Wer alles schlucken will, wird sich übergeben

Positionen PDS-Vorsitzender Lothar Bisky über Kanzlersuppen, imperiale Neigungen und die Europawahl als Härtetest

FREITAG: Schröder, Merkel und Stoiber haben einen Kompromiss für das künftige Zuwanderungsrecht erzielt. Ist damit Deutschland reif für die Zukunft oder sind die beteiligten Politiker reif für die Klapsmühle, weil fast alles unter dem Thema Anti-Terror-Kampf gesehen wird?
LOTHAR BISKY: Ich denke, die Terrorinszenierungen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für die Innenpolitik sind maßlos übertrieben. Hier wird eine Hysterie geschürt, die offensichtlich für den Abbau von Bürgerrechten genutzt werden soll.

Ist Schröder nur noch ein Suppenkasper, der alles brav auslöffelt, was ihm vorgesetzt wird?
Scheinbar kommen alle wichtigen Entscheidungen nur noch dadurch zustande, dass Schröder von Merkels Gnaden lebt. Da ich bei Suppen Feinschmecker bin und beim Genuss ungern an Schröder denke, würde ich den Begriff Suppenkasper allerdings nicht verwenden.

Welche Position hat die PDS selbst? Nach unserem Eindruck ist ihre Haltung in dieser Frage nicht eindeutig, weil angesichts der Arbeitslosenzahlen eigentlich gar keine Zuwanderung gebraucht wird und andererseits die demografische Entwicklung doch dafür spricht.
Aus demografischen Gründen ist Zuwanderung der Weg, mit dem man langfristig leben muss, auch leben kann. Ich hätte auch nichts dagegen, dass Zuwanderung großzügig gehandhabt wird. Was die PDS betrifft, haben wir uns bei diesen Fragen nie nach den möglichen Wirkungen auf Wahlen gerichtet. Zuwanderung und Arbeitslosigkeit in einen direkten Zusammenhang zu bringen, ist ein böser, demagogischer und nationalistischer Trick. Das hat eine so miese Tradition in Deutschland, dass wir uns dafür nicht hergeben. Und wenn diese Haltung im Einzelfall Stimmen kostet, dann kostet sie eben Stimmen.

Womit wollen Sie in der anstehenden Europawahl Stimmen gewinnen? Mit der neuen Initiative für Ostdeutschland, die Sie in der vergangenen Woche gefordert haben? Die PDS nennt in ihrem Papier "Einen neuen Anfang wagen" modische Begriffe wie Clusterbildung, Verdichtung von Wertschöpfungsketten und Wachstumskerne, aber ein eigenes Konzept ist das noch nicht.
In der Vergangenheit haben wir immer wieder Vorschläge für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands auf den Tisch gelegt, die allerdings niemand ernsthaft aufgegriffen hat. Im Frühjahr kam nun das sogenannte Dohnanyi-Papier - und es gab eine Riesendebatte. Darauf haben wir unsererseits reagiert. Die Botschaft unseres Papiers ist ganz klar und eindeutig: Wenn es in Ostdeutschland zu keiner Stabilisierung der sozialen und wirtschaftlichen Lage kommt, wenn es weiter bergab geht, dann wird alles andere nichts bringen.

Die PDS sagt nun auch, dass die vorhandenen Wachstumskerne gefördert werden müssen. Die Starken stärken - ist das in der PDS vermittelbar?
Wir sagen ja nicht, dass die Schwachen links liegen bleiben sollen. Aber wir müssen uns darauf besinnen, dass die wenigen Industriekerne, die es in Ostdeutschland gibt, nicht auch noch geschwächt werden. Nehmen wir das Beispiel Brandenburg: Wenn das BASF-Werk in Schwarzheide, das EKO-Stahlwerk in Eisenhüttenstadt und die Industrieansiedlungen in Schwedt wegbrechen, dann ist auch in den strukturschwächeren Regionen nichts mehr zu machen.

Angesichts des Zustandes öffentlicher Kassen müssen aber Entscheidungen getroffen werden. Was die einen bekommen, steht für die anderen nicht mehr zur Verfügung.
Im vergangenen Jahrzehnt sind allein in Brandenburg Hunderte Millionen verschwendet worden. Man denke an die Pleiten der Chipfabrik, des Cargolifters, des Lausitzrings und der Landesentwicklungsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund kann man nicht sagen, dass für Strukturpolitik das Geld fehlt. Wenn wir als PDS die Verantwortung für 40 Jahre DDR übernehmen, dann darf ich doch auch die Frage stellen, wer denn in den vergangenen 14 Jahren regiert hat. Nachdem nun die prekäre Lage Ostdeutschlands nicht mehr geleugnet werden kann, will es niemand gewesen sein. Mit großer West-Arroganz hat man Vorschläge vom Tisch gefegt, die längst zum Aufbau einer wissensbasierten Industrie hätten beitragen können.

