Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft ist Korruption ein Tausch, "bei dem einer der Beteiligten durch Missbrauch einer Vertrauensstellung eine nicht erlaubte Handlung als Leistung erbringt". Üblicherweise denkt man hier an das von Wolfgang Schaupensteiner beschriebene "Korruptionsdreieck von Wirtschaft, Verwaltung und Politik", bei dem investigativer Journalismus schon zahlreiche Fälle erfolgreich aufgeklärt hat.
Aber der Journalismus kann natürlich auch Geschäftspartner der Korruption sein. In dieser Gefahrenzone bewegt er sich. Dann liefert er Hofberichterstattung und Gefälligkeitsjournalismus für wirtschaftliche oder politische Akteure und Interessen. Freilich, "Käuflichkeit ist das Signum unserer Zeit", meint der Welt-Autor Tilman Krause, und desh
Krause, und deshalb urteilen manche Journalisten auch illusionslos, wo man "in der Maschinerie drin ist, ist man käuflich".In den fünfziger Jahren wies der westdeutsche Schriftsteller Heinz Risse seinen Verlag an, keine kostenlosen Rezensionsexemplare mehr zu verschicken. Die Folge war, dass seine Werke ignoriert wurden. Das Verteilen kostenloser Bücher stellt zwar noch keinen Korruptionstatbestand dar - aber wie steht es mit den vielen Journalistenrabatten? Bei Wohnungseinrichtungen oder Autos können das bis zu 19,5 Prozent vom Neupreis sein. Was geschieht, wenn aufwändige Schiffsreisen für Reisejournalisten finanziert werden - Beauty- und Wellness-Wochenenden für Journalisten in schicken Hotels.Ein süddeutscher Autohersteller der sportlichen Oberklasse bietet Autojournalisten an, das neue Topmodell des Hauses für ein Jahr kostenlos zu fahren. Journalisten werden zum Reifentesten nach Casablanca eingeladen. Oder das neue Automodell wird in Spanien vorgestellt, wobei es sich von selbst versteht, dass der Autohersteller für die Reise- und Hotelkosten des Journalisten nebst Begleitung aufkommt. Insofern war die kritische Berichterstattung über den A-Klasse-Mercedes - Stichwort: Elchtest - durchaus regelwidrig.Natürlich ist es eine strukturelle Tatsache, dass Zeitungen und Sender durch die Vergabe von Anzeigen abhängig und dementsprechend auch erpressbar sind - wie abhängig und anfällig für gekaufte Berichterstattung, wurde am 23. September 2004 deutlich, als der Deutsche Presserat gleich mehrere "schwere Fälle von Schleichwerbung bei der Neuen Westfälischen, der Berliner Zeitung, dem Tagesspiegel und dem Studentenmagazin UNICUM rügte. Der Presserat sah in allen Fällen eine "krasse Verletzung" von Ziffer 7 der publizistischen Grundsätze - der Trennung von redaktionellem Text und Werbung.Ähnlich problematisch ist das "product placement" im Fernsehen, wenn beispielsweise in einer populären Fernsehshow das neueste Automodell präsentiert wird. Oder der Vorstandsvorsitzende eines großen Unternehmens wirft das Netz der Vertraulichkeit aus, lädt eine ausgewählte Schar von Journalisten zu einem Hintergrundgespräch ein und erklärt dabei, er wolle alles über Fehlentwicklungen und Mängel im Absatz der Firma sagen, wenn er sich darauf verlassen könne, "dass niemand etwas darüber schreibt".Das Schmiergeld namens Nähe - die Hofschranzen und der KanzlerHintergrundgespräche sind heute ein wesentliches Mittel der Politik. Jeder Spitzenpolitiker hat seine "Haus- und Hofschreiber", die er bei Bedarf anrufen, mit Informationen versorgen oder zu Hintergrundgesprächskreisen einladen kann. Insofern haben Journalisten heute Züge von Leuten an sich, die man früher "Hofschranzen" nannte.Abgesehen davon, dass staatliche Stellen und Parteien viel Geld an PR-Firmen und Medienberater zahlen, findet die Korruption seitens der Politik in Richtung Journalismus kaum als Austausch von geldwerten Gütern statt. Vielmehr ist die Nähe zur Macht das Bestimmende - der Politiker verteilt