What the Muckefuck?

Einwanderungsland Im 16. Jahrhundert flohen Zigtausende nach Deutschland. Es war eine große Bereicherung
Ausgabe 40/2016

Jeder Mensch, der sich aufmacht und seine Heimat verlässt unter unwirtlichen, ja sogar lebensbedrohlichen Bedingungen, verdient es, nicht feindselig behandelt zu werden. Denn er ist unser Gast! Sinngemäß schrieb das Immanuel Kant 1795 in seiner philosophischen Schrift Zum ewigen Frieden. Ich bin Illustratorin und stieß auf diesen Text, als ich für meine neue Graphic Novel recherchierte, die von Immanuel Kant und seinem Diener Martin Lampe handelt. Kant kennt man ja vor allem als den Über-Philosopen, weniger geläufig ist, wie liebenswürdig-dilettantisch er sich im Alltag verhielt. Für mein Buch sammle ich vor allem solche Anekdoten.

Als ich Zum ewigen Frieden entdeckte, war ich überrascht, wie zeitnah und aktuell sich diese mehr als 200 Jahre alte Schrift heute wieder liest, die 1945 die Charta der Vereinten Nationen wesentlich beeinflusst hat: „Es ist hier wie in den vorigen Artikeln nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede“, schreibt Immanuel Kant, „und da bedeutet Hospitalität (Wirthbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen von diesem nicht feindselig behandelt zu werden.“

Mit welchen „Fremdlingen“ wurde Kant seinerzeit konfrontiert? Ich ging noch etwas weiter zurück in der Geschichte und stieß auf das Schicksal der Hugenotten. Diese protestantische Glaubensgemeinschaft wurde in Frankreich ab 1530 vom katholischen Klerus und der Monarchie brutal unterdrückt. Die Repression verursachte eine Massenflucht, rund 250.000 Hugenotten suchten Schutz in anderen protestantischen Ländern wie den Niederlanden, England und Brandenburg-Preußen. 20.000 flohen allein dorthin, mit einem Mal war etwa jeder fünfte Berliner Hugenotte. Damals wurde rassistisch gemeckert, gezetert und polemisiert, gebrandschatzt und radikalisiert. So wie heute.

Ich möchte mit meinem Schaubild aufzeigen, dass wir in Deutschland schon mit weit mehr Flüchtlingen konfrontiert wurden. Wir haben uns nach anfänglichem Kulturschock auf die Franzosen eingelassen. Generationen später freuen wir uns über die Dinge, die sie mitbrachten: Spargel, die Bulette, den Muckefuck und Biergärten. Sie haben unsere Kultur bereichert. Das tut alles Fremde, wenn man nur offen dafür ist.

info

Lampe und sein Meister – Grafische Anekdoten über Immanuel Kant von Antje Herzog erscheint 2017 bei der Büchergilde Gutenberg

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