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Was zu Luthers Zeiten begann, hat heute einen neuen Höhepunkt: die Herrschaft des Geldes. Die Demokratie ist in Gefahr. Die Politik ist an den Vorgaben der Finanzmärkte und den Interessen des oberen, reichen einen Prozents der Bevölkerung ausgerichtet. Eine Umkehr, eine Reformation ist nötig.
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War es vor 500 Jahren die Käuflichkeit des Seelenheils der Gläubigen durch den Ablasshandel, die Ausdruck einer großen Krise war, sind es heute die Käuflichkeit der Politik und ihre Unterordnung unter die Vorgaben der Finanzmärkte.
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Andauernde Unterentwicklung, 800 Millionen Menschen, die Hunger leiden, Millionen Flüchtlinge und der dramatische Klimawandel haben sich verhängnisvoll verknüpft. Ihre Kehrseite sind exorbitanter Reichtum und Luxus. Dass die EU-Kommission ausgerechnet die Finanzmarkt-Richtlinie des Parlaments, mit der die Spekulation mit Nahrungsmitteln gestoppt werden sollte, so verändert hat, dass sie wirkungslos wird, kann nur empören.
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Wurden mit dem Ablasshandel die globalen Imperien von Karl V. und Papst Leo X. finanziert, sind es heute der globale Finanzmarkt-Kapitalismus, seine Anhäufung von Vermögensansprüchen und die Bedienung von Schulden, die aus dem globalen Bruttosozialprodukt finanziert werden müssen.
Info
Zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur ein Umdenken fordern im Luther-Jahr 2017 ein Umdenken für die globale Wirtschaftspolitik. Unter dem Motto „Gemeinsam wider die Herrschaft der Finanzmärkte über Demokratie, Gesellschaften, Europa und die globalen Verhältnisse. Zeit für eine neue Reformation“ haben sie 95 Thesen aufgestellt.
Neben der Kritik an der gegenwärtigen Situation steht dabei die Frage nach konkreten Alternativen im Vordergrund. Zu den Unterstützzern zählen beispielsweise Gregor Gysi (Die Linke), Ralf Stegner (SPD) und Jürgen Trittin (Bündnis '90/Die Grünen). Neben ihnen haben sich unter anderem auch die Autoren Ingo Schulze und Marlene Streeruwitz, der Schweizer Soziologe und Autor Jean Ziegler, der Politiker André Brie (Die Linke) und der Schauspieler Peter Sodann den Forderungen angeschlossen.
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Zu Recht fasst der US-Ökonom Michael Hudson zusammen, dass ein Prozent der Bevölkerung mit ihrem Vermögen „die restlichen 99 Prozent, aber auch Unternehmen und ganze Staaten, in permanenter Verschuldung halten“. Dies macht eine Politik der Solidarität, der Erhaltung der Natur und des Friedens unmöglich.
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Vor 500 Jahren entstand das System des globalen Kapitalismus. Heute muss es sein Ende finden. Die Krise von 2008 war ein erster Warnschuss.
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Es ist ein gesellschaftszerstörendes, naturvernichtendes und tötendes System. Papst Franziskus bringt es auf den Punkt: „Ebenso wie das Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ‚Nein zu einer Wirtschaft und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft tötet.“
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Das Finanzsystem ist außer Kontrolle. Sein Crash hat nicht nur im Finanzsektor selbst verheerende Schäden verursacht. Es reißt auch die Realwirtschaft, Ökologie, Entwicklung des Südens und den Frieden in den Abgrund.
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Die Schuldenberge wachsen ungebrochen. 2015 erreichten sie global den Rekord von 152 Billionen US-Dollar. Das sind 225 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Ein Drittel davon sind öffentliche Schulden. Solidarische Entwicklung wird dem Schuldendienst aufgeopfert.
