Kuhdorf oder Metropole Manfred Korfmann musste seine Thesen auf einem Tübinger Symposion relativieren - aber der Streit um Troia sagt mehr über den Zustand der Kulturwissenschaften als über die bronzezeitliche Stadt
Die Fehde, die auf dem Tübinger Symposion über "die Bedeutung Troias in der Bronzezeit" ausgetragen wurde, ist weit mehr als ein Gelehrtenstreit. Es geht um die Deutungshoheit in einer der derzeit wichtigsten Fragen der archäologischen Forschung, um eine Residenz im Spannungsfeld zweier Kontinente, von Europa und Asien. Es geht auch um Troia als Projektionsfläche: Man möchte wissen, ob es die Stadt, die den Hintergrund für Homers Ilias bildet, wirklich gab und wo sie lag. Es geht aber auch um wissenschaftliche Methoden - und um Geld. Darüber spricht man ungern, vor allem am Katheder. Dabei hatte der ganze Streit mit einem Ereignis begonnen, das ziemlich viel Geld gekostet hat: mit jener Troia-Ausstellung, die (zufällig kurz vor der Landtagswahl) im l
dtagswahl) im letzten Jahr in Stuttgart in der Landesbank Baden-Württemberg eröffnet wurde und die seither auch in Braunschweig und in Bonn zu sehen war (und ist). Hauptleihgeber der Ausstellung ist der türkische Staat, bekannt für seine tolerante Behandlung Andersdenkender und ethnischer Minderheiten. In seinem Grußwort im Katalog schreibt Staatspräsident Ahmet Sezer: "Als Brücke zwischen Asien und Europa hat die Türkei im Lauf der Geschichte vielen Zivilisationen als Stätte ihrer Verwirklichung gedient und unterschiedliche Kulturen beherbergt ... Aus diesem Grunde bin ich davon überzeugt, dass der deutschen Öffentlichkeit mit Hilfe der Ausstellung ... nahe gebracht werden kann, dass sich die stärksten Wurzeln der europäischen Kultur in Anatolien befinden". Troia, in Asien gelegen, als Wiege der europäischen Kultur - das hat etwas, zumindest, wenn man in die EU will. Die Ausstellung hat auch einen Kurator, den renommierten Archäologen Manfred Korfmann, der seit 1988 in Troia gräbt (oder an dem Ort, den er, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, für Troia hält). Korfmann ist eigentlich ein Präzisionsfanatiker, der jeden Stein zehnmal umdreht, und er ist ein behutsamer Mann. Eine Hypothese nennt er eine Hypothese, und einen Beweis einen Beweis. Angesichts der Chance, "sein" Troia in einer großen Ausstellung zu präsentieren, wurde ihm, was vorher nur vorsichtig in Erwägung gezogen wurde, zur Gewissheit: Das bronzezeitliche Troia musste eine Art Großstadt gewesen sein, ein Handelszentrum, dessen Beziehungen bis in den Schwarzmeer-Raum, nach Anatolien sowieso, bis auf den Balkan und nach Afghanistan gereicht haben. Korfmann vergaß seine übliche Zurückhaltung: wunderbare Computerbilder und maßstabgerechte Holzmodelle bewiesen glasklar, dass es vor der trojanischen Zitadelle eine riesige, weithingestreckte Unterstadt gegeben haben musste. Schade nur, dass Korfmann die vielen Häuser, die auf den Modellen zu sehen waren, noch gar nicht gefunden hatte. Er hatte seinen Forschungen einfach ein bisschen vorgegriffen. Der Althistoriker Frank Kolb polemisierte mit diabolischer Freude gegen Korfmanns Thesen, nannte seine Funde dürftig und seine Schlussfolgerungen abenteuerlich; Korfmann, statt den Schaden zu begrenzen und zuzugeben, dass er sich ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt habe, spielte das beleidigte Genie, und die Universität Tübingen, an der die beiden