Whiskymeile contra Kreidefelsen

Sylt oder Rügen Wie Steuergelder zum Nachteil der beliebtesten deutschen Urlaubsinsel eingesetzt werden

"Strand über Bord - Deutschlands beliebteste Ferieninsel ist in Seenot." So stimmte das ARD-Nachtmagazin zu Jahresanfang Fernsehzuschauer anlässlich aktueller Orkanschäden ein. Rüganer rieben sich verwundert die Augen, denn der Beitrag handelte von Sylt - und nicht etwa von ihrer Ostseeinsel, die seit Jahren deutlich mehr Urlauber als das Nordsee-Eiland anzieht.

So sicher wie die Sommerstürme sind die Warn- und Katastrophenmeldungen, die zeitgleich Jahr für Jahr von der Insel Sylt zum Festland gemorst werden: Die Nordsee habe riesige Sandmassen mit sich ins Meer gerissen. Ohne Gegenmaßnahmen würde die Insel binnen kurzer Zeit beträchtlich schrumpfen oder gar Totalopfer von Wind und Wasser. Danach werden alljährlich von den Regierungschefs aus Kiel und Hamburg sowie von ihren Berliner Parteifreunden medienträchtig neue Hilfsgelder für mehr oder minder wirkungsvolle, von Ökologen kritisierte Sturmschutz-Maßnahmen zugesagt. Ebenso regelmäßig berichten Medien dann quer durch die Republik über Sylt als Deutschlands "beliebtester Urlaubsinsel", als ob die Touristenströme Richtung Mecklenburg-Vorpommern seit der Wiedervereinigung nicht existierten.

Klar belegt ist, dass Rügen als Deutschlands größte Insel bei Urlaubern zugleich die beliebteste ist - gemessen an Gästen wie an der Zahl der Übernachtungen. Und das schon seit 1992. Während Sylt seinerzeit 617.000 Reisende anlockte, interessierten sich für Rügen bereits 633.000 Urlauber. Brachte man es auf Sylt mit Porsche-Parade, Whiskymeile und Westerland-Rummel kaum zu nennenswerten Urlauberzuwächsen, so konnte zwischen Kreidefelsen und Kap Arkona infolge des Infrastrukturausbaus nahezu eine Verdopplung der Gästezahl konstatiert werden: Im Jahr 2006 standen rund 1,28 Millionen Gästen mit etwa 6,82 Millionen Übernachtungen auf Rügen knapp 725.000 Gäste mit fast 5,81 Millionen Übernachtungen auf Sylt gegenüber.

Dass in vielen Medien Sylt stets aufs Neue mit statistisch unhaltbarem Superlativ-Jubel bedacht wird, kommt nicht von ungefähr. Quelle der werbewirksamen Sylt-Sprüche sind die PR-Strategen der nordfriesischen Insel und ihre Mitstreiter aus Touristik und Politik. So verbreitet etwa die verklärend als "Nachrichtenagentur" auftretende PR-Abteilung der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein (TASH) immer wieder Meldungen, die wider besseres Wissen Sylt bis zum jüngsten Tag adjektivisch zu "Deutschlands beliebtester Urlaubsinsel" adeln.

Zugleich wird damit faktisch der von Unternehmensberater Roland Berger in Kieler Auftrag entworfene und zwischenzeitlich vom Landeskabinett beschlossene Masterplan verfolgt, den Tourismus Schleswig-Holsteins neu auszurichten. Ziel ist es unter anderem, "an Mecklenburg-Vorpommern vorbeizuziehen und im Norden wieder Tourismusland Nummer eins zu werden", wie die Kieler Wirtschafts-Staatssekretärin Karin Wiedemann freimütig in der neuesten Ausgabe der offiziösen Publikation Wirtschaftsland Schleswig-Holstein erklärt. Geboren ist die Christdemokratin übrigens im mecklenburgischen Dargun.