Herrschaftswissen, im Gegenzug erwartet er freundliche Berichterstattung. Schon Kurt Tucholsky bemerkte einmal kritisch: Der deutsche Journalist brauche nicht bestochen zu werden, er sei schon froh, eingeladen zu werden.In der Provinz kann das so aussehen, dass der Fraktionsvorsitzende der Mehrheitsfraktion im Stadtrat bei einem Essen den Lokalredakteur über kommunalpolitische Vorhaben ins Bild setzt. Oder ein junger Bundestagsabgeordneter greift zum Telefon und unterrichtet einen Spiegel-Journalisten über die soeben beendete Fraktionsklausur. Dafür wird er durch den Spiegel gelegentlich aus der Masse der namenlosen Hinterbänkler herausgehoben.Besonders begehrt sind Reisen im Tross des Bundeskanzlers, beispielsweise nach Fernost. Dann steht später im Stern: "Zweieinhalb Stunden sitzt der Kanzler in Hanoi nächtens mit der Pressemeute auf der Hotelterrasse und lässt sich zu allem und jedem befragen." (Hans-Ulrich Jörges: "Der Auferstandene", Stern vom 21. 10. 2004). Allerdings wird rigoros ausgeladen, wer nicht spurt: Das ist bei Schröder so, wie es bei Helmut Kohl und seinem Adlatus Andreas Fritzenkötter war.Die Nähe zur Macht kann korrumpieren, dabei sollte der recherchierende Journalismus eigentlich die dunklen Seiten der Macht aufklären. In einem Netzwerk der Vertraulichkeiten dürfte damit allerdings kaum zu rechnen sein. Treffend spricht der Journalist Peter Zudeick vom "Schmiergeld namens Nähe", und der langjährige Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann beobachtet eine "Kumpanei zwischen Politikern und Journalisten" sowie "komplizenhafte Verstrickungen". So sei die "systematische Aufhebung des Antagonismus zwischen Politik und Medien [...] das eigentliche Bonner Charakteristikum" gewesen. In seinem neuen Buch Höhenrausch bekennt Leinemann, er habe auf diesem Gebiet "von beiderseitigen Gefälligkeiten aus Karrierekalkül oder Bequemlichkeit, von zynischen Machtspielen, erpresserischen Übergriffen, staatserhaltender Servilität bis zur plumpen Bestechung [...] alles miterlebt". In Bonn beobachtete der Autor bei Politikern und Pressemenschen zudem eine gemeinsame Konstruktion von Wirklichkeit: "Was Wirklichkeit ist, bestimmen wir, und wer wir sind, bestimmen wir auch. Längst war ein geschlossener Kreislauf entstanden", in dem Politiker symbolische Politik für die Hauptstadtmedien betreiben. Souffliert von der Journaille inszenieren sich die politischen Akteure selbst und kreieren ihre eigenen Wirklichkeiten.Ein problematisches Kapitel für sich ist übrigens auch die Postenvergabe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Parteienproporz. Hier gilt in der Regel die Maxime: "Des Brot ich ess, des Lied ich sing." Ähnliches geschieht bei Zeitungen, wo der Verleger - als Ausfluss seines Eigentümerrechtes nach Artikel 14 GG - die politische Tendenz der Zeitung bestimmen kann.Sonntagabend bei "Christiansen" - das Meinungskartell unter sichDer Journalist Hans Leyendecker beschreibt das Problem des Mainstream-Journalismus so: "Die journalistische Meute ist da, wo der Kurs vorgegeben wird." Das liegt wohl daran, dass man sich als Journalist bevorzugt in der Sphäre der Macht bewegt; man möchte gern "dazugehören".Da wurde zum Beispiel beim Thema "Demografie" von Meinhard Miegel und Kurt Biedenkopf die Linie vorgegeben - und alle schrieben es nach. Oder: Eine Stunde nach dem Ende des Mannesmann-Prozesses schrieb ein Journalist vom Manager-Magazin einen Bericht für Spiegel-online mit dem Tenor: die Staatsanwaltschaft war trottelig, die Verteidigung triumphierte - und alle schrieben es nach. Eine besonders krasse Spielart von Mainstream-Journalismus ließ sich in den USA während des Irak-Krieges im März/April 2003 beobachten - hierzulande im Spätsommer 2004 bei den Themen Agenda 2010 und Hartz IV.Walter van Rossum bemerkte dazu in dieser Zeitung (Freitag vom 30. 