White Trash, Black Power

Kulturkommentar Zum Tode zweier großer Sänger, die in ihrem Schaffen zwar die gleiche Zeit teilten - aber deren Musik völlig verschieden war: Donna Summer und Robin Gibb

Kurz nachdem ihr Tod bekannt geworden war, schrieb Alex Needham im Guardian, ihre Musik sei so ­radikal wie Punk gewesen. „Sie hat kraftvolle, futuristische Songs geschaffen, die die Musik für immer veränderten.“ Needham hat recht – und untertreibt zugleich: Donna Summer, die vergangenen Donnerstag starb, hat die Pop-Musik erfunden. Sie war die Predigerin einer neuen Welt, in der alles möglich zu sein schien – musi­kalisch und gesellschaftlich. Wie es Freddie Mercury mit dem Glam-Rock tat, war ihre Grenzüberschreitung zwischen Black Music und technisiertem Dance Beat tonangebend für eine Jugendkultur des widerständigen Pop, der nicht nur subkutan die Fronten aufweichte zwischen „Rassen“, Szenen und Minderheiten. Robin Gibb, der am Sonntag starb, war dagegen die Begleitmusik dieses Zeitgeistes, künstlerisch gar reaktionär.

Giorgio Moroders Synthesizer-Bearbeitung von Summers I Feel Love war nicht allein die Geburtsstunde der Elektronisierung der Musik, wie Needham meint. Die neuartige Rhythmus- Struktur mit übereinander gelagerten Elementen erreichte eine akustische Intensität, die zuvor nur aus dem klassischen Genre bekannt war. Moroder und Donna Summer haben das Hören neu bestimmt, ihre Arrangements waren für die unterhaltende Musik so epochal wie die Zwölfton-Stücke von Arnold Schönberg in der Klassik, die im tonalen Widerstreit die ganze Wucht der Musik entfalteten und so alle Sinne des Publikums vereinnahmten.

Disco Fever

Moroder hob die Isoliertheit der Instrumente auf, er ließ eine orchestrale Kakophonie entstehen und zugleich ein harmonisiertes Tablet, das Stimme und Sound synchronisierte. Der heutige House bedient sich dieses Konzeptes. Körper und Geist zerfließen während des Hörens genauso.

Im Gegensatz zu der anmaßenden Sündigkeit, die Donna Summer damals erschuf, drückten Robin Gibb und die BeeGees eher verklemmte Zweideutigkeit aus, die mit verquakter Stimme das eintönige Hippie-Genöle der Beatles zitierte. Summers kristalline Grazie war kultivierte Black Power, Gibb war nur der Beginn vom White Trash des Brit-Pop. Der grenzenlose Materialismus, dem der R bis heute huldigt, ist eben gerade keine „oberflächliche“ Schnödigkeit, sondern das Einklagen persönlicher Dekadenz. Summer war die Ikone dieser Grenzüberschreitung des Disco Fever, und Moroder bereite ihr die Bühne. Ihr Song Love To Love You Baby ist der libidinöse Soundtrack dieser individualistischen Punk-Attitüde und eindeutig der feministischste Song aller Zeiten. Moroder und Donna Summer erfanden den Glanz der opera populare neu. Nun hieß sie Pop.

Marcel Malachowski schrieb zuletzt im Freitag über Leander Sukov

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