"Dann wäre der Himmel rosa", sagt Petrick Pesch, ein Zweimetermann und gewiefter Trainingskapitän bei CityLine, einem Tochterunternehmen der Lufthansa. Wirklich ernst gemeint ist seine lakonische Bemerkung nicht. Schon eher ein achselzuckendes Hinausmogeln auf die Frage, warum denn immer noch so wenig Frauen im Cockpit der Linienflugzeuge zu finden sind. Denn insgesamt zählt man in der deutschen Zivilluftfahrt gerade einmal zwei bis drei Prozent Kapitäninnen und Copilotinnen. Eine davon werde ich treffen.
Draußen in Berlin Schönefeld, im Lufthansa Flight-Trainingszentrum. Dort stehen in ausladenden Hallen Flugsimulatoren. Keine kompletten Maschinen, sondern rumpfähnliche Gebilde auf Stelzen. Sie erinnern an abgebrochene Cockpits, die sich auf und nieder be
nieder bewegen und dabei geräuschvoll Luft einsaugen und dann wieder ausstoßen. Innen schaut es dann allerdings aus wie im Original. Computergesteuerte Systeme, Lämpchen, Displays, Schalter und Hebel. Es schnarrt und rauscht aus Kopfhörern und Lautsprecher. Verwirrend für den mitfliegenden Laien, selbstverständliches "Handling" für den Profi, so Copilotin Simone Stahl. Für sie und den Flugkapitän laufen die Startvorbereitungen. Beide geben kurze knappe Kommandos, alles auf Englisch, nur manchmal rutscht ein deutsches Wort dazwischen. Festgelegte Sprachrituale und Abläufe. Drei Monitore auf dem Dach liefern die "Realität". Zunächst das Rollfeld, später dann den Himmel. Heute mit dicken, undurchdringlichen Wolken. Die Sicht ist auf Schlechtwettervariante gestellt. Der Trainingskapitän kann das per Knopfdruck organisieren. Und er kann noch mehr: Notsituationen herbeirufen. Feuer an Bord zum Beispiel oder das Versagen eines Triebwerkes. Aber es gibt kein Katastrophenszenario à lala Hollywood. Beide Piloten, Kapitän und Copilotin, reagieren bewundernswert unaufgeregt, in der Ruhe liegt das Können, auch wenn der Adrenalinspiegel spürbar steigt. Diese psychische Belastung wird trainiert, immer und immer wieder. Sie ist das A und O für den Pilotenberuf.Simone Stahl wollte nie etwas anderes werden. Schon mit acht Jahren hat sie ihrer Familie mitgeteilt, dass sie eines Tages fliegen werde. Die Aussichtsterasse des Flugplatzes war für sie so etwas wie ein Abenteuerspielplatz. Jedes Mal, wenn eine Maschine auf und davon flog, gingen ihre Träume mit auf die Reise. Gedauert hat es dann aber länger als gedacht, bis ihr Wunsch in Erfüllung ging. Es scheiterte am Eigenkapital. Denn die zweijährige Pilotenausbildung kostet richtig viel Geld. Etwa 100.000 Euro müssen aufgebracht werden für die Theorie und Praxis zwischen Himmel und Erde. Welche junge Frau aber hat überhaupt eine so enorm hohe Summe unmittelbar nach dem Abitur? Simone Stahl hatte sie nicht. Darum studierte sie zunächst Tiermedizin. Jobbte bei jeder Gelegenheit, in den Semesterferien, am Ende so manchen Studientages. Sie sparte jeden sauer verdienten Pfennig. Irgendwann sprang die Mutter ein und gab der Tochter, was sie konnte. Den größeren Rest übernahm danach die Bank. Ein Kredit, immerhin gewährt ohne Bürgschaft und ohne Sicherheiten. Simone Stahl hatte überzeugt. Mit ihrem Willen und vor allem mit dem eigenen finanziellen Engagement. In der Ausbildung war sie dann weit und breit die einzige junge Frau. Im Vorbereitungstest waren sie noch zu zweit. Auf zehn Bewerber für die Pilotenausbildung, das erzählt die Statistik, kommt nur eine Kandidatin.Abitur ist Voraussetzung. Mathematik und Physik als Leistungsfächer, perfektes Englisch ohnehin. Die äußeren Anforderungen? Sie halten sich in Grenzen. Bei über zwei Meter Körperlänge wird es eng, unter einsfünfzig wäre wiederum zu klein. Dazwischen aber geht alles. Und selbst eine Brille sei heutzutage kein Ablehnungsgrund mehr, sagt Persch. "Es ist allerdings so", sinniert der ehemalige Flugkapitän weiter, "dass Sie als Mann im Pilotenberuf ein relativ hohes