Wer mag jetzt noch nach München?

Kammerspiele Matthias Lilienthal ist raus. Wer die Nachfolge, gar mit Innovationsgeist, antreten will, wäre nicht zu beneiden
Ausgabe 13/2018
Das derzeitige Intendantenbashing erzählt auch davon, wie kurzatmig die Rezeption geworden ist
Das derzeitige Intendantenbashing erzählt auch davon, wie kurzatmig die Rezeption geworden ist

Foto: Keystone/Getty Images

Als Matthias Lilienthal ab der Spielzeit 2015/2016 als neuer Intendant der Münchner Kammerspiele angekündigt wurde, herrschte noch recht einhellige Begeisterung. Dass ihm aktuelle Themen wie Migration und soziales Engagement wichtig sind, dass er ein performancestarkes Ensemble zusammenstellen wollte – all das kündigte er vorab überall freimütig bis vollmundig an.

Und Lilienthal probierte konsequent aus, was ihm zu Beginn seiner Intendanz vorschwebte. Es gab erwartbare Startprobleme; die erhoffte Qualität stellte sich nicht auf Anhieb ein. Mittlerweile lassen sich jedoch einige Erfolge vorweisen; mit Mittelreich und Trommeln in der Nacht sind gleich zwei Produktionen zum Berliner Theatertreffen eingeladen. All dessen ungeachtet kündigte die CSU an, sie werde im Münchner Stadtrat entscheidend gegen eine Verlängerung seines Vertrag stimmen. Lilienthal trat die Flucht nach vorn an und erklärte, er werde in zweieinhalb Jahren seinen Posten abgeben.

Wer jetzt nach Lilienthal kommt, soll offenbar, zumindest nach Wunsch der CSU, eines Teils der Presse und des Publikums, eine Vorliebe für Sprechtheater und virtuoses Rollenspiel mit etwas Experimentiergeist und Interesse für aktuelle Themen vereinen. Ein so hoher wie wenig avantgardistischer Anspruch.

Schaut man auf die andere Seite der Maximilianstraße, hat man ein solches Profil sogar vorliegen: Unter Martin Kušej hat sich das Residenztheater nach einer schwierigen Anfangszeit zu einem wohl austarierten, publikumswirksamen Organismus entwickelt, in dem modernes Sprechtheater geboten wird. Dass Lilienthal mehr auf performatives Spiel setzte und andere Formate von der Lesung bis zum Konzert ins Programm baute, das waren Alleinstellungsmerkmale seiner Kammerspiele.

Spekuliert wird nun über Namen wie Barbara Frey vom Zürcher Schauspielhaus oder Andreas Kriegenburg, der in München zuletzt eher traditionell Macbeth am Resi inszenierte. Großartige Theatervisionen würde man von solchen Nachfolgern spontan nicht erwarten. Als spektakuläre Personalie könnte man Frank Castorf ins Spiel werfen. Aber das Kulturreferat wird kaum einen Intendanten erwägen, der wie Lilienthal aus Berlin kommt und die Konfrontation und Spannung mit dem Publikum sucht. Überhaupt ist die Frage, welcher Theatermacher mit ansatzweise neuen Ideen Lust hat, in eine Stadt zu kommen, wo der letzte Intendant früh starke Kritik von der Presse einstecken musste und dessen Schicksal eine Partei bestimmte, die an Theaterexperimenten wenig Interesse hat.

Wie oft waren Vertreter der CSU in den letzten Monaten in den Kammerspielen und haben ihr Urteil nicht viel mehr in Hinsicht auf Hörensagen und Zeitungsartikel gefällt? Wie viele Zuschauer haben ihr Urteil nach dem ersten, schwierigen Jahr überprüft?

In Berlin sieht man derzeit, wie jede misslungene Inszenierung an der Volksbühne unter Chris Dercon sofort als exemplarisch für das Scheitern des ganzen Hauses interpretiert wird. Nach einem halben Jahr Intendanz. Insofern erzählt das derzeitige Intendantenbashing auch davon, wie kurzatmig die Rezeption geworden ist.

Zuletzt waren an den Kammerspielen beachtlich viele gelungene, zur Diskussion anregende, überregional wahrgenommene Abende zu sehen. München will aber offenbar lieber ein zweites Residenztheater. Wer die Kammerspiele, gar mit Innovationsgeist, übernehmen will, wäre nicht zu beneiden.

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