Wer besessen ist, kann nicht begreifen

Im Gespräch Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky über Platzecks Tänze, mentale Blockaden und Adenauers Gedenktruppen

FREITAG: Was ist am Sonntag in Sachsen und Brandenburg passiert?
LOTHAR BISKY: Die Regierenden haben eine deutliche Ohrfeige bekommen, die Politik des Sozialabbaus findet keine Unterstützung, und der Osten bleibt - auch das muss man zur Kenntnis nehmen - politisch-dynamisch.

Zu dieser Dynamik gehören leider auch NPD und DVU. Wie reagieren Sie darauf?
In Brandenburg hatten wir schon ein Aktionsbündnis gegen Rechts. Aber dann kam Schönbohm ins Land. Er praktiziert Ausgrenzung und unterschreibt nichts, was die PDS vorschlägt. Das ist der uralte Geist der Adenauerzeit. Sich vom politischen Gegner abzugrenzen, ist ihm wichtiger, als eine gemeinsame Front zu organisieren. Wir jedenfalls werden nicht nachlassen in der offensiven Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen, hoffentlich gemeinsam mit den Sozialdemokraten.

Ist für Sie eine Koalition mit der SPD in Brandenburg denkbar oder wäre das mit Blick auf die Bundestagswahl 2006 eine falsche Entscheidung?
Wir sollten uns von dem magischen Datum 2006 nicht abhängig machen. Wenn in Brandenburg ein politischer Richtungswechsel möglich ist, dann sind wir auch bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Aber ohne eine Kurskorrektur der SPD ist diese Frage gegenstandslos. Wir werden auf keinen Fall mitmachen, nur um zu regieren.

Ministerpräsident Platzeck ist stolz auf seine Verteidigung von Hartz IV. Wie wollen Sie mit ihm zurecht kommen?
Ich habe Platzecks Worte aufmerksam verfolgt und ihn häufiger tänzeln sehen. Hartz IV ist wohl auch für ihn kein ideales Gesetz. Wir sagen dagegen ganz eindeutig: Hartz IV ist ein schlechtes und dazu noch ein schlampig gemachtes Gesetz. Abzuwarten bleibt, ob Platzeck aus seinen Vorbehalten irgendwelche Konsequenzen zu ziehen bereit ist.

In Brandenburg ist die PDS von 41 Prozent der Arbeitslosen gewählt worden und in Sachsen von 37 Prozent. Für diese Wähler wäre eine Koalition mit der SPD in jedem Fall eine Enttäuschung.
Ich glaube, die Leute sind relativ klug und erwarten von uns keine Wunder. Aber sie verlangen, dass wir uns für sie engagieren, dass wir den anderen Parteien auch Dampf machen. Ich werte das als Vertrauensvorschuss, dem wir gerecht werden müssen. Die PDS geht nicht zugrunde, wenn sie regiert. Hin und wieder mag es Stimmenverluste geben, aber die Menschen wissen auch, was eine Koalition bedeutet. Wichtig ist vor allem, dass wir in der sozialen Frage kenntlich bleiben. Auch unsere Minister und Senatoren sind gegen Hartz IV aufgetreten.

Warum ist die CDU, die am 5. September im Saarland ihren Stimmenanteil auf 47,5 Prozent ausbaute, im Osten abgestürzt?
Die CDU hatte schon im Saarland - absolut gesehen - Stimmen verloren. In Sachsen hat man begriffen, dass Hartz IV auch CDU-Politik ist. Und deshalb werden die Konservativen, genau so wie die SPD, zur Kasse gebeten. Außerdem ist der landeseigene Filz den Wählern nicht verborgen geblieben. In Brandenburg hat sich die CDU selbst einige Fallen gestellt. Schönbohm hatte ja schon vor der Wahl seinen Sieg gefeiert. Und das mögen die Leute nicht. Hinzu kam die absurde Losung: "Arbeit statt PDS". Da kann ich nur sagen: Vielen Dank. In Brandenburg weiß man schließlich, wer für Wirtschaftspolitik verantwortlich war. Und dann noch der verzweifelte Versuch von Schönbohm, das Thema Hartz IV auf jeden Fall zu vermeiden, obwohl alle darüber reden.

