Werktreu

Im Kino Die Comic-Adaption "Sin City" zeigt die genreübliche Gewalt - ohne Anführungszeichen

Schon klar: Robert Rodriguez ist mit Sin City ein Meilenstein in der Geschichte der Comicverfilmungen gelungen. Nie zuvor ist eine graphic novel so kongenial umgesetzt worden, nie zuvor hat man eine so perfekte Synthese von lebendigem Schauspiel und visual effects erlebt. In sklavischer Werktreue hat Rodriguez drei Episoden aus der siebenbändigen Comic-Saga Sin City, die Frank Miller Anfang der neunziger Jahre zu zeichnen begann, beinahe Tableau für Tableau umgesetzt und in die Dreidimensionalität katapultiert. Mithilfe aufwändiger Computertechnik ist eine schwarzweiße Schattenwelt entstanden, die ihre Einflüsse gleichermaßen aus dem Expressionismus wie dem Film Noir bezieht. Der gezeichneten Unterwelt der Comics wird auf geisterhafte Weise filmisches Leben eingehaucht.

Düstere Gassen, lange Schlagschatten, ewiger Nieselregen, korrupte Macho-Cops und verschlagene Babes charakterisieren ein Sündenbabel, wo nur die niedersten Instinkte überlebensfähig sind. Wer in Sin City die Moral hochhält, wird umgehend niedergeschossen. Das ist ein Naturgesetz. Die drei Episoden erzählen denn auch die immergleiche Geschichte von Liebe und Verrat, Eifersucht und Hass, Rache und Mord, vom letzten Kampf des Guten gegen eine Welt aus Gewalt und Verderben. Ein desillusionierter Cop (Bruce Willis) wird bei seinem letzten Diensteinsatz vom eigenen Partner rücklings erschossen. Ein vom Leben vielfach gezeichneter Schläger (Mickey Rourke) rächt den Mord an seiner einzigen Liebe (Jaime King) und landet auf dem elektrischen Stuhl. Zwei Rivalen (Clive Owen und Benicio Del Toro) buhlen um dieselbe Frau (Brittany Murphy) und setzen dabei eine Kaskade von Gewalt in Gang.

Hatte der Film Noir schon immer auf die Kehrseite der Oberflächen-Welt hingewiesen und hinter dem gesellschaftlichen Tand ein verstörendes Reich von widerstrebenden Gefühlen entdeckt, drehen Frank Miller und Robert Rodriguez diese Schraube gehörig weiter, indem die "heile Welt" allenfalls als Erinnerung in den inneren Monologen der Protagonisten auftaucht und als einziges Gefühl nur nackte Gewalt zulässig ist. Eine Gewalt, die an vielen Stellen als blanker Sadismus hervortritt und auf eine abgrundtief defätistische Imagination schließen lässt; eine Gewalt, der überaus breiter Raum für eine anschauliche Darstellung gelassen wurde. An einigen Stellen entschloss man sich gar - wohl um die Altersfreigabe zu drücken -, das Blut weiß einzufärben, statt es, wie auch andere Details im Film, als Farbtupfer in einer monochrom dominierten Kulisse zu benutzen.

Gerade die endlosen inneren Monologe und sein Umgang mit Gewalt werden dem Film allerdings zum Verhängnis. Sin City scheitert an seinem Anspruch absoluter Werktreue. Sätze wie "Sie zittert im Wind wie das letzte Blatt an einem sterbenden Baum" mögen ja noch angehen. Anders als Umberto Eco jedoch einmal formulierte, wirken hier hundert Klischees nicht ergreifend, sondern schnell nervtötend. Der innere Monolog scheint kein Stilmittel zu sein, das auf Dauer einem Film zuträglich ist. Weil die dargestellte Welt ohnehin der Fantasie der Protagonisten entspringt, müssen deren andauernden Introspektionen einfach redundant erscheinen. Überdies braucht der Film unendlich lange, bevor er in Fahrt kommt, und seine Episoden sind unterschiedlich gut gelungen, wobei Stadt ohne Gnade, die Episode mit Mickey Rourke, herausragt.

Doch besonders der ganz und gar ironiefreie Umgang mit Gewalt verleidet einem den Spaß an Sin City. Ironiefrei geht es zwar auch in den Comics zu. Doch könnte man argumentieren, dass die im Film fehlenden Onomatopöien, die comictypischen Lautmalereien, von denen Miller in seinen Bänden ausgiebig Gebrauch macht, als Distanzierungsmerkmal fungieren, als Verfremdungseffekt. Naturalistische Geräusche, in welche die Lautmalereien übertragen worden sind, können das freilich nicht leisten. Ein einzige Szene, von Gast-Regisseur Quentin Tarantino inszeniert, zeigt, wie wohltuend Gewalt in Anführungszeichen ist: Darin fahren zwei Rivalen im Auto, es kommt zum Gemetzel, wobei dem Fahrer der Handknauf eines Revolvers in die Stirn gerammt wird. Natürlich fährt er unbeirrt weiter. Dieses Quäntchen Ironie ist der einzige Lacher im gesamten Film, was bei einem Regisseur wie Robert Rodriguez, von dem man eine ganze andere Handschrift gewohnt ist, doch sehr erstaunt. Eine Comic-Verfilmung ist eben mehr als bloße Werkübertragung.


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