Wer hämmert dort?

Schwurbel Dietz Bering beschreibt, wie Luther ab 1914 zur Waffe geschmiedet wurde
Ausgabe 49/2018
In den falschen Händen ist dieser Mann gefährlich
In den falschen Händen ist dieser Mann gefährlich

Foto: imago/Gerhard Leber

Als Dietz Berings Dissertation Die Intellektuellen 1978 bei Klett-Cotta erschien, wurde sie zu einem Grundbuch, das man zur Kenntnis genommen haben musste. In einer Zeit, als nach einer kurzen Phase selbstbewusster Selbstzuschreibung die „Mundwerksburschen“ (Arnold Gehlen) wieder kräftig ausgegrenzt oder diffamiert wurden – man denke an Helmut Schelskys Die Arbeit tun die anderen (1975) oder Kurt Sontheimers Das Elend unserer Intellektuellen (1976) –, lieferte Bering eine historisch solide gegründete Auseinandersetzung mit den einschlägigen Anwürfen seit dem Dreyfus-Prozess in Frankreich. Eine solche Tiefenbohrung lässt einen schwerlich wieder los, zumal, wenn die Konstellationen sich zu wiederholen scheinen.

Im Jahr 2010 kehrte der 1935 in Münster geborene Historiker und Sprachwissenschaftler Bering zu seinem Thema zurück, nun auf 750 Seiten erweitert: Die Epoche der Intellektuellen. 1898 – 2001. Geburt, Begriff, Grabmal. Diese Darstellung wuchs sich für ihn „fast zu einer Geschichte des 20. Jahrhunderts aus“. In ihr verfolgte er noch einmal „den Kampf um Begriffe in der sprachlichen Wirklichkeit“, von einer überzeugungsfesten Grundlage aus: die Intellektuellen als „Verteidiger der gefährdeten Demokratie“. Ein Auftrag, den sie, wie zu zeigen war, allzu oft verleugneten oder vergaßen. Da die Begriffsgeschichte des Intellektuellen von Anbeginn an massiv an antisemitische Ressentiments gekoppelt war, lag es für den Sprachforscher nahe, den in der Namensgebung virulenten Antisemitismus zu erforschen: Der jüdische Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812 – 1933 erschien 1987. Dazu 1991 – als case study einer besonderen Perfidie – Kampf um Namen, über den Versuch des Berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiß, sich gegen die Hohnkampagne von Joseph Goebbels, der ihm den Namen Isidor anhängte, juristisch zu wehren. Mit War Luther Antisemit? Das deutsch-jüdische Verhältnis als Tragödie der Nähe griff Bering 2014 ebenso engagiert wie abwägend in eine heikle Debatte ein.

Nun noch einmal Luther. Aber nicht als Akteur, sondern geradezu als Fetisch, nämlich dessen Namen und Nimbus im propagandistischen Fronteinsatz des Ersten Weltkriegs. Unglaubliches hat der versierte Ausgräber Bering ins Licht der aktuellen Erinnerung befördert. Der Reformator steht hier für Inkarnation und Konzentrat des deutschen (Kriegs-)Wesens. Bering beschreibt die an Widerständen gereifte Persönlichkeit der deutschen Nation – ganz wie Luther. Stichworte: Einheit, Ursprache, Innerlichkeit, Bildung. Wobei freilich das so hehr Beschworene übelst geklittert wurde. Im Zentrum Luther, der selbst zum „Hammer“ wurde, den er angeblich in Wittenberg beim Anschlag der Thesen schwang.

Nur ein Beispiel von zahllosen: „Wer hämmert dort? Durch Gebein und Gemoder geht es wie ein zitterndes Aufhorchen. Merkt ihr den Stundenschlag einer neuen Zeit“ – rabulierte Hans Preuß im Auftrag der evangelischen Landeskirchen, was ihn später dafür prädestinierte, Hitlers und Luthers Wesensverwandtschaft zu rühmen. Nicht nur der Hammer verselbstständigte sich propagandistisch, auch Luthers angebliche Mannestugend und Manneszucht disseminierten eine Schwurbel-Wolke aus Begeisterung, Gehorsam, Überzeugung, Willen, Opferfreude und so fort. Dazu die Sakralisierung des Kriegs, etwa auf einem Plakat, demzufolge der „Hl. Geist“ Pfingsten über den Männern im Graben schwebt: ein deutscher Doppeldecker.

Es wäre nicht Dietz Bering, wenn ihm diese Exhumierung nicht unter der Hand zu einer ausgreifenden Darstellung der damaligen deutschen Kriegspropaganda geriete. Die ist zwar nicht sehr neu, gibt aber alldem den nötigen Zusammenhang.

Info

Luther im Fronteinsatz. Propagandastrategien im Ersten Weltkrieg Dietz Bering Wallstein 2018, 230 S., 24,90 €

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