FREITAG: Welche Folgen wird das gekippte Studiengebührenverbot haben?
EVA-MARIA STANGE: Das Urteil besagt zwar nicht, dass automatisch Studiengebühren eingeführt werden. Aber einzelne Bundesländer haben es ja angekündigt. Dies wird dazu führen, dass die Studierendenzahlen insbesondere bei den sozial Schwachen, aber auch bei den Mittelstandskindern zurückgehen werden. Denn Studiengebühren sind eine zusätzliche Belastung über den Lebensunterhalt hinaus. Junge Menschen, die heute schon zögerlich an ein Studium herangehen, weil ihnen die Kosten und das entgangene Einkommen für diese Zeit zu hoch erscheinen, werden wie in Österreich fernbleiben. Und das, obwohl wir dringend einen Zuwachs an Akademikern brauchen.
Es gibt auch Modelle, wo die Studiengebühren im nachhinein anfallen, also wenn die Leute im Beruf sind.
Wenn unser Steuersystem ordentlich funktioniert, dann werden die, die nach dem Studium ein höheres Einkommen erzielen, auch stärker belastet. Daher macht es auch gar keinen Sinn, den Spitzensteuersatz zu senken. Aber das gravierendere Problem betrifft die Kreditfinanzierung. Nicht ohne Grund reißen sich die Privatbanken nicht darum, Darlehen für alle Studierenden einzuräumen. Für die Ausfallbürgschaften wird derzeit auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau verwiesen, die durch staatliche Gelder rückgesichert wird. Das ist problematisch, denn das heißt, für die nicht zurückgezahlten Gelder muss wieder der Steuerzahler aufkommen.
Wie wird sich nun die Hochschullandschaft entwickeln?
Wir werden vermutlich eine sehr differenzierte Landschaft bekommen. Man wird abwarten müssen, aber die Länder, die keine Studiengebühren einführen, werden dann zu Regelungen greifen, die den Zulauf von Studierenden aus anderen Ländern abbremsen. Wir werden auch Modelle haben, wo die Hochschulen selbst ihre Einnahmen verwalten, was ich für hoch problematisch halte. Die Länder werden sich nicht mehr an die Vereinbarungen im Rahmen der Gesamtkostenregelung gebunden sehen. Warum soll ein Land zu 100 Prozent eine Hochschule finanzieren, wenn diese selbst Einnahmen hat?
Das Urteil wird den Ländern Rückenwind geben. Was müsste Ihrer Ansicht nach passieren, damit die Gespräche über eine Föderalismusreform wieder in Gang kommen?
Ich halte sehr viel von dem Vorschlag, einen Bildungskonvent zu installieren und in der Sache zu klären, wie sich Deutschland im Bildungsbereich aufstellen will. Diese Dinge kann man nicht den Verfassungsrechtlern alleine überlassen, da gehören die Fachleute ran. Es wäre von vornherein hilfreich gewesen, den Bildungsbereich zunächst herauszunehmen aus der Föderalismusdebatte.
Nun haben wir ja zuständige Gremien, die Kultusministerkonferenz (KMK) oder auch die Bund-Länder-Kommission (BLK). Würde mit einem weiteren Gremium nicht nur Bürokratie ausgebaut?
Es geht nicht um die dauerhafte Einrichtung eines Bildungskonvents. Es soll lediglich dieses eine gravierende Problem klären: Wie können Bund und Länder zukünftig arbeitsteilig zusammenarbeiten, so dass das Bildungssystem in Deutschland zukunftsfähig gestaltet werden kann? Ob die KMK hinfällig ist, darüber könnte man zwar diskutieren, aber das lenkt momentan zu sehr ab. Die BLK hingegen ist auch zukünftig zwingend notwendig, weil sie das einzige verfassungsrechtliche Gremium ist, das eine geordnete Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich überhaupt ermöglicht. Dort sind zukunftsweisende Projekte von Bund und Ländern gemeinsam angeschoben worden. Das betrifft sowohl den berufsbildenden Bereich, das Ganztagsschulprojekt, die Förderung von Migrantenkindern oder das Programm "Bildung für Nachhaltigkeit".