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Besonders bedroht sind nicht nur die Krisenländer der Euro-Zone, sondern auch die Entwicklungsländer. Zwischen 2009 und 2014 stieg die Ausgabe von Staatsanleihen in Niedrigeinkommens-Ländern von 2 Milliarden auf 18. Milliarden US-Dollar.
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Vielen Ländern des Südens drohen die Schuldenfalle und der Staatsbankrott.
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Die Armen bezahlen die Bereicherung der Reichen. Die Krise hat die sozialen Probleme verschärft.
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Wachsende Ungleichheit hat mehrere Ursachen, aber die Dynamik auf den Finanzmärkten wurde zum stärksten Antreiber sozialer Polarisierung – schon lange vor der Krise.
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Die Privatisierung der Daseinsfürsorge – Renten und Gesundheit – bietet dem Finanzkapital neue und höchst attraktive Verwertungsmöglichkeiten.
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Ein Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Immer mehr Ökonomen warnen, dass wir in einer dauerhaften Stagnation stecken könnten.
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Am Anfang standen politische Entscheidungen von Regierungen. Sie haben wissentlich und willentlich die Kontrolle über die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen den Finanzmärkten übergeben.
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Der Finanzsektor wuchs in absurde Größenordnungen. Zwischen 1980 und 2007 stieg der Devisenumsatz um das 30-Fache. Im Krisenjahr 2008 war das Volumen allein von Kreditderivaten zehn Mal größer als das Bruttosozialprodukt (BIP) aller Staaten der Erde.

Foto: Thomas Lohnes/AFP/Getty Images
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Die Dynamik der Finanzmärkte wurde zum Motor der imperialen kapitalistischen Globalisierung.
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Die Finanzmärkte entzogen sich dem regulatorischen Zugriff der Nationalstaaten. Von der Rolle des Dienstleisters für Realwirtschaft und Gesellschaft schwangen sie sich zu deren Herren auf.
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Die Profitinteressen des Finanzkapitals wurden zu alternativlosen Sachzwängen verklärt.
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Der sozial und demokratisch eingehegte Kapitalismus der Nachkriegsära wurde auf dem Altar der Finanzmärkte geopfert.
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Die Globalisierung der Finanzmärkte führt zur Erosion der Demokratie. „Anleger müssen sich nicht mehr nach den Anlagemöglichkeiten richten, die ihnen ihre Regierung einräumt, vielmehr müssen sich die Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten“, schrieb 2000 der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, voller Stolz.
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Das ist die marktkonforme Demokratie, wie sie leibt und lebt – schon lange bevor die Kanzlerin sich zu ihr bekannte.
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Es ist so über drei Jahrzehnte ein Monster herangewachsen. Manche sprechen von Finanzialisierung, andere von Kasino. Wie immer man es bezeichnet, wir sind mit einem neuen, einem extrem gefährlichen Typus von Finanzsystem konfrontiert.
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Die Geschichte des Krisenmanagements war von Anfang an eine Geschichte der Halbheiten, Sackgassen und der Wirkungslosigkeit.
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Dabei hatte es anfangs so ausgesehen, als ob die Politik unter dem Schock der Krise etwas verstanden hätte. Die G20-Gipfel von London und Pittsburgh 2009 schienen auf dem richtigen Weg, als sie ankündigten, die Finanzmärkte wieder an die Kandare nehmen zu wollen.
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Dann retteten die Regierungen die Banken mit gigantischen Summen an Steuermitteln. Die Reichen wurden geschützt. Eine Ab- und Umkehr wurde verhindert.
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Als Folge davon wurde aus der Finanzmarktkrise eine Staatsschuldenkrise. Die öffentlichen Schulden schossen in die Höhe. Es war eine Vergesellschaftung privater Verluste in dramatischem Ausmaß.
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Demgegenüber muss die Bevölkerung der Krisenländer Europas unter dem Diktat der Troika den Preis in Form rücksichtsloser Austeritäts-(Spar-)Politik und mit dem demütigenden Verlust demokratischer Selbstbestimmung bezahlen.

