Wer wird der Judas sein?

USA Noch ist offen, wie die Republikaner mit ihrer Entmachtung umgehen – und mit Ex-Präsident Trump
Ausgabe 03/2021
Die US-Demokratin Nancy Pelosi zeigt das Dokument mit ihrer Unterschrift in die Kamera, das die Herabsetzung Donald Trumps formal in Gang setzt
Die US-Demokratin Nancy Pelosi zeigt das Dokument mit ihrer Unterschrift in die Kamera, das die Herabsetzung Donald Trumps formal in Gang setzt

Foto: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

Joe Biden handelt zügig bei Corona und auch sonst, das zeigen seine Exekutivanordnungen am Tag 1 der Präsidentschaft. Manche in der Republikanischen Partei wollen diese neue Realität nicht akzeptieren, das Verlogene von den „gestohlenen Wahlen“ soll sich festsetzen. Doch stellt sich, nachdem Donald Trump widerwillig Abschied nehmen musste und ein paar Hundert seiner Anhänger das Kapitol gestürmt haben, die Frage, wie es weitergeht mit der entmachteten Regierungspartei. Dominiert der Ex-Präsident? Oder haben moderate Republikaner plötzlich das Rückgrat, Kompromisse mit Biden zu schließen? Karrierebewusste rechte Akteure wie die beiden Senatoren Ted Cruz und Josh Hawley hoffen offenbar, sie könnten mit ihrer Rhetorik vom „fragwürdigen“ Wahlergebnis Trumpisten um sich scharen. Darin spiegelt sich nicht nur Führungsstreit, es geht darum, wie die Republikanische Partei Strömungen von der Q-Anon-Verschwörung bis hin zu evangelikalen Megakirchen-Christen unter ein Dach bringt. Manche Unternehmen wollen für Kandidaten keine Spenden mehr vergeben, die das Votum vom 3. November nicht anerkennen. Das untergrabe „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, so die US-Handelskammer.

Das Trump-Lager will bei kommenden Vorwahlen Bewerber gegen Republikaner aufstellen, die man für Abweichler hält. Der getreue Baptistenprediger Franklin Graham wurde biblisch bei seiner Kritik an republikanischen Abgeordneten, die für ein Impeachment stimmten: Man müsse sich fragen, „welche 30 Silberlinge“ sie bekämen. Eine Anlehnung an die Geschichte vom Verrat Jesu, für den der Apostel Judas 30 Silberlinge bekommen hatte. In der Vergangenheit haben die Republikaner das Gemeinsame immer wieder gesichtswahrend vorgezeigt. Verschwörungsmaterial hat Tradition. Die 1958 gegründete antikommunistische John-Birch-Gesellschaft opponierte gegen eine angebliche kommunistische Durchdringung der Regierung des republikanischen Präsidenten Dwight Eisenhower (1953-1961). Anfang der 1990er warnte Fernsehprediger Pat Robertson, Gründer des Verbandes Christian Coalition, vor einer „Neuen Weltordnung“, die vorangetrieben werde von der Trilateralen Kommission und „den Eliten“. Milizen bewaffneten sich. Die Warnung galt der Republikanischen Partei und ihrem Präsidenten George H. W. Bush, der 1990 vom Gebot einer Neuen Weltordnung nach dem Kalten Krieg gesprochen hatte. Vor zehn Jahren entstanden Tea-Party-Gruppierungen gegen den Demokraten Obama.

Stammwähler bröckeln

Traditionell verstehen sich die Republikaner als Partei der freien Marktwirtschaft und protestantischen weißen Mittelschicht. Sie lehnen Gewerkschaften, fortschrittliche Steuern, Vorschriften zu Bürgerrechten und Regierungsprogramme für Soziales ab, sei es die staatliche Rentenversicherung aus den 1930ern oder die Krankenversicherung des Präsidenten Obama. Mit einem solchen Konzept lassen sich schwer Wählermehrheiten finden, auch wenn sich die Partei bei kulturellen Fragen mutmaßlich auf die Seite der „kleinen Leute“ stellt, die man nicht der Macht von Regierungen ausliefern wolle. Trump hat geschickt die Wirtschaftseliten attackiert und weiße Amerikaner angesprochen, die sich benachteiligt fühlen. Man musste beim Sturm auf das Kapitol mit der sprichwörtlichen Lupe suchen nach Schwarzen.

Nach Obamas zweitem Wahlsieg 2012 wurden in der Partei Denkpapiere geschrieben, die den demografischen und kulturellen Wandel analysierten. Es gäbe bald nicht mehr genug Stammwähler: konservative weiße Protestanten. Befürworter einer Öffnung haben sich nicht durchgesetzt. Stattdessen kam Trump, der mit seinem demagogischen Talent zwar keine Mehrheit bekam, doch gewinnen konnte.

Es ist schwer für Republikaner, nach vier Jahren ergebener Loyalität nun plötzlich auf Distanz zu gehen, selbst wenn sie wollten. Das Bekenntnis zu einer weißen Vorherrschaft ist in den Trump-Jahren unter den Rechten akzeptabler geworden. Die Bilder von Randalierern im Kapitol kollidierten freilich mit dem Verlangen nach gesellschaftlicher Ordnung. Noch dominieren diese Gewalttäter in den Medien und bekommen dort ein Megafon. Dennoch: Die Mehrheit der Amerikaner hat Biden gewählt.

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