Sozialprestige genießen und in der Regel kein Problem haben, eine Lebensgefährtin zu finden. Aber als Frau, wenn Sie Pilotin sind, schrecken Sie die Männer eigentlich eher ab." Nach drei Jahren Flugerfahrung, ständig wechselnden Einsätzen und mehr unterwegs als zuhause sein, sieht Simone Stahl das ähnlich. "Männer bewundern Frauen in Pilotenuniform, vermuten in ihnen die starke Frau. An der Seite aber haben sie lieber eine, von der sie betütelt werden."Die seit drei Jahren existierende AG Pilotinnen hat darum nach neuen Arbeitsmodellen gesucht und sie auch gefunden. Wer will, kann in Teilzeit fliegen. Das geht nicht auf allen Strecken, aber immerhin. Und genutzt werden kann es von Pilotinnen und Piloten. Jedenfalls bei der Lufthansa.Das sind gute Aussichten möglicherweise auch für Simone Stahl. Irgendwann später. Jetzt ist sie gerade mal 27 Jahre alt und fliegt das dritte Jahr. Immer noch leidenschaftlich gern. Die Welt von ganz oben gesehen ist faszinierend, genauso jeder Sonnenaufgang oder das Gleiten durch watteweiche Wolken.Ihr erster Flug als fertige Copilotin ging nach Paris. Bei Regen und kräftigen Windböen. Vergessen hat sie ihn nicht. Auch nicht die Witzeleien der Kollegen an Bord. Aber die waren nie bitter, denn man ist viel zu sehr aufeinander angewiesen. Egal ob Copilotin oder Kapitän, die Professionalität zeichnet beide aus, in komplizierten Momenten allerdings trifft nur einer die letzte Entscheidung. Und das ist der Kapitän, der mittlerweile eben auch eine Frau sein kann. Simone Stahl will auf jeden Fall an diesen Platz rücken. Das braucht noch viele Flugstunden und eine Planstelle. Aber sie kann warten und ist ehrgeizig.Ehrgeizig waren vor Simone Stahl auch viele andere Pilotinnen. Sie kennt nur kaum jemand, diese Himmelstürmerinnen der ersten Stunde. Ihre Spuren sind verwischt, kaum ein Nachlass existiert. Kaum ein technisches Museum hat die Flugerfolge von Frauen archiviert, denn Fliegen ist in der Öffentlichkeit noch immer eine Erfolgsgeschichte der Männer. Zwei Historikerinnen aus dem Zeppelin-Museum in Friedrichshafen am Bodensee haben diese Lücke geschlossen, mit einer Ausstellung, die jetzt darauf wartet, auf Wanderschaft zu gehen, und mit einem üppig gestalteten Katalog Frauen und Flug - die Schwestern des Ikarus. Erstmals blättern sich Geschichten von Ingeneurinnen, Flugzeugkonstrukteurinnen, Ballonfahrerinnen, Bordmechanikerinnen bis zur waghalsigen Pilotin in Wort und Bild auf. Frauen aus den USA, Italien, Ungarn, Frankreich, England, aus der frühen Sowjetunion und aus Deutschland haben sich nahezu zeitgleich mit den Männern als Pionierinnen der Luftfahrt versucht.In Deutschland war Amelie Beese - kurz Melli Beese genannt - die erste Motorfliegerin. 1911 absolviert sie die Prüfung, ihre Lizenz trägt die Nummer 115, das heißt gerade einmal 114 Männer hatten vor ihr diese Leistung vollbracht. Ihr Pilotenschein brachte Melli Beese keineswegs nur Beifall ein. Ganz im Gegenteil: diejenigen, mit denen sie es auf dem holprigen, von Kaninchenlöchern übersäten Flugplatz in Berlin Johannisthal zu tun hatte, machten ihr das Leben zur Hölle. Frauen waren schließlich dazu da, Männer zu bewundern, nicht aber, es ihnen gleich zu tun. So wurde Benzin aus ihrem Tank abgelassen oder an der Flügelkonstruktion gebastelt. Lebensgefährliche Augenblicke. Melli Beese bleibt unbeeindruckt. Sie gewinnt Flugwettbewerbe, stellt männliche Piloten in den Schatten und eröffnet eine eigene Flugschule, in der sie vor allem Frauen unterrichtet. Damit nicht genug, setzt sie noch eins drauf, entwickelt eigene Flugzeuge und hofft darauf, dass die Armee sie kauft. Denn inzwischen kündigt sich der Erste Weltkrieg an. Melli Beese wird ihre Flugzeuge nicht los, dafür aber alles andere. Man enteignet sie, schließt ihre Flugschule und transportiert ihre Maschinen ab. Der Grund: Melli Beese hat inzwischen den gutaussehenden