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Die Demokratie wurde im Zuge des Krisenmanagements ausgehöhlt. Weitreichende Entscheidungen wurden von der Exekutive in einem Tempo durchgepeitscht, das Volksvertretern nicht mal Zeit ließ, die Vorlagen zu lesen.
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Treibende Kraft hinter der zerstörerischen Austeritätspolitik ist seit Jahren die Bundesregierung – ob in schwarz-gelbem oder schwarz-rotem Koalitionsgewand.
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Wenn es trotzdem noch nicht zu einem großen Knall gekommen ist, dann nur aufgrund der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Hilfspakete des Internationalen Währungsfonds.
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Doch mehr als Zeit kaufen kann die EZB nicht. Je länger dies dauert, desto mehr gerät sie in die Lage einer Feuerwehr, der das Löschwasser ausgeht.
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Zudem haben ihre Rezepte gefährliche Nebenwirkungen. So gerät auch jener Sektor, der nicht im Kasino gezockt hat, wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken, unter Druck.
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Auch rächt sich jetzt die jahrelang gepredigte Privatisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Unter Nullzins-Bedingungen können private Alters-, Lebens- und Gesundheitsversicherungen nicht mehr die nötigen Mindestrenditen erwirtschaften.
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Es ist ein Teufelskreis aus drei Komponenten entstanden: Ein instabiles Finanzsystem trifft auf allgemeine Stagnation. Die Maßnahmen der Zentralbanken bringen wiederum die Finanzmärkte durcheinander, was dann auf die Realwirtschaft drückt.
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Ja, Reformen gab es.
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Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft. In den USA wurden Schritte zur Trennung von traditionellem Geschäft und Investmentbanking unternommen. Eine Gruppe von zehn EU-Ländern, darunter Deutschland, ist dabei, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.
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Kleinere Korrekturen gab es bei der Aufsicht der Banken, bei Rating-Agenturen, Hedgefonds, Anlegerschutz und besonders riskanten Produkten, wie Kreditausfallversicherungen.
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Inzwischen ist die Reformdynamik erlahmt. Mehr noch, in der EU setzte unter der Juncker-Kommission ein Roll-back ein. Mit dem Projekt der Kapitalmarktunion wird wieder der Einstieg in die Deregulierung gesucht.
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Die Austrocknung von Off-Shore-Zentren und Steuerparadiesen ist kaum vorangekommen, wie Luxemburg-Leaks und Panama Papers uns vor Augen führen.
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Auch die Konzentration hat zugenommen. Die großen Banken bewegen heute noch größere Summen als vor der Krise. Im Schattenbankensektor werden einzelne Spieler, wie der Hedgefonds Blackrock, immer größer und mächtiger.
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Die Reformen haben allenfalls das Kasino etwas sicherer gemacht – vor allem für die Spieler. Aber: „Nichts außer der Schließung des großen Kasinos wird zu einer dauerhaften Lösung führen“, wie die UNCTAD feststellt.
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Auch die Problemlösungsfähigkeit der Politik scheint überfordert. Vielmehr nehmen Standort-Egoismus, Nationalismus, Konkurrenzverhalten und Abschottung zu. Der Multilateralismus steckt in der Krise, wie die Blockade der WTO zeigt.
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Abkommen wie TTIP und TPP sind Teil geopolitischer Strategien. Ergänzt werden sie durch geopolitisch motivierte Wirtschaftssanktionen – mit Vorliebe im Finanzsektor.
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Der Finanzsektor, einst Avantgarde der Globalisierung, bringt auf diese Weise zunehmend Merkmale einer selektiven Deglobalisierung hervor. Die Chancen, das Finanzsystem als globales öffentliches Gut zu gestalten, sinken.
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In der Europäischen Union (EU) sind die Problemlösungsdefizite noch deutlicher. Was so schön realpolitisch und bodenständig klingt, Angela Merkels „Fahren auf Sicht“, läuft auf die Nichtbearbeitung der Probleme hinaus.
