Präsident Trump mit dem passenden Gefährt auf der Wisconsin Thank You-Rallye
Foto: Daniel Acker/Bloomberg/Getty Images
Bei der Frage, wie sich das „andere Amerika“ wieder Geltung verschaffen kann, lohnt ein Blick nach Wisconsin, dem knapp sechs Millionen Einwohner zählenden US-Staat im Mittleren Westen. Wisconsin ist nicht nur das Land der vielen Kühe, großen Wälder und sprichwörtlich guter deutscher Wurst, sondern seit langem auch Insel progressiver Hoffnungen. Doch überraschte hier Donald Trump Anfang November 2016 mit 23.000 Stimmen mehr als Hillary Clinton. Die glaubte so fest an einen Sieg, dass sie im Hauptwahlkampf nie nach Wisconsin reiste. Barack Obama hatte dort – mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind weiß – 2012 immerhin mit sieben Prozent Vorsprung gewonnen.
Die einen nehmen ihre Dusche morgens vor der Arbeit, die anderen, wenn s
en, wenn sie von der Arbeit zurückkommen. Der Satz, der den sozialen Graben ziemlich gut auf den Punkt bringt, ist ein Zitat aus einem Buch der Politikwissenschaftlerin Katherine Cramer mit dem Titel The Politics of Resentment. Die Autorin, sie arbeitet an der Wisconsin-Universität in der Hauptstadt Madison, hat viele Menschen in ihrem Staat getroffen, vorzugsweise auf dem Land, und erfahren: Wer nach der Arbeit duscht, hat oft das Gefühl, die am Schreibtisch und an der Macht würden nicht verstehen, wie schwer das Leben sein kann für die weiter unten. Das „auf dem Land“ ist wichtig: In diesen Gegenden hat Wisconsin mit klarer Mehrheit republikanisch gewählt und war stark genug, um Demokraten in den Städten zu überstimmen.Stets bei den DemokratenIm November 2010 wählte Wisconsin den Tea-Party-Republikaner Scott Walker zum Gouverneur, der gleich nach seinem Amtsantritt trotz wochenlanger Protestaktionen Gewerkschaftsrechte für Regierungsangestellte drastisch einschränkte. Gegner versuchten ein Amtsenthebungsverfahren, 2014 aber wurde Walker wiedergewählt.Ausgerechnet Wisconsin. Von 1988 bis zu Trump 2016 hat der Staat für demokratische Präsidentenbewerber gestimmt. Blickt man noch weiter zurück: Anfang des 20. Jahrhunderts war Wisconsin Zentrum der linkspopulistischen Progressive Party des Wisconsin-Gouverneurs Robert La Follette, der 1924 landesweit 17 Prozent bekam bei der Präsidentschaftswahl (und die Mehrheit in Wisconsin). Fighting Bob verlangte, große Industrien zu verstaatlichen und einen Verzicht auf Interventionen im Ausland. Sozialistische Politiker regierten Wisconsins größte Stadt Milwaukee von 1910 bis 1960. Bis heute sind die Green Bay Packers aus Wisconsin die einzige Equipe in der nationalen Football-Liga, die nicht irgendeinem Multimillionär gehört, sondern den mehr als 300.000 Anhängern.Sarah Lloyd ist Milchbäuerin mit einem Hof außerhalb von Wisconsin Dells. Der 2.500-Seelen-Ort sucht Touristendollars und preist sich als „familienfreundlichste Erlebnisbadhauptstadt der Welt“. Die 350 Kühe auf Lloyds Hof werden dreimal am Tag gemolken. Lloyd ist eine der Initiatorinnen von „Our Wisconsin Revolution“, einem von Sympathisanten des Präsidentschaftsbewerbers Bernie Sanders ins Leben gerufenen Verband. Bernies Leute müssen damit zurechtkommen, dass Trump gewonnen hat, obwohl ihr Kandidat vor Jahresfrist Millionen begeisterte und Umfragen zufolge Mehrheiten Kernaussagen in seinem Programm zustimmten. Zum Beispiel einer erweiterten Krankenversicherung und Grenzen für die Macht des Geldes im Wahlkampf.In einem Arbeitspapier von „Our Wisconsin Revolution“ heißt es, dass „eine weitreichende progressive Politik eine Massenbasis“ habe. Sie müsse jedoch effektiv verbreitet werden. Lloyd meint, viele ihrer Nachbarn hätten wohl für Donald Trump gestimmt. „Die Leute befiel das Gefühl, Politik wie gehabt, das funktioniert nicht für uns. Und dieses Gefühl überkam sie zu Recht.