französischen Piloten Charles Boutard geheiratet. Damit wird sie automatisch zur feindlichen Ausländerin, und mit Kriegsbeginn verbannen die Behörden das Ehepaar in die Prignitz auf verarmte Bauernhöfe. Die beiden sind nun angewiesen auf Almosen. Denn das Gesetz verbietet es "feindlichen Ausländern", Lebensmittel zu verkaufen. Es folgen vier entsetzlich lange Jahre ohne Arbeit, in tiefer Armut und in einer Umgebung, in der sie verachtet werden. Das hinterlässt Spuren, die Ehe zerbricht unter der Belastung. Die Inflation wird die vor Gericht erkämpften Entschädigungsgelder auffressen. Melli Beeses Versuch, die Pilotenprüfung nach jahrelanger Flug-Pause erneut zu bestehen, scheitert. Sie nimmt sich kurz vor Weihnachten 1925 das Leben und wird für viele Jahre vergessen. Hanna Reitsch galt in der NS-Zeit als die Pilotin schlechthin. Eine Draufgängerin, Perfektionistin, die alles flog, was ihr in die Hände kam. Sie war klein und zierlich, aber keine Maschine konnte groß und gefährlich genug sein für sie. Reitsch holte einen Rekord nach dem anderen vom Himmel, anfänglich mit Segelflugzeugen, später mit schweren Maschinen. Auch mit Kriegsflugzeugen. Hanna Reitsch war nicht nur eine leidenschaftliche Pilotin, sondern eben auch eine glühende Patriotin. Der Film Der Untergang hat sie als Legende noch einmal kurz aufleben lassen, als die besessene Fliegerin, die ihren "Führer" aus dem Bunker mitten in der Reichshauptstadt retten möchte. Dafür ist sie bereit ihr Leben zu geben.In die gleiche Ära fällt die Karriere von Melitta Schiller, eigentlich Melitta Schenk von Stauffenberg. Sie war mit einem der beiden Stauffenberg-Brüder verheiratet. Ihr Vater was ein Mann jüdischer Herkunft und sie selbst flog als Testpilotin für die Nazis. Zielstürze aus 6.000 Metern Höhe ließen selbst Männer in Uniform erschaudern. Nach dem 20. Juli und dem Attentat auf Hitler kommt sie wie alle Stauffenbergs in Sippenhaft. Sie bittet schriftlich um ihre Entlassung "wegen der kriegswichtigen Dienste". Das wird akzeptiert. Aus Melitta Schenk von Stauffenberg wird ab sofort Melitta Schiller. Sie nimmt ihren Mädchennamen wieder an und fliegt weiter für das Dritte Reich, bis sie 1945 abgeschossen wird. Tagebuchnotizen existieren nicht. Keine Erklärungen. Beide Frauen waren hoch dekoriert. Mit dem Eisernen Kreuz. Mit dem Flugzeugführerabzeichen in Gold, verziert mit Brillanten. Hanna Reitsch hat, bis zur ihrem Tod 1979, nie aufgehört, sich für ihren militärischen Einsatz zu rühmen. Sie hat viel geschrieben über sich und ihr rasantes Fliegerleben. Eine Zeile der kritischen Auseinandersetzung sucht man umsonst. Kein einziges Wort.Dies sind Geschichten, die kaum jemand kennt. Anfangs wurden sie verschwiegen, später gerieten sie in Vergessenheit. Auch Simone Stahl wusste vor und mit ihrer Ausbildung als Verkehrspilotin nichts über Frauen in der Fluggeschichte. Wetterkunde war wichtig, Theoretisches und Praktisches zum Pilotenschein, Triebwerke und Technik, Luftrecht nicht zu vergessen. Das schüttelt sie aus dem Handgelenk, auch bei diesem Trainingscheck. Muss sie auch. Denn die Pilotenlizenz gilt immer nur ein halbes Jahr. Dann wird sie erneuert unter den prüfenden Augen erfahrener Trainingskapitäne. Zum Schluss landet Simone Stahl den großen Canadair Jet per Hand. Ganz sanft macht sie das. Nach immerhin vier Stunden Flug ohne Pause und nachdem sie gemeinsam mit ihrem Kapitän ganz alltägliche und unvorhersehbare Flugsituationen simulierte. Wir setzen auf ohne Holpern. Wir sind am Ziel, zurück am Ausgangsflughafen Berlin Schönefeld, ebenfalls simuliert. Feierabend für heute. Simone Stahl wird jetzt Zeit haben, für ihre "Schwestern". Sie wird nachblättern bei den Schwestern des Ikarus und Schönes, Erstaunliches, Trauriges und Tragisches aus der fast 100-jähigen Geschichte von Frauen und Flug erfahren.
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