Wo könnten trotz der miserablen Lage noch Perspektiven für Ostdeutschland liegen?
Ostdeutschland müsste und könnte in Europa zu einer Brücke zwischen Ost und West werden. Aber eine solche Brücke braucht stabile Säulen und die eher weichen Faktoren des kulturellen Austauschs.

Eine solche Vision würde voraussetzen, dass es in den Machtzentren Westeuropas ein Interesse an einem fairen Austausch mit Osteuropa gibt. Die Europäische Union verabschiedet sich aber zunehmend von ihren alten Standards und setzt, etwa mit dem Verfassungsentwurf, neue Prioritäten.
Ostdeutschland wurde geschluckt, indem man die Industrie zerschlagen und die Märkte übernommen hat. Wer dasselbe Szenario für Osteuropa insgesamt probiert, der wird sich übernehmen, der wird sich schließlich übergeben. Was die neue Europäische Verfassung betrifft, sehe ich auch die Gefahr, dass sie Aufrüstung quasi festschreiben möchte. Militärische Operationen außerhalb des EU-Hoheitsgebiets werden ausdrücklich genannt. Ebenso falsch ist es, wenn der Marktradikalismus das europäische Sozialstaatsmodell untergräbt und wenn die "Demokratie von unten" geschwächt wird. So wie der fertige Verfassungsentwurf aussieht, lehnen wir ihn ganz eindeutig ab.

Könnte es sein, dass mit dem Scheitern der Bush-Regierung im Irak imperiale Neigungen schwächer werden, auch in der Europäischen Union?
Jeder Versuch, aus Europa ein zweites Amerika zu machen, ist ein äußerst bedenkliches Unterfangen. Noch sind die Europäer eindeutig im Schlepptau Amerikas. Noch ist die Kritik an Bush sehr verhalten. Es wird noch sehr lange dauern, bis wir so etwas wie eine Selbstständigkeit der Europäer erleben werden. Die Basis eines eigenständigen Gewichts Europas sollten die Tradition des Sozialstaats und die Idee der Kulturenvielfalt sein. Wenn Europa der Versuchung erliegt, einen imperialen Weg einzuschlagen, wird das genau so scheitern wie bei den Amerikanern. Eine Wissens- und Informationsgesellschaft imperial aufbauen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich.

Kommen wir noch mal zum Thema Europawahl: Ist sie für die PDS das letzte oder vorletzte Gefecht, um wieder auf die nationale Bühne zurückzukehren?
Damit habe ich meine Probleme, weil ich den Satz mit dem letzten Gefecht zu oft gesungen habe. Aber klar ist, dass es eine sehr wichtige Wahl ist. Das Überschreiten der Fünf-Prozent-Hürde wäre für die Konsolidierung der PDS ein sehr wichtiger Schritt. Sollten wir es nicht schaffen, werden wir trotzdem den Bundestagswahlkampf 2006 mit aller Kraft angehen...

... und in Westdeutschland eventuell auf neue Wahlbündnisse treffen, die der PDS Stimmen nehmen.
Wir wären borniert, wenn wir neuen linken Kräften, die sich vor allem in Westdeutschland formieren, nicht aufgeschlossen gegenüber treten würden. Auch in anderen Ländern Europas gibt es eine Ausdifferenzierung der Linken. Die vor kurzem gegründete Partei der Europäischen Linken ist eine Antwort auf diesen Prozess. Sie hat sich auf einige zentrale Punkte verständigt - und gleichzeitig bleiben die Unterschiede bestehen. Warum sollte das nicht auch in den einzelnen Ländern selbst passieren. Wir werden sowieso neue Konstellationen in der Parteienlandschaft erleben, auch in der Bundesrepublik, weil die Krise der parlamentarischen Demokratie neue Antworten verlangt.

Vielleicht leben wir ja schon nicht mehr in einer Demokratie, sondern in einer mit viel Geld korrumpierten Mediokratie.
Ja, das Verrückte ist doch, dass alle so tun, als lebten wir noch in einer echten parlamentarischen Demokratie. Das ist der große Irrtum. Längst ist die in den großen Medien veröffentlichte Meinung bestimmend geworden, und die Politiker richten sich danach. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Hoffnung, die ich im widerborstigen Publikum sehe. Mit der Einheitlichkeit der Medien wächst auch die Resistenz dagegen. Es gibt ja keine Totalität der Manipulation. Vielleicht sollte man seitens der Medienbetreiber auch einmal darüber nachdenken, ob nicht eine konzentrierte Medienlandschaft ein Moment des Untergangs sein kann und ob nicht eine Berlusconisierung Europas auch eine Demaskierung ist.

Das Gespräch führte Hans Thie

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