“ Viele seien zu dem Mann hingedriftet, der etwas Neues versprach. Ob diese Wähler jetzt Zweifel hätten, könne sie nicht sagen. Auf dem Land sei es ohnehin etwas anderes mit der Politik. Man sei im Alltag zum Zusammenhalt gezwungen, auch mit Leuten ganz anderer Meinung. Im Vorjahr kandidierte Lloyd selber für einen Sitz im Repräsentantenhaus und bekam 37 Prozent, ihr republikanischer Rivale 57.Viele Fabriken verlorenWer mit Bauern spricht, kleinen Geschäftsleuten, Pensionären und Arbeitern, der bemerkt, dass sie stolz sind auf ihre ländliche Existenz, sich aber von der Regierung und Gesellschaft ignoriert fühlen, auch von den Medien, wie eine Farmerin sagt. Viele Bauern bekämen noch den gleichen Erlös für ihre Milch wie vor 20 Jahren, aber das interessiere niemanden. „Dann kommen die Nachrichten. Okay. ‚Ein großes Gebäude ist irgendwo abgebrannt.‘ Das ist überall in den Nachrichten. Aber wenn ein Farmer seine Scheune verliert – das ist vermutlich ein ebenso großer Schaden und die gleiche Katastrophe –, gibt es dafür drei Sekunden.“Michael Langyel (64), pensionierter Lehrer, hat sein ganzes Leben in Wisconsin zugebracht. Politisch aktiv in der Lehrergewerkschaft, wohnt Langyel im Landkreis Waukesha im südlichen und industrialisierten Teil. Sein Abgeordneter ist der Republikaner Paul Ryan, seit 1999 im Kongress, 2012 Kandidat für die Vizepräsidentschaft, 2016 wiedergewählt mit 65 Prozent, heute Sprecher des Repräsentantenhauses. Ryans Wahlbezirk hat in den letzten Jahren viele Fabriken verloren, darunter eine große des Autoherstellers General Motors. Er wolle eine Geschichte erzählen, so Langyel, um zu verdeutlichen, wie sehr sich die politische Stimmung in Wisconsin verändert habe. Als junger Mann habe er nach der Schule einen Fabrikjob gemacht: „Echt harte Arbeit. Wir haben die Silos gebaut, in denen Getreide gelagert wird.“ Er habe sich dann bei einem College beworben und einen Studienplatz bekommen. Am Arbeitsplatz habe er davon erzählt. „Die Kollegen sind gekommen, haben mir gratuliert als jemandem, der rauskommt aus dieser Scheißarbeit.“ Damals hatte man das Gefühl: „Wenn einer von uns eine Stufe höher kommt, hilft das allen.“ Das sei lange vorbei, rechte Ideologen hätten dieses Gefühl der Solidarität auf den Kopf gestellt.Die meisten Begegnungen in Wisconsin offenbaren ein Unbehagen über Menschen, die „eine Stufe höher“ gekommen sind. Auch scheint es wenig Sympathien für die einstigen Demonstrationen gegen Walkers gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen zu geben. Regierungsangestellte, die davon betroffen waren, seien doch besser versorgt als viele Bürger, heißt es.Der Siegeszug der Republikaner 2016 lasse sich nicht einfach erklären, sagte Michael Langyel. Zahlenmäßig sei Trumps Vorsprung minimal gewesen. Er selbst habe erst Wochen vor der Wahl realisiert, dass Trump gewinnen könnte. Der habe damals im Waukesha County eines seiner Großmeetings veranstaltet. Langyel: „Ich ging zur Gegenkundgebung und hatte das Gefühl, eine Schlägerei könnte ausbrechen. Diese Leute waren zornig.