Wer darf kriminell sein im Deutschrap?

Loredana Die Debatte um kriminelle Machenschaften einer Rapperin zeigt, wer die Diskursmacht im Genre hat
Ausgabe 30/2020
Rapperin Loredana bei den MTV EMAs 2019
Rapperin Loredana bei den MTV EMAs 2019

Foto: Tim P. Whitby/Getty Images

Die Vorwürfe wurden erstmals im Mai 2019 von dem Schweizer Nachrichtenportal 20 Minuten bekannt gemacht. Petra und Hans Z. berichten in dem Beitrag, dass sie mehrfach unter Vortäuschung falscher Tatsachen um Geld gebeten wurden. Das ältere Ehepaar verschuldete sich und schickte den Unbekannten insgesamt 700.000 Franken – knapp 650.000 Euro. Bei den Unbekannten handelt es sich laut 20 Minuten-Recherchen um die Rapperin Loredana und ihren Bruder. Die Staatsanwaltschaft Luzern ermittelt. Der Auslöser des Online-Protests: 20 Minuten hat nun ein weiteres Interview mit Petra Z. veröffentlicht. Sie berichtet von Suizidgedanken und dass sie die Beerdigung ihrer verstorbenen Mutter nicht bezahlen könne.

Das brachte viele Deutschrap-Fans berechtigterweise auf die Palme. Bei ihrer Kritik machen sie aber keine gute Figur. Unter dem Hashtag #boykottloredana finden sich nicht nur sexistische, sondern auch transfeindliche und antiziganistische Formulierungen. Kritiker*innen ziehen Vergleiche zum Umgang mit männlichen Rappern wie Gzuz. Im Mai 2019 wurde dieser von einer Ex-Freundin beschuldigt, sie geschlagen und an den Haaren durch die Wohnung gezerrt zu haben (der Freitag 29/2019). Ein Boykott-Aufruf blieb damals allerdings aus, die seitdem erschienene Musik von Gzuz ist millionenfach gestreamt worden.

Ohne ihren Fall zu relativieren: Die Kritik an Loredana eignet sich, um zu betrachten, wie in der Deutschrap-Szene die Diskursmacht verteilt ist. Kritik findet in der Regel nur bei wenigen Online-Medien und innerhalb der Twitter-Filterblase junger Journalist*innen statt, erhält in der Fan-Community aber keine breite Aufmerksamkeit – egal, ob es dabei um Kritik innerhalb oder außerhalb der Kunst geht: um Kollegahs antisemitische Textzeilen oder das Coaching-Programm, mit dem er Verschwörungserzählungen verbreitete, um Gzuz’ sexistische Textzeilen oder die ihm vorgeworfene häusliche Gewalt.

Erst #boykottloredana erreicht nun eine breite Aufmerksamkeit innerhalb der Fan-Community. Das hat damit zu tun, dass männliche Stimmen im Diskurs besonders viele und besonders laut sind. Viele User erwähnen in ihren Boykott-Posts, dass ihnen Loredanas Musik nicht gefällt, obwohl das mit den Vorwürfen nichts zu tun hat. Deutschrap hat 2020 viele erfolgreiche Rapperinnen. Der Fan-Diskurs hat aber immer noch viele selbst ernannte Gatekeeper, die das nicht gerne sehen.

Auch Art und Umfang der Delikte spielen eine Rolle. Der User @xatarsgold schreibt: „Wenn Loredana mit ihren Brüdern in eine Bank eingelaufen wäre und dem Staat ein paar Franken abgezogen hätte, hätte es mich nicht gejuckt, aber wer zieht alte Menschen ab?“ Viele Deutschrap-Fans legen Wert auf Authentizität. Damit ist gemeint, ob man Erzählungen von einem kriminellen Lebensstil für real hält. Der Username @xatarsgold spielt auf den Überfall auf einen Goldtransporter an, für den der Rapper Xatar verurteilt wurde – ein leicht romantisierbares Delikt.

Dass ein älteres Ehepaar am Existenzminimum leben muss, klingt weniger nach Bonnie & Clyde – so der Titel eines Loredana-Hits. Man kann sich fragen: Welche Delikte hätte man von seinen Stars denn gerne? Und in welchem Maße müssen sie mit einer marginalisierten Identität und dem Aufstiegskampf begründbar sein? Besser wäre es, diese Authentizität als Gradmesser grundsätzlich zu überdenken. Das würde auch die Scheinheiligkeit des aktuellen Protests offensichtlich machen.

Mathis Raabe ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt unter anderem für die Popmagazine Spex und Juice

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