Das Bemühen um deutliche Abgrenzung ist erkennbar, mit dem der Lyriker und Germanist Dirk von Petersdorff seinen Feldzug gegen die vermeintlichen Altlasten der literarischen Moderne unternimmt. Ihn nerven die »Metadiskurse der Bartträger«, die Verlogenheit der machtbewußten »Priesterliteraten« und jene ordnungsliebenden Staatskünstler, die die Kunst politisch funktionalisieren wollen. Petersdorff spricht vom »Zustand einer erschöpften Moderne«, die nur noch betrieblich intakt sei und Inhalte und Werte vermissen lasse. Rund um 1968 konstatiert er eine gegenmoderne Bewegung, die sich revolutionär gebärde und doch im Grunde ein restauratives Gesellschafts- und Kunstverständnis proklamiere. Ihre Dogmatik wirke bis in die heu
heutige Zeit und verhindere eine konstruktive Auseinandersetzung mit der künstlerischen Tradition ebenso wie mit aktuellen Fragen.Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Jahr 1989 mit dem »Untergang der letzten politischen Religion«, was zu einschneidenden Veränderungen im Selbstverständnis der ästhetischen Moderne geführt habe. Einzuwenden wäre hier, ob der Tanz um das Goldene Kalb des Kapitalismus nicht auch bereits den Charakter einer politischen Religion angenommen habe und ebenso groteske Züge trage wie der röchelnd verendete Sozialismus. Doch gut, das ist nur insofern von Bedeutung, als Petersdorff seine Überlegungen stets auf eine »offene Gesellschaft« kapriziert. Sein Befund einer »erschöpften Moderne zielt weit in die Literaturgeschichte zurück. In der Frühromantik verortet er die Anfänge der Misere, in den Staatsideen von Novalis zum Beispiel, die in ihrer Ambivalenz idealer Ästhetik und konkreter Machtphantasien beispielgebend für eine zweihundertjährige Geisteshaltung gewesen seien.Petersdorff nennt unter anderem Benns Bemühen um eine Verbindung von Ästhetik und Staatskunst, Peter Handkes »Affinität zu Gewalt und Krieg«, Grass´ politische Einmischungen aus der Ära Brandt bis heute, das werbende Eintreten von Christa Wolf für den DDR-Sozialismus und die romantisch-autoritären Schwärmereien von Peter Rühmkorf und Hans Magnus Enzensberger im Kontext der Studentenbewegung. Wobei letzterer ihm heute geläutert erscheint in seiner Beweglichkeit und »Kontingenz« - ein Schlüsselwort der Petersdorffschen Kulturkritik. Kunst habe, so Petersdorff, mittlerweile wieder Religionscharakter angenommen, einem unangreifbaren Mythos gleich, ohne Erdung und Charakter, engherzig, empfindlich und vereinheitlicht, Ausdruck einer fast ideologischen Sehnsucht nach Verbindlichkeit und Elitarismus.Was setzt Petersdorff dagegen? »Es geht nicht um ein neues Programm. Es geht nicht darum, wie es weitergeht. Wer will sagen, was nach ihm kommen wird. Aber damit etwas kommt, damit es weitergeht, muß sich die Gegenwart lösen. Das wäre schon viel.« Zu diesem Zweck müsse man in der Vergangenheit lesen, ihre Kämpfe und Verluste erkennen und daraus lernen. Eine neue Ästhetik solle diese starren Denk- und Formstrukturen überwinden, kritisch die eigenen Voraussetzungen überprüfen und neue Räume des Möglichen und Vorstellbaren öffnen. Der Anschluss an unsere Lebenswirklichkeit müsse hergestellt und das weinerliche Leiden an der Moderne abgelegt werden. In Kenntnis der literarischen Tradition könne wieder, so der Lyriker Petersdorff, mit Reim und Rhythmus experimentiert werden; die Mimesis als substanzielle Aufgabe von Kunst sei wieder ins Zentrum der Bemühungen zu stellen.Es bleibt zu fragen, ob diese sich provokant gebende Kritik nicht mit Kanonen auf Spatzen schießt. In ihren Einzelanalysen erweist sie sich als klug, kenntnisreich und überzeugend, in ihren Bewertungen lässt sie jene »Differenzierung und Pluralisierung« vermissen, die sie selbst vorzufinden wünscht. Man müsste nur - wozu hier der Raum fehlt - eine Linie von Jean Paul bis zu dem Lyriker Paul Wühr ziehen und hätte sich schnell von Dogmen und Ideologien entfernt. Wenn Petersdorff kritisiert, dass »viele ihrer größten Exponenten die Luft haßten, die sie atmeten, obwohl sie Grundlage ihrer Kunst war«, vernachlässigt er geradezu die kreativen Impulse, die aus diesen Schieflagen und Reizungen entstanden sind. Sein Plädoyer für Demut, Eleganz und Ironie ist ebenso programmatisch wie es das eben gerade nicht sein will. Das liegt in der Natur jeder Kulturkritik und wird dadurch natürlich nicht weniger bedenkenswert. Doch für manchen Autor mögen Anmaßung, Radikalität und Aggressivität direkter zu jenem Wahrheitskern führen, den auch Petersdorff irgendwie anstrebt. Und wenn er in Nebensätzen auf Gernhardt, Henscheid oder Enzensberger hinweist, macht er deutlich, dass er dies im Grunde schon im Blick hat. Das gilt auch für das eigene dichterische Schaffen. Das wird auch das Verdikt von empörten Literaturkritikern, die nachts anrufen, nicht verhindern können. Und das ist gut so.Dirk von Petersdorff: Verlorene Kämpfe. Essays. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 2001, 190 S., 39,90 DM