Der Bund hat sich nicht nur mit Ganztagsschulen, sondern auch mit der Förderung von Elite-Unis hervorgetan. Ist die Kritik, hier habe der Bund seine Kompetenzen überschritten, völlig unberechtigt?
Wir hätten wahrscheinlich noch Jahrzehnte gewartet, wenn der Bund nicht die Initiative ergriffen hätte und durch die Bereitstellung finanzieller Ressourcen klar deutlich gemacht hätte, dass die Ganztagsschulen jetzt auf der Tagesordnung stehen. Das hat einigen Ländern nicht geschmeckt, und deswegen haben sie sich dagegen zunächst sehr gewehrt. Hier wird ein riesiger Fehler gemacht. Die Landesregierungen sind derzeit finanziell nicht in der Lage, größere Investitionen im Bildungssystem von sich aus zu tätigen. Sie sollten froh sein, wenn die Bundesregierung Mittel zur Verfügung stellt. Dieses Machtgerangel, das da stattfindet, ist für niemanden mehr zu verstehen.
Warum wird in der Debatte immer ein Gegensatz Zentralismus des Bundes und Souveränität der Länder aufgemacht?
Wir haben es hier mit einem grundsätzlichen Missverständnis zu tun. Es geht nicht darum, dass zukünftig Bildungspolitik von Berlin aus in den Ländern geregelt wird. Es geht einzig und allein um einen nationalen Rahmen, der zwischen den Ländern und dem Bund ausgehandelt wird. Das betrifft zum Beispiel die Hochschulrahmengesetzgebung, die garantiert, dass ein Diplomabschluss oder zukünftig ein Bachelor- oder Masterabschluss der Hamburger Universität auch in Bayern gleichwertig ist. Die Schulgesetzgebung liegt ausschließlich in Ländergewalt. Hier gibt es keinen Zentralismus. Ein gutes Beispiel für erste Schritte zu einer nationalen Verständigung ist das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das die Kultusministerkonferenz eingerichtet hat, und das die gemeinsamen Bildungsstandards überprüfen soll.
Wettbewerb und Autonomie sollen das Bildungssystem voranbringen. Was halten Sie davon?
Was wir brauchen, ist eine höhere Eigenverantwortlichkeit der Schulen und Hochschulen im Sinne von Gestaltungsspielräumen. Denn eine Schule im sozialen Brennpunkt muss ganz andere Herausforderungen bewältigen als eine im Hamburger Bildungsviertel. Auf die jeweiligen Bedingungen muss die Schule reagieren können, und das kann sie besser, wenn sie selbst über ihre finanziellen Ressourcen verfügt. Aber ein Wettbewerbsföderalismus, wie er von einigen beschworen wird, ist tödlich. Er würde die regionalen Differenzen, die wir heute schon haben, weiter verstärken und nicht ausgleichen. Regionen wie etwa Bremen, die einen hohen Migrantenanteil aus sozial schwachen Verhältnissen haben, müssten eigentlich viel stärker in das Bildungssystem investieren als sie es können, weil sie nämlich zusätzlich benachteiligt sind wegen eines durch hohe Arbeitslosigkeit geringeren Steueraufkommens. Bayern hat diese Probleme nicht.
Sehen Sie durch das Studiengebühren-Urteil die Länderkompetenzen gegenüber dem Bund gestärkt?
Das ist mit Sicherheit so. Aber wesentlich folgenschwerer ist, dass das Bundesverfassungsgericht nun schon zum zweiten Mal den zentralen Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als sekundär definiert hat. Die Richter haben sich gegen eine Rahmengesetzgebung ausgesprochen, die diese Gleichheit der Lebensverhältnisse gewährleisten sollte. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erst dann als gestört ansieht, wenn eine deutlich erkennbare Ungleichheit eingetreten ist, dann halte ich das für eine Aushöhlung unseres Grundgesetzes. Hier sehe ich nun auch für den Bundestag Handlungsbedarf. Wir müssen diesen zentralen Grundsatz so festschreiben, dass wir nicht noch größere regionale und soziale Unterschiede in Deutschland bekommen.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
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