fülle von Marketingbotschaften aufgeladen sind.Marketing von beiden Seiten Denn auch die Jungkreativen selbst funktionieren auf eine ähnliche Weise. „Ich verstehe meine Kleidung als Botschaft“, sagt einer. „Ich will mich ausdrücken.“ „Ich“, „Ich“ und wieder „Ich“ sagen die Teilnehmer in dem Video, das sie im Workshop „Look“ von Modedesigner Mark Eley produziert haben. Vielen von ihnen suchen aktiv die Nähe zu den kommerziell erfolgreichen Experten, werben mit Flyern für ihre eigenen Geschäftsideen, geben den Experten ihre Visitenkarten und führen informelle Bewerbungsgespräche.Am Abend gewinnen zwei junge Frauen den 10.000-Euro-Preis für ihre Idee des „Ocean Cookbook“, eines noch zu schreibenden Kochbuchs für das Leben nach der Klimakatastrophe, wenn die Menschheit die Ozeane als Lebensraum entdeckt. Die Apokalypse als Raum für kreative Ideen.Dann strömen die Party-Gäste aus der Stadt herein. Die Helfer erhöhen die Kaugummi-Dichte auf Heizungen, Bänken und Tischen. Eine ganz normale Berliner Party beginnt. Durch die Menge windet sich ein Mann, der golden schimmernde Flyer verteilt. Diesmal für eine Party von Puma.