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Die im Vergleich zum Nationalstaat ohnehin schon komplexeren Entscheidungsprozeduren der EU werden durch die multiplen Krisen und Zersetzungserscheinungen noch einmal um Größenordnungen schwieriger.
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Zu einem Befreiungsschlag scheint die EU in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht mehr fähig. Durchwursteln ist die einzige Strategie. Solange die EZB mit ihrer Lenzpumpe aus Nullzins und Quantitative Easing den leckgeschlagenen Kahn vor dem völligen Absaufen bewahrt, lebt man in der Illusion, dass schon nichts passieren wird.

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Zentraler Bestandteil für die Verteidigung von demokratischer Gestaltung der Gesellschaft wie für eine andere Wirtschaftspolitik ist heute eine substanzielle Reform des Finanzsystems. Ein solches Projekt wird aber nur dann nachhaltige Wirkung erzielen, wenn es die Probleme an der Wurzel packt.
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Stabile und funktionierende Finanzmärkte sind ein öffentliches Gut. Luther forderte vor fast 500 Jahren: „Man müsste dem Fugger und dergleichen Gesellschaft einen Zaum ins Maul legen.“ Das hat an Geltung nichts verloren und muss erneuert werden.
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Das Finanzsystem ist der Realwirtschaft und Gesellschaft unterzuordnen.
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Finanzmärkte müssen für die Finanzierung des ökologischen Umbaus, einer solidarischen Entwicklungspolitik, einer sozialen Perspektive der Europäischen Union und der sozialen Modernisierung der Gesellschaft befähigt werden.
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Demokratische Politik bekommt die volle Kontrolle über Märkte und Akteure.
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Der volkswirtschaftlich unnütze Kasinobetrieb wird eingestellt.
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Die Finanzmärkte müssen beträchtlich reduziert werden.
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Das gesamte System muss entschleunigt werden.
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Die Komplexität des Systems muss reduziert werden.
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Der öffentliche Bankensektor muss gestärkt und ausgebaut werden, u. a. auch durch Privilegierung gegenüber dem Privatsektor. Das hat Vorrang vor dem EU-Wettbewerbsrecht.
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Statt geopolitisch motivierter Wirtschaftskriege brauchen wir eine Kultur der Kooperation und Rücksichtnahme. Die 500-jährige Epoche, in der Europa und sein nordamerikanischer Ableger dem Rest der Welt erklärten, wo es langgeht, ist ein für alle Mal vorbei.
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Der Schattenbankensektor wird geschlossen. Sofern es die eine oder andere volkswirtschaftlich nützliche Aktivität dort gibt, wird sie der regulären Bankenaufsicht unterstellt.
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Systemisch relevante Banken, die too big to fail sind, werden in kleinere Teile aufgespalten, bis diese small enough to fail sind.
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Hedgefonds, Private Equity Funds und ähnlich hochspekulative Akteurstypen werden abgeschafft.
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Derivate bedürfen grundsätzlich einer Unbedenklichkeitsprüfung durch die Finanzaufsicht. Die Beweislast liegt bei den Ausgebern der Produkte.
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Für den Zahlungsverkehr wird eine öffentlich-rechtliche Einrichtung geschaffen. Das wäre eine Firewall für dieses zentrale Element des Finanzsystems, falls es noch zu Finanzkrisen kommt. Im digitalen Zeitalter ist ein solches System mit geringem Aufwand möglich.
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Off-Shore-Zentren und Steuerparadiese werden ausgetrocknet. Solange das nicht international abgestimmt möglich ist, sind auch unilaterale Maßnahmen wie Strafsteuern möglich.
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Der Hochgeschwindigkeitshandel wird gestoppt. An seine Stelle treten stündliche Auktionen. Das schaltet die systemischen Risiken des Hochgeschwindigkeitshandels aus und beseitigt die Wettbewerbsverzerrungen.
