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SCHWERES LOS Wie die Wirklichkeit mit 570 Professoren umgeht

Eben noch werben in Deutschland 570 Professoren für eine Neubewertung der Atomkraft und stellen die Atomgefahr auf eine Stufe mit der Windenergie, da hat sie die Wirklichkeit mit einer Geschwindigkeit blamiert, die niemandem, nicht einmal den konsequentesten Atomkraftgegnern gefallen kann. Zu viele Menschen sind geschädigt worden. Das, was verharmlosend "Restrisiko" heißt, hat mehr als 50 Strahlenopfer gefordert, für zwei der drei schwer Verseuchten besteht unmittelbare Lebensgefahr. - Niemand weiß, welche Folgen für diejenigen entstehen, die im Zweiminutentakt versuchten, das Kühlwasser in der Fabrik abzulassen, um so die Kettenreaktion zu stoppen. Und schon melden sich die Beschwichtiger zu Wort.

Eben noch war Japan ein High-Tech-Land, jetzt ist die Atomfabrik in Tokaimura eine "Schrottmühle", meint Rupprecht Maushart vom Fachverband für Strahlenschutz. Ein Siemens-Sprecher wiegelt ab: Bei der deutschen Uranverarbeitungsanlage in Lingen sei ein vergleichbarer Unfall nicht möglich, weil dort nicht mit hochangereichertem Uran hantiert werde (HEU). Und natürlich sind die Deutschen einfach besser ausgebildet und verantwortungsbewusster ... Geflissentlich sprach Maushart nicht von dem Plan, im Forschungsreaktor Garching das umstrittene HEU einzusetzen. Übrigens, das Denken dieser Leute endet an engen nationalstaatlichen Grenzen: kein Wort zur deutschen Beteiligung im französischen Cardarache, kein Wort zur riskanten Wiederaufarbeitungstechnologie in La Hague (Normandie) beziehungsweise dem britischen Sellafield. Dort kann es sehr wohl "vergleichbare" Unfälle geben.

Und wie reagiert der grüne Bundesumweltminister Trittin? Ihm ist es wichtig zu sagen, dass für Deutschland keine unmittelbare Gefährdung bestehe, weil die Emissionen aus der japanischen Uranfabrik vergleichsweise "viel geringer als in der radioaktiven Wolke von Tschernobyl" gewesen seien, anstatt Ausstiegsszenarien beschleunigt voranzutreiben. - Seine Rede vom "Risikofaktor Mensch" bleibt ungehalten. Das Restrisiko, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit eine statistische, also fiktive Größe ist, aber besteht auch künftig überall und macht die Sache mit der Atomkraft so unberechenbar.

Die Grünen, die noch als Oppositionspartei den Sofortausstieg verlangt hätten, mahnen jetzt schwammig "zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen" an. Da bleibt es Sache der Umweltverbände und Bürgerinitiativen, wenigstens sofortige Sicherheitsüberprüfungen anzumahnen. Die gewählte, amtierende rot-grüne Bundesregierung macht inzwischen wortreich Atomausstieg von Entschädigungsfreiheit abhängig und folgt damit der Logik des Kapitals.

Von der Politik darf man getrost mehr erwarten, als dass sie sich zum Sachwalter ökonomischer Interessen bis hin zur Verteidigung von Gewinnerwartung macht. Da wirkt es fast wie ein Trost, wenn wenigstens der sonst so gebeutelte Kanzler ein bisschen was Kritisches drauflegt: Die Energiewirtschaft, sagt er energisch verbindlich, erwecke den Eindruck, sie spiele "auf Zeit".

Die Atomkraft blockiert eine Energieversorgung, die ökologische Standards einlöst (Nutzungsgrad). Wie wäre es, wenn sich Gewerkschaften und Umweltverbände für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Erhalt der Kraft-Wärmekopplung und den Ausbau der regenerativen Energien einsetzten? Am 13. November trecken die Bäuerinnen und Bauern aus dem Wendland nach Berlin. Sie demonstrieren für den Atomausstieg. Ein ausgezeichnetes Datum für neue Bündnisse! Ein Bündnis für Ausstieg, Umstieg und Arbeit - Gerhard, wir kommen!

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