miteinander fortan nicht mehr sprechenden Herren lehren, erzitterte unter dem sogenannten Skandal, weshalb sie eigens ein Symposion anberaumte. Auch dieses war von einer gewissen Kommunikationsunfähigkeit gekennzeichnet. Würdige ältere Ordinarien traten ans Mikrophon und zeigten ihr Spezialwissen. Wie die Kinder bettelten sie darum, noch einen Satz mehr sagen zu dürfen, wenn ihre Redezeit abgelaufen war. Der Graecist Joachim Latacz gab einen halbstündigen Überblick über die Homer-Forschung, bevor er zum eigentlichen Thema kam. Der Hethitologe Frank Starke präsentierte sich als Spezialist für Keilschrift - nur in seiner Muttersprache drückte er sich eher wirr aus. Der Archäologe Hans-Peter Uerpmann behauptete stolz, er sei "im Besitz von Wahrheit", weil er beim Ausgraben naturwissenschaftliche Präzisionsinstrumente in den Boden bohre. Korfmann selber ließ einen Zeitungsartikel nebst Kolb-Portrait an die Wand projizieren - der moderne Pranger. So sieht Wissenschaft im 21.Jahrhundert aus. Welchen Vergehens ist der Althistoriker Frank Kolb schuldig? Er hat das Einhalten wissenschaftlicher Standards eingefordert. Er vermisst Beweise für die angebliche Macht der Stadt, Tontafeln als Beleg für Schriftlichkeit oder Keramiken als Beweis für Fernhandel. Dies an einem Ort, der als der archäologisch am besten erforschte der Welt gelten darf. Kolb bezweifelt die von Korfmann behauptete Größe Troias (zwischen 5.000 und 10.000 Einwohner) und will für die These von einer riesigen Unterstadt auch mehr Indizien sehen als nur ein paar wenige Mauerreste. Korfmanns Kompromiss-Angebot, übermittelt von seinem Assistenten Peter Jablonka: "Wir erlauben uns, wo Mauerreste stehen, die Existenz eines Hauses anzunehmen". Mit Verlaub: es sollten dann aber schon mehrere Häuser sein. Was ist überhaupt eine prähistorische Stadt? Korfmanns Troia konnte von den Funden her jenen Kriterien nicht genügen, die sein bescheidener Berliner Kollege Bernhard Hänsel aufstellte: dichte Besiedlung (vielleicht), Stadt-Land-Gefälle (schlecht belegt), Sicherung und Zusammenhalt nach innen und außen (zu wenige Funde), soziale Gliederung nach Berufen, zum Beispiel Metallwerkstätten (nicht belegt), herausragendes Findgut als Indiz für Fernbeziehungen und Handelstätigkeit (existiert nicht). Man stritt um die Größe und Prächtigkeit von Palast-, Tempel- und Verwaltungsanlagen und ihre Bedeutung, um die Funktion eines Grabens, der von dem Korfmann-Mitarbeiter Uerpmann als vorgelagerter Verteidigungs-Graben, von Kolb nur als Entwässerungs-Graben gesehen wurde. Andere, zum Beispiel die Hethitologin Susanne Heinhold-Krahmer, waren sich noch nicht einmal sicher, ob der von Korfmann ausgegrabene Ort überhaupt Troia ist - es gebe da Wahrscheinlichkeiten, aber keine Sicherheit. Sprachliche Interpretationen ("Wilusa" ist "Ilios" ist Troia) seien oft nur "Kling-Klang-Parallelen". Vor allem gibt es andere Theorien, die sich an den Handelsbewegungen zu Land und, da kommen dann Dinge wie Windrichtungen und Schiffsbau-Arten ins Spiel, zu Wasser befassen. Nach Kolbs Meinung verliefen die Handelswege der Bronzezeit viel weiter südlich und damit an Troia vorbei. Sowieso sei die bronzezeitliche Gesellschaft eine "selbstversorgende" und nicht an einem Markt orientierte gewesen. Und es gibt die große Frage, ob Korfmanns Troia mit dem Troia der Homerschen Ilias identisch ist. Auch hier zwei Fraktionen bei den