Wertexplosion mitten in der Krise

Kunstauktion Für 370 Millionen Euro wurde in Paris die Kunstsammlung von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé versteigert. Überlegungen zur Dialektik von Symbolwert und Warencharakter

„Ich sammle Kunst, die ich nicht verstehe“. Unter diesen Satz hat der Wuppertaler Unternehmer Christian Boros seine ästhetischen Aktivitäten gestellt. In einem ehemaligen Weltkriegsbunker an der Friedrichstrasse, zu Wendezeiten Berlins beliebteste Partylocation, hat er eine hochkarätige Sammlung zusammengetragen, die sich sehen lassen kann. Boros hortet seine Inkunabeln von Sarah Lucas bis Olafur Eliasson nicht privatistisch. Jeder, der will, kann die Sammlung besichtigen. Boros will, dass auch andere Menschen seine Erfahrung teilen: Das Unverstandene zieht uns an.

Diesem Unverstandenen eine wahrhaft dauerhafte Bleibe errichtet zu haben, ist nicht das Einzige, was die Sammlung Boros von des Kunstsammlung des verstorbenen Modezaren Yves Saint Laurent und seines Lebensgefährten, Pierre Bergé, unterscheidet. Während landauf, landab private Sammlermuseen errichtet werden, hat sich der Erbe einer der größten und bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt entschieden, kein Museum für sie zu errichten, keinen Tempel für beider Nachruhm - was ihm der prestigesüchtige französische Staat gewiss erleichtert hätte.

Bergé hat sich entschieden, die Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens zu demonstrieren und eine Sammlung wie sie bedeutender kaum sein könnte, zu versteigern; nun ist diese Wunderkammer der Kunstgeschichte in alle Winde zerstreut. Geldsorgen hat der Multimillionär Bergé keine. Er musste die Sammlung nicht „flüssig“ machen. Er hat einfach etwas getan, was Leute mit Geld sonst selten können: loslassen. Es liegt ein Hauch von Größe über dieser Auktion.

Das weitaus größte Paradox im Umgang mit der Kunst trat aber im Zuge dieser spektakulären Auflösung zu Tage. Auf den Aktienmärkten wird die Welt derzeit Zeuge eines atemberaubenden Werteverfalls. Kein Tag vergeht, ohne dass die Börsenkurse einen neuen Nachkriegstiefstand erreichen. Zur selben Zeit wurden wir in Paris Zeugen einer schier unglaublichen Wertexplosion. 373,9 Millionen Euro hat die Versteigerung am Ende erbracht.

Dass da ein paar Euro zusammen kommen würden, war zu erwarten gewesen. Schließlich handelte es sich nicht um die übriggebliebenen Jahresgaben eines Kunstvereins, sondern um Werke von der Antike bis De Chirico: Plastiken, Bilder, Möbel, Gebrauchsgegenstände. Doch dass es so dick kommen würde, hatte keiner erwartet. „Die wertvollste Privatsammlung, die jemals versteigert wurde, der höchste Gesamtzuschlag für eine Auktion in Europa“ gaben die Auktionshäuser Christie’s und Bergé stolz bekannt. Der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde dürfte ihnen sicher sein.

Die schwindelerregende Summe mag ein Zeichen dafür sein, dass in dem eigentlich ja zusammengebrochenen Geldmarkt doch noch etwas von dem steckt, was alle Finanzminister der Welt derzeit mit der Lupe suchen und Kunstmarktexperten gern „reelle Liquiditäten“ nennen. In gewisser Hinsicht ist es aber auch ein Zeichen für das genaue Gegenteil davon: Das Fiktive dessen nämlich, was mit dem scheinbar selbstverständlichen Wort Wert bezeichnet wird.
Natürlich ist der unscheinbare Parfümflacons „La Belle Haleine“, ein Stück aus dem Besitz von Man Rays und Marcel Duchamps Muse Rose Selavy, der in Paris unter den Hammer kam, nicht 8,9 Millionen Euro „wert“, der Preis, den ein amerikanischer Sammler dafür zahlte. Sondern das, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu einmal als den „Symbolwert“ der Kunst bezeichnete.

Und der setzt sich aus etwas zusammen, was gleichsam nicht verrechenbar ist: Aus dem Versprechen auf Einmaligkeit, auf Originalität, auf Teilhabe an einer besonderen Wahrheit, oder wenigstens einer Künstlerbiografie - ein idealistischer Mythos, der diesmal gleichsam ins Quadrat gesteigert wurde durch den mythischen Namen des Vorbesitzers der Kunstwerke: Yves Saint Laurent. Wenn mit Blick auf den Kunstmarkt gern über „Fantasiepreise“ geschimpft wird, ist genau diese Kumulation von Projektionen gemeint.

Man mag es obszön finden, wenn sich in dem Moment, wo die Rentenpapiere von Millionen Kleinanlegern verbrennen, die Superreichen der Welt ins Pariser Grand Palais pilgern, Maria Callas hören und mit dem Scheckbuch in der Hand um Designerstühle feilschen. Doch noch nie hat sich ein faszinierendes Paradox so deutlich gezeigt wie vergangene Woche in Paris. Die Pariser Auktion war eine Art Extrembeispiel für den Warencharakter von Kunst. Und zugleich der Sieg darüber. Sie war ein Sieg des Markts und seine Widerlegung. Denn das Unbezahlbare der Kunst bestimmt ihren Preis.

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