Hartz IV ist zum Symbol der Spaltung des Landes geworden. Die Abgrenzung zwischen Ost und West wird wieder stärker. Droht damit nicht auch der PDS eine Marginalisierung?
Die PDS muss zunächst ihr eigenes Profil beibehalten und schärfen: als Partei, die militärische Lösungen politischer Konflikte ablehnt, zweitens in der sozialen Frage und schließlich als Partei mit einer starken Verankerung im Osten. Wenn wir das schaffen, habe wir gute Chancen, 2006 wieder in den Bundestag einzuziehen und auch dort für ein vernünftiges Verhältnis zwischen Ost und West zu werben. Aber davon abgesehen, haben Sie recht, die Chancen, sich anzunähern, nehmen im Moment ab. Der Osten hat eine andere Kultur und ganz andere soziale Verhältnisse. Und die Abgrenzungstöne des Westens werden lauter. Man betreibt mittlerweile im Westen zu Lasten der Ostdeutschen Wahlkampf. Man belügt die Öffentlichkeit, wenn man immer nur auf die Bruttotransfers von West nach Ost hinweist und verschweigt, was in den Westen zurückgeflossen ist. Geradezu lächerlich und oberlehrerhaft ist die Ermahnung an die Ostdeutschen, doch bitte so zu wählen, wie die Westdeutschen es immer schon getan haben. Leider ist man im Westen immer noch nicht bereit, den anderen Landesteil mit seinen Besonderheiten anzuerkennen, wie er ist. Das gilt nicht nur für Adenauers Gedenktruppen in der CDU, sondern auch für die meisten anderen, etwa für die Grünen. Mit dem Plakat "Alles Liebe, Schöne, Gute verspricht die PDS" wollten sie gegen uns Stimmung machen. Das Gegenteil war der Fall, aber sie merken es nicht. Dass die Menschen im Osten auf so etwas ganz anders reagieren als von Westlern erwartet, begreifen die einfach nicht. Uns kann es ja im Wahlkampf recht sein, aber für die innere Einheit sind diese permanenten mentalen Blockaden schon ein riesiges Problem.

Um so wichtiger wäre eine linke Alternative für das ganze Land, die auch im Westen stark ist.
Meine Aufgabe ist es, die PDS zu stärken, in Ost und West. Ich beobachte natürlich genau und mit Offenheit, was sich im Westen entwickelt und ob dort eine neue Kraft entsteht. Aber gleichzeitig darf die PDS nicht schwächer werden. Niemandem ist gedient, wenn zwei linke Formationen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die PDS ist jedenfalls nicht tot, wie manche Blätter vor zwei Jahren geschrieben haben. Im Gegenteil: Im Osten gewinnen wir wieder, und im Westen können wir aus den Kommunen heraus wachsen. In diesem Jahr ist unsere "Agenda Sozial" so stark nachgefragt worden, wie niemand von uns das erwartet hat, auch im Westen, von Flensburg bis Freiburg.

Trotz des Aufwinds für Ihre Partei müssten auch Sie beunruhigt sein, wenn Sie an die zunehmende Schärfe der Auseinandersetzung im Land denken.
In der Tat. Diejenigen, die sich gern als Mitte der Gesellschaft sehen, werden erkennbar klassenkämpferisch. Es gibt in der CDU beispielsweise junge Leute, über deren Töne ich mich nur wundern kann. Da werden Feindbilder gesucht. Ich kenne das ja aus früheren Zeiten. Diese Besessenheit verheißt für die Zukunft der Bundesrepublik nichts Gutes. Wir jedenfalls werden solche Spaltungen nicht hinnehmen und an einer rationalen Auseinandersetzung festhalten.

Das Gespräch führten Lutz Herden und Hans Thie

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