Graecisten: während die einen die Ilias als das Werk von vielen sehen, von mündlich vortragenden Rhapsoden, glaubt die Gegenpartei an nur einen Autor, dessen Werk von anderen überliefert wurde. Während der Korfmann-Freund Joachim Latacz in den Grabungsfunden vor allem das sieht, was er als Homer-Forscher schon immer erwartet hatte, einen Hinweis auf "einen" ("den"?) Troianischen Krieg, sind andere skeptisch: Für sie ist Troia nur die Kulisse für Homers Achilleus-Geschichte, wobei Homer wahrscheinlich um 800 vor Christus lebte und seine Dichtung auf eine schon längst zerstörte bronzezeitliche Stadt projizierte, die er nur aus vielen Überlieferungen kannte. Wesentlich sind aber methodische Fragen: Darf man das, was man noch nicht findet, aber vielleicht einmal finden wird, schon zu einer Theorie hochstilisieren? Darf man aus ein paar Mauerresten, die vielleicht zu Häusern gehörten, eine riesige Vorstadt machen? Um dann zu erklären, dass es da vielleicht doch Äcker und Weiden gegeben habe? Aber dass wesentliche Funde möglicherweise durch Erosion vernichtet seien? Alle Versionen haben ihre verführerischen Seiten und ihre Schwachstellen, und sie gelten für unterschiedliche historische Perioden. Zur gockelhaften Selbstgewissheit, die von manchen Diskutanten zelebriert wurde, bestand jedenfalls kein Anlass. Frank Kolb legt da den Finger in die Wunde und verweist auf ungeklärte Fragen, und letztlich ist es seiner Polemik zu verdanken, dass das Troia jenseits der Mythen überhaupt öffentlich diskutiert wird. Die von Korfmann ausgebuddelte Stadt war offenbar weder ein Kuhdorf noch eine Metropole, so die simple Erkenntnis nach zwei Tagen Clinch, sondern irgendwas zwischendrin. Warum dann die Aufregung? Korfmann-Mitarbeiter Uerpmann benannte das Problem mit entwaffnender Klarheit: "Wer darf Geschichte produzieren?" Ja, wer? Für Uerpmann ist die Archäologie eine aufstrebende (Natur-)Wissenschaft, die eine große Zukunft hat. Die Althistoriker dagegen, so glaubt er, sind dem Untergang geweiht: Sie werden nichts Neues unter der Sonne mehr entdecken. Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Althistoriker sind lesekundige Leute: Sie beugen sich über alte Texte und denken immer neu. Das ist, im Vergleich zur Archäologie, relativ billig. Die Ausgräber aber benötigen Massen an Geld und Material, vorzugsweise von der DFG. Wer viel Geld verbraucht, muss auch was finden. Er kann nicht nichts finden, sonst stellt er seinen Beruf zur Disposition. Es scheint sich bei der teureren Wissenschaft auch um die bessere Wissenschaft zu handeln, zumal sie sich ja "naturwissenschaftlicher Präzisionsinstrumente" bedient. Deshalb darf sie, in einem zweiten Schritt, dann auch Sinn produzieren. Zum Beispiel die Eingemeindung der Türkei nach Europa betreiben, weil Troia eigentlich von Europa aus begriffen werden muss, wie Korfmann sagt. Das aber ist die eigentliche Gefahr: die Archäologie (jedenfalls die einer bestimmten Ausprägung) ist dabei, zur Legitimationswissenschaft zu verkommen. Manfred Korfmann hat, trotz all seiner Verdienste, kein Interpretations-Monopol für seine Ausgrabungen. Das hatte schon Heinrich Schliemann nicht. Immerhin überkam Korfmann auf der Tübinger Tagung eine Einsicht: "Unser Nichtwissen ist groß". Das könnte schon sein. Manfred Korfmann muss seine Thesen jetzt beweisen, und das ist gut so.
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