Der Schwimmsport ist eine individuelle Veranstaltung. Mitunter finden hier zwar Kollektivaktionen statt, die freilich bloß das Individuelle summieren. Das nennt sich dann Staffel. Aber, vergleicht man Schwimmstaffeln mit richtigen Mannschaftssportarten, muss man zugeben: Da wird einfach kein Kollektivgeist produziert. Das an sich ist nicht schlimm, denn so etwas gibt es in der Leichtathletik und diversen Wintersportarten auch, und wer die Gemeinschaft liebt, kann sich ja einen anderen Sport suchen.
Aber das mit dem Individuellen kann sich schon zu einer besonderen Besonderheit auswachsen. Und das hängt, wie vieles, was kompliziert ist, mit der DDR zusammen. Die war nämlich bis 1989 eine große Schwimmsportnation. Zumindest war sie das in der Statistik, denn, auch wenn ma
ch wenn man das Thema Doping beiseite lässt, gibt es ein paar Aspekte, die die Herkunft der Erfolge von Roland Matthes oder Kristin Otto in Frage stellen lassen. Berechnet man etwa die in Schwimmbädern zur Verfügung gestellte Wasserfläche pro Kopf der Bevölkerung, war die BRD etwa fünf bis sechsmal wässriger als die DDR. Die großen Erfolge des DDR-Schwimmens resultierten also gewiss nicht aus dem Umstand, dass beinah alle Bürger der Republik wie verrückt schwammen. Als die DDR nicht mal mehr ein Land mit guten Schwimmern war, sondern eben gar nicht mehr, da war der deutsche Schwimmsport von viel Streit geprägt. Die Einen (West) warfen in den neunziger Jahren den Anderen (Ost) vor, nur gedopt und Kinder gedrillt zu haben. Die Anderen (Ost) warfen denen (West) hingegen vor, sie hätten überhaupt keine funktionierende Talentsichtung, da würden Kinder um das Glück gebracht, in ihrer Jugend die besondere Fertigkeit des Schwimmens besonders gut zu erlernen, und die West-Trainer seien folglich ziemliche Dünnbrettbohrer. Der Streit sorgte dafür, dass sich West-Schwimmer und Ost-Schwimmer nicht vertrugen, ihre fälschlich unter dem Etikett "Mannschaft" auszutragenden Staffeleinsätze mit professioneller Kühle absolvierten, aber schon beim Siegerinterview kurz nach dem Wettkampf mitteilten, dass sie den Anderen nun wahrlich nicht leiden konnten. In der französischen Politik würde man den Vorgang "Kohabitation" nennen. So etwas geht aber nie allzu lange gut, und auch da nur dann, wenn man sich wechselseitig ignoriert. Schwamm also Sandra Völker (West) gut, wurde das im Osten nicht registriert oder als Zufall abgetan. Schwamm Franziska van Almsick (Ost) gut, waren gängige Erklärungen nicht weit. Das alles hat sich nun geändert. Am vergangenen Wochenende trafen sich die besten deutschen Schwimmer zu den deutschen Kurzbahnmeisterschaften, womit faktisch ihre Wettkampfsaison beginnt. Die überragende Schwimmerin war Franziska van Almsick, die neuerdings bei den Neuköllner Wasserratten schwimmt, einem Verein in Westberlin. Der überragende Schwimmer in Rostock war Thomas Rupprath, der aus Nordrhein-Westfalen stammt, dort für die SG Uerdingen/Wuppertal startet, aber sich in der Nähe von Rostock gemeinsam mit seiner von dort stammenden Freundin ein Haus gekauft hat. In den vergangenen Jahren war die Westschwimmerin Antje Buschschulte mal in den Osten, nach Magdeburg, gewechselt, die Ostberlinerin Sylvia Gerasch schwamm eine Weile für den Westclub Wasserfreunde Spandau, ehe sie zum SC Berlin in den Ostteil zurückkehrte. Im Schwimmsport hat sich also eine bemerkenswerte Normalität eingestellt, die Spitzenathleten mal hierhin und mal dorthin wechseln lässt: Je nachdem, wie sich das Trainings- und Finanzangebot von Vereinen gerade präsentiert. Solche Normalität lässt sich nicht in allen Sportarten beobachten. In der Leichtathletik, die ja, was das Individuelle anlangt, dem Schwimmen sehr ähnlich ist, gibt es immer noch eine Absetzbewegung der guten Ostsportler in die reichen Westvereine. Dass gerade der 1.500-Meter-Olympiasieger Niels Schumann vom SC Nike Berlin zurück nach Thüringen ging, ist eher ein Einzelfall. In der großen Sportart Fußball hingegen spielen die besten Fußballer aus dem Osten beinah ohne Ausnahme bei Westvereinen. In den Ostclubs wie Hansa Rostock oder Energie Cottbus tummeln sich hingegen überwiegend Profis aus Osteuropa, die für diese Vereine gerade noch finanzierbar sind.Warum es gerade im Schwimmsport zu ansonsten in der Gesellschaft noch nicht erkennbarer Ost-West-Harmonie kommt, ist nicht leicht zu erklären. Vielleicht, weil hier die Auseinandersetzungen um Doping auf der einen Seite und Ignoranz auf der anderen Seite am heftigsten geführt wurden, vielleicht aber auch, weil der Schwimmsport eine derart das Individuelle betonende Sportart ist, dass ein mit der gesellschaftlichen Entwicklung nichts zu tun habender Ausreißer schon mal vorkommen kann.