7. 2004) der "parlamentarische Raum" trete "mit der Geschlossenheit eines Zentralkomitees" auf. Dazu kommt ein Meinungskartell von Wirtschaft, Lobbyorganisationen und Medien. Anstatt kritisch zu analysieren, betet der Journalismus mehrheitlich und kritiklos die Parole nach, es gebe zur eingeschlagenen Politik von Rot-Grün "keine Alternative".Mainstream-Journalismus und Zivilcourage sind nicht miteinander vereinbar. Walter van Rossum meint, "Journalisten trauen ihrer Wahrnehmung nicht, beobachten nur selten die Wirklichkeit, sondern schreiben die kunstvoll inszenierte Medienrealität fort."Zu einem wahrlich exemplarischen Fall geriet eine Sendung von Sabine Christiansen Ende Oktober. Der Vorankündigungstext im Internet ließ wissen: Die Vorstellungen der Bürger "von sozialer Gerechtigkeit trifft die Politik immer seltener... Wie kommt sie raus aus dieser Falle?" Es waren dann genau die passenden "Experten" eingeladen, die über diese Frage diskutierten: Peer Steinbrück (SPD), Ursula von der Leyen (CDU), Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen), Guido Westerwelle (FDP) und Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Obwohl es - laut Ankündigung - um die "Vorstellungen der Bürger" gehen sollte, waren wieder einmal die Vertreter des Meinungskartells unter sich. Nicht eingeladen waren zum Beispiel normale Bürger, Ostdeutsche, Vertreter der Gewerkschaften, der Kirchen, der Rentner, der PDS oder von Attac.Bei einem solchen am Mainstream-Journalismus orientierten und verengten Meinungsbild ist die aufgeführte "Debatte" letztlich eine Farce. Es entsteht dann im Ergebnis - um hier einen Begriff von Elisabeth Noelle-Neumann zu verwenden - ein "doppeltes Meinungsklima", das tradierten Erscheinungsformen zentraler Presselenkung ähnelt: Es gibt einen offiziellen Diskurs - und es gibt die völlig andere Wahrnehmung der Bürger. In der Sprache des Märchens von Hans Christian Andersen ausgedrückt: Der Kaiser ist nackt - und die Medien beschreiben seine Kleider. Im Ergebnis führt das zu einer Vertrauenskrise des politischen Systems und zu Wahlgewinnen extremer Parteien.Für eine politisch korrumpierbare und käufliche Presse gilt analog, was der Deutsche Juristentag zur Korruption feststellte: Sie "beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in den Staat und könne Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl der Mitbürger erschüttern".Sicherlich, es gibt die Ziffern 7 und 15 im Kodex des Deutschen Presserates, aber dieses Gremium kann die Einhaltung des Pressekodex nicht wirksam durchsetzen. Denn eine freiwillige Selbstkontrolle sprengt sich selbst, wenn sie - man denke an die fragwürdige Praxis der Sonderveröffentlichungen - die Existenzgrundlage der sie tragenden Verleger und Journalisten in Frage stellt.Der Paragraf 299 des Strafgesetzbuches, auf den Journalismus ausgedehnt, wäre schon eine sinnvolle Veränderung. Oder sollte man zum Schutze des Medienkonsumenten vor Korruption und Schleichwerbung stärker eine Art "Medien-Verbraucherschutz" entwickeln? Es erscheint auf jeden Fall geboten, bei den Medien durch die Frage cui bono? Transparenz über korrumptive Verflechtungen herzustellen. Anstatt sich im Sog des Mainstreams zu bewegen, sollten Journalisten im Sinne der Maxime von Immanuel Kant den Mut haben, sich "des eigenen Verstandes zu bedienen".Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sein Text beruht auf der gekürzten Fassung eines Vortrages, der auf der Tagung Im Schatten der Öffentlichkeit. Medien und Korruption, veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung und Transparency International am 28. Oktober 2004 in Berlin, gehalten wurde.
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