“ Und jetzt? Ja, da sei sehr viel los gegen Trump. Doch drehe man sich vielleicht im Kreis mit Protesten gegen dies und das. Es fehle ein großes Konzept.Tatsächlich bleibt offen, wie sehr die Demokratische Partei eine glaubwürdige Alternative bietet. Ende Juli hat die Parteiführung einen Aktionsplan vorgestellt mit dem nicht eben packenden Slogan „A Better Deal: Better Jobs, Better Wages, Better Future!“ (Ein besserer Deal: bessere Jobs, bessere Löhne, bessere Zukunft). Chuck Schumer, oberster Demokrat im Senat, legte ein Schuldbekenntnis ab und hörte sich an wie Bernie Sanders: Regierung und Wirtschaft seien verantwortlich, dass der Lebensstandard „hart arbeitender Amerikaner“ seit Jahren gesunken sei. Die Demokraten hätten oft nichts gegen diesen Trend unternommen, „sodass viele Amerikaner nicht mehr wissen, wo wir stehen“. Man wolle jetzt zeigen: „Auf der Seite der Arbeitenden!“ Es gehe nicht ums Regieren, sondern um eine Regierung, die für das Volk arbeite.In Paul Ryans Wahlbezirk treten zu den Kongresswahlen 2018 zwei demokratische Kandidaten an. Neue Gesichter. Eines gehört Randy Bryce, einem Stahlbauarbeiter, der seine Mitbürger fragt: „Wem vertrauen Sie mehr – jemandem, der seit 20 Jahren mit Stahl arbeitet, oder Paul Ryan, der seit 20 Jahren in Washington für die Wall Street arbeitet?“ Antreten will auch die Lehrerin Cathy Myers, die erzählt, sie sei in einem Truck Stop aufgewachsen, den ihre Eltern betrieben hätten. Sie habe schon als Teenager lernen müssen, was Arbeit bedeutet. „Im Kongress will ich die Stimme von Lastwagenfahrern, Lehrern, Fabrikarbeitern und kleinen Unternehmern sein.“ Die Ansichten im Wahlkreis würden sich gerade verändern, findet Myers. Bisher habe sich Paul Ryan mit einem „Home-Town-Boy-Image“ als jemand repräsentiert, der seine Wähler verstehe. Doch wie er sich beim gescheiterten Vorstoß zu Trumpcare, die Obamas Krankenversicherung ersetzen sollte, verhielt, das habe viele Wähler beunruhigt. 50.000 Menschen nur in ihrem Wahlkreis, sagt Myers, wären zu ihrem Nachteil betroffen gewesen. „Dank Senator Sanders sind Bürger heute besser informiert über Möglichkeiten einer staatlichen Krankenversicherung für alle.“ Authentizität sei Wählern wichtig, das stelle sie bei Gesprächen fest. Die Leute wollten jemanden, der in Washington das Gleiche vertritt wie zu Hause.Trump hat Ryan ein großes Geschenk gemacht, einen Deal mit dem taiwanesischen Unternehmen Foxconn, einem Hersteller von Elektronikprodukten, der in Wisconsin eine riesige Fabrik bauen will. Foxconn werde dafür zehn Milliarden Dollar einsetzen. Das sei eine „unglaubliche Investition“, findet Donald Trump. „Wenn ich nicht gewählt worden wäre, würde Foxconn Chef Terry Gou definitiv keine zehn Milliarden Dollar ausgeben.“ 3.000 Arbeitsplätze würden entstehen, vielleicht sogar mehr – bis zu 13.000. Der Staat Wisconsin verspricht, den Investor durch Steuernachlässe im Wert von drei Milliarden Dollar zu begünstigen. Myers und Bryce sind skeptisch: „Der Plan ist eine gute Nachricht für Arbeiter in Wisconsin, wenn der Deal tatsächlich liefert, was versprochen ist“, sagt Bryce. Myrers ist total dagegen. Sie traue dem Versprechen nicht, zudem stecke der Staat viel zu viel Geld in das Projekt.Und Michael Langyel ergänzt, mit drei Milliarden von Staat hätte auch er für Arbeitsplätze gesorgt. Noch im August soll das Parlament von Wisconsin die drei Milliarden bewilligen. Die Republikaner haben dort eine Mehrheit von 64 : 35.
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