Im Sinne dieser Intention wirkt auch die TASH-Gesellschafterin Nordsee-Tourismus-GmbH (NTS) mit Sitz in Husum, an der unter anderem die Sylt Marketing GmbH Anteile hält, die ihrerseits maßgeblich von den Sylter Kommunen getragen wird. Man wolle "die Destination Nordsee Schleswig-Holstein wieder auf Wachstumskurs bringen und die über die letzten Jahre verloren gegangenen Marktanteile zurückgewinnen, neue Gäste vor allem in den Alpenländern Österreich und Schweiz generieren", erklärte Ende 2006 NTS-Geschäftsführerin Constanze Höfinghoff.

Wie das versucht wird, war etwa im Zusammenhang mit der größten österreichischen Reisemesse, der FERIEN 2007 in Wien, zu bestaunen. Unter der Überschrift Im Jet-Tempo von Wien nach Westerland wurde in einer Pressemitteilung formuliert: "Sylt, Deutschlands beliebteste Urlaubsinsel, ist im Sommer 2007 wie im Flug erreichbar." Dazu erklärte Thomas Wuitschik, Vorstandsvorsitzender des Tourismusverbandes Rügen: "Wenn man Falsches immer wieder verbreitet, steigt dadurch nicht der Wahrheitsgehalt. Es handelt sich um eine reine Marketingmaßnahme, die objektiven Zahlen sprechen für sich." Und für Rügen.

Sofern auf Briefbögen von NTS oder Sylt-Marketing verbreitet, mögen wohlwollende Mitbewerber die eigenwillige Selbstdarstellung der Nordsee-Insulaner noch als ärgerliche Imagebildung zu Lasten Dritter abtun. Wenn aber der Sylter Schmarren via Reisenachrichten von der Wiener Geschäftsstelle der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) offiziell verbreitet wird, könnten nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern durchaus Fragen aufkommen. Schließlich wirbt die DZT, ausgestattet mit einem Jahresbudget von rund 25 Millionen Euro aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums, "im Auftrag der Bundesregierung für das Reiseland Deutschland". Im Bundeshaushaltsplan wird dazu ausgeführt, die DZT solle mit den Zuwendungen dazu beitragen, "die Wirtschaftskraft strukturschwacher Regionen zu fördern".

Dass dazu auch Sylt zu rechnen ist, darf bezweifelt werden. Die Schickeria-Insel mit ihren Luxusvillen wird von Immobilienmaklern zu horrenden Preisen als "eine der begehrtesten Regionen für Zweitwohnsitze in Europa" an Wohlhabende vermarktet, die ihren Steuersitz in Hamburg, Berlin oder Düsseldorf haben - oder aus Finanzgründen gleich ins Ausland verlegten. Für die Profilierung Sylts gegenüber einem innerdeutschen Mitbewerber durch Verbreitung von flotten, aber faktenfernen Formulierungen dürften die Bundesmittel keinesfalls vorgesehen sein. Steuerzahler auf Rügen jedenfalls werden eine derartige Zweck-PR kaum als jene "Optimierung von Marketingaktivitäten" im Ausland ansehen, die sich die DZT auf ihre schwarz-rot-goldene Fahne geschrieben hat.

Mehr noch: Touristik-Manager aus Mecklenburg-Vorpommern erinnern daran, dass der Tourismusausschuss des Bundestages die Bundesregierung schon einmal aufgefordert hat, für die neuen Bundesländer eine gesonderte Vermarktungsinitiative zu starten. Das allerdings ist einige Jahre her und der Appell richtete sich an das inzwischen abgewählte rot-grüne Kabinett. Jetzt regiert in Berlin schwarz-rot. CDU und SPD koalieren auch in Kiel und Schwerin. Das hindert Schleswig-Holsteins CDU-Wirtschaftsminister Dietrich Austermann aber keineswegs daran, den Wettlauf um die touristische Vorrangstellung im Norden auch mit unchristlichen Mitteln gegen seinen Wirtschaftsministerkollegen und CDU-Parteifreund Jürgen Seidel für sich entscheiden zu wollen.


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