Wider das Hofschranzentum

Radikal bis zur Aktion Dem Politikwissenschaftler Peter Grottian zum 65. Geburtstag

"Exot", "Krawallschachtel" oder "Schlachtross der Zivilgesellschaft" lauten einige mediale Zuschreibungen für Peter Grottian. Als Bewegungsunternehmer ist er längst zu einer "Marke" geworden. Mit seinem Ausscheiden verliert das Berliner Otto Suhr Institut einen seiner engagiertesten Hochschullehrer.

Ich kenne niemanden, der so phantasievoll und unermüdlich versucht hat, die Universität zu einem lebenswerten Ort gemeinsamen Lernens, Handelns und Lebens zu machen. Die Adressen halber Studierendenjahrgänge fanden den Weg in sein überquellendes Ringbuch, seinem ständigen Begleiter. Studierende drängelten sich vor seinem Büroraum, den er mit bunten Wänden, mit Obstkorb und Keksen in eine Oase in der Wüste der Funktionsräume verwandelte.

Der 1979 zum Professor Berufene engagierte sich früh gegen die Berufsverbote. Er schuf mit anderen einen "Arbeitslosenfonds", in den Stelleninhaber einzahlten, um die von Berufsverboten Betroffenen zu unterstützen. Lange bevor es populär wurde, machte sich Grottian für Frauenförderung an der Hochschule stark. Die von ihm 1985 erfundene Professorenteilzeit (zwei Kollegen verzichten auf die Hälfte ihrer Stelle zugunsten eines Neueinzustellenden) schuf Chancen für feministische Nachwuchswissenschaftlerinnen. Wie kaum ein anderer Hochschullehrer setzte er sich für die Belange Berlins ein: U-Bahn-Aktionen gegen Rechtsextremismus oder intervenierende Seminare, etwa zu städtischer Armut oder zur Lage von Behinderten, sollten eine erfahrungsorientierte Lehre schaffen.

Mit alledem machte sich Grottian nicht nur Freunde, sondern eckte kräftig an. Immer wieder versuchte die Universitätsleitung vergeblich, ihn zu maßregeln und zu "mäßigen". Seine Kollegen fühlten sich auf die Füße getreten, weil er ihnen Privilegien nehmen wollte und sie zum Umverteilen aufforderte. Wer in einem Buchtitel fragt Wozu noch Beamte? kann mit Abwehr bei der beamteten Professorenschaft rechnen. Zudem stand Grottian konsequent auf der "falschen" Seite, weil er es mehr mit den Studierenden und dem nicht-akademischen Personal hielt. Distanz zum konventionellen Wissenschaftsbetrieb war ihm stets wichtig, das galt für eine sich zu Tode akademisierende Politikwissenschaft ebenso wie für ein machiavellistisch inspiriertes Hofschranzentum, das bei einem Frühstück mit Frau Merkel und einem Auftritt bei Sabine Christiansen seine Erfüllung findet. Stattdessen prägte Grottian einen Typus von Politikwissenschaft, der auf direktes eingreifendes Verändern angelegt ist.

"Da kommen echt Arbeitsplätze rüber!" gehört zu seinen viel zitierten Worten und Forderungen, bei denen immer wieder der Zugang zu sinnstiftender Arbeit verlangt wird. Zuletzt stritt er um Alternativen zu Hartz IV. Neben der Erwerbsarbeit ging es Grottian um die "schmutzige Wäsche", die alltäglichen Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, wenn er mit Studierenden "alternative Beziehungsverträge" ausarbeitete.

Im sozialen Protest hat Grottian eine eigene Handschrift entwickelt: Weil die Wirkung großer Latschdemos oft bescheiden bleibt, drängt er zu riskanteren Formen des Engagements. Dazu gehören das Instandbesetzen von leerstehenden Wohnungen, die "Entzäunung" von Asylbewerberunterkünften oder das Schwarzfahren für den Erhalt des Sozialtickets. Er neigt zur dramatischen Zuspitzung, wenn er Hartz IV-Empfänger zum Hungerstreik anregt. Wer Peter Grottian als öffentlichen Akteur erlebt, macht Bekanntschaft mit dessen schauspielerischen Fähigkeiten, mit seiner Inszenierungslust, zu der Auftritte im klerikalen Kostüm gehören. Politisch bevorzugt er einen radikalen Reformismus: Radikal in den Formen, um der Sache willen aber bereit zu pragmatischen Aktionen.


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