Den Antworten zu trauen, die ein Wahlprogramm gibt, ist häufig naiv. Das ist bekannt genug, wir lesen es jetzt wieder in allen Zeitungen: Das Wahlprogramm der Union verspricht Steuersenkungen im Lauf der kommenden Legislaturperiode; viele CDU-Politiker, die Kanzlerin wahrscheinlich eingeschlossen, glauben nicht daran, also brauchen auch wir nicht daran zu glauben; aber es war ein Kompromiss mit dem CSU-Vorsitzenden, der am liebsten versprochen hätte, die Steuern würden gleich nach dem Wahltag gesenkt. So viel zu den Antworten. Aber vor allem sollten wir den Fragen misstrauen.
Können die Steuern angesichts der Wirtschaftskrise gesenkt werden oder nicht? Nützt es gar zur Überwindung der Krise, oder schadet es eher? Das sind die Fragen, die wir uns stellen sollen. Ist das nicht eine merkwürdige Debatte angesichts dessen, was gerade erst gemeldet wurde? Es gebe Gerüchte über eine Mehrwertsteuer-Erhöhung; „Parteikreise“ der Union versprächen sich davon Mehreinnahmen von 14 Milliarden Euro. Natürlich wurde umgehend dementiert, doch Wolfgang Franz, der Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen, ließ sich mit der Einschätzung vernehmen, er sehe Steuererhöhungen als unausweichlich an. Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle sagte, die Regierung werde Einsparungen im Haushalt – er meinte offenbar den sozialstaatlichen Haushalt – schwer durchsetzen können, so dass sie wahrscheinlich stattdessen den Weg der Steuer-Erhöhung beschreite.
Diese Weisen wichen der Frage, die sich wirklich stellt, nicht aus. Der Bundeshaushalt wird im nächsten Jahr eine Rekord-Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro ausweisen. Ähnlich hohe Beträge sind in den Folgejahren zu erwarten. Wie wir wissen, rühren sie von der Rettung des „systemnotwendigen“ Kapitals her. Es geht angesichts dessen nicht um die Frage, ob der Staat noch größere Summen ausschütten kann, indem er zusätzlich zur Verschuldung auch noch von dem Geld, das ihm durch Steuern zufließt, etwas oder möglichst viel zurückgibt, sondern es geht darum, wer für die Verschuldung aufkommt – wer für die Rettung des Kapitals die Zeche zahlt. Drei Möglichkeiten gibt es, die Frage zu beantworten. Entweder man bürdet die Rechnung den gewöhnlichen Menschen auf und plant dann entweder Steuererhöhungen oder eine Minimalisierung des Sozialstaats oder beides. Oder man sagt, das Kapital habe an seiner Krise selbst schuld, denn die sei vermeidbar gewesen, also müsse es für die Rettungskosten selbst aufkommen. Wem diese zweite Antwort nicht gefällt, der könnte die dritte erwägen: Solche Krisen seien nicht vermeidbar, sondern gehörten zum Wesen des Kapitalismus; also müssten wir diesen selbst haftbar machen, die Geduld mit ihm verlieren. Man kann sich zwischen den Antworten entscheiden. Aber man soll nicht so tun, als ginge es um ganz andere Fragen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.