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Die Eigenkapitalanforderungen werden erhöht und auf die Unterbindung spekulativer Geschäftsmodelle zugeschnitten.
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Kapitalverkehrskontrollen sind legitime Instrumente der Kapitalmarktregulierung. Ihre Anwendung im Krisenfall hat Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit.
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Renten, Gesundheit und andere Dienstleistungen der Daseinsvorsorge werden dem Markt entzogen und als öffentliche Aufgabe organisiert.
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Rating-Agenturen werden in Institute öffentlichen Rechts umgewandelt. Insbesondere muss die prozyklische Wirkung von Ratings unterbunden werden. Soziale und ökologische Kriterien müssen in das Rating integriert werden.
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Die Aufsicht wird mit größeren Ressourcen ausgestattet – finanziell, personell, juristisch, technisch.
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Ziel ist nicht inklusives Wachstum, sondern eine soziale und ökologische Gesundung, zu der das Schrumpfen von Finanzmärkten und Luxus gehören wie umgekehrt der Ausbau der Infrastruktur für Bildung, Gesundheitsvorsorge, Pflege, des öffentlichen Nahverkehrs als Grundgüter eines guten Lebens für alle.
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„Der Schatz der Kirche sind die Armen“, zitiert Luther in seinen Thesen den heiligen Laurentius. So sind der Schatz einer guten Gesellschaft heute das Leben der Bedürftigsten und ihre soziale und politische Teilhabe.
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Eine gerechte Politik misst sich daran, dass sie darauf hinwirkt, jeder und jedem, auch den sozial Schwächsten unter uns, den Zugang zu den Gütern eines freien Lebens zu sichern.
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Nach Jahrzehnten muss die Umverteilung von unten nach oben, von Produktion und Natur zu Finanzmärkten, von Frauen zu Männern, von Süd nach Nord umgekehrt werden.
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Die umfassende Privatisierung gesellschaftlichen Reichtums muss einer Vergesellschaftung weichen zugunsten von Investitionen in sozialen Zusammenhalt, die Grundversicherung der Ärmsten sowie den ökologischen Umbau.
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Nach wie vor steht in Deutschland eine gerechte, sozial und wirtschaftlich produktive Erbschafts- und Vermögenssteuer aus.
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Gefördert werden müssen eine solidarische Wirtschaft und ein solidarisches Leben auf der Basis von projektbezogenen Grundeinkommensformen und solidarischer Finanzierung.
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Wenn wir wollen, dass Menschen nicht mehr flüchten müssen, dann geht das nur über den Abbau von Fluchtursachen, über die Überwindung von Kriegen, von Elend, Armut und ökologischem Niedergang. Das schließt den Widerstand gegen Antisemitismus, jeden Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein.
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Die Durchsetzung des Verbots von Rüstungsexporten in Krisenregionen und an Diktaturen sowie globale Abrüstung tragen nicht nur zu mehr Sicherheit bei, sondern werden selbst finanzielle und politische Mittel gerade auch für die Menschen im Süden freisetzen.
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Notwendig ist ein globaler Marshallplan mit entwicklungsfreundlichen Veränderungen der weltwirtschaftlichen Strukturen zugunsten eines fairen Handels, von Investitionen in die Armutsbekämpfung und des ökologischen Umbaus bei uns und im Süden.
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Die von Deutschland durchgepeitschte Austeritätspolitik in der EU muss beendet werden.
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Stattdessen benötigt die EU eine umfassende Investitionsinitiative für den Übergang zu regenerativen Energien, nachhaltigen inklusiven Systemen der Wohnungswirtschaft, des Verkehrs, der Bildung und Kultur, Gesundheit und Pflege.

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images
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Der deutsche Exportüberschuss, der für viele andere europäische Staaten und die europäische Integration zerstörerisch ist, kann durch stärkere Binneninvestitionen umgelenkt und mit einem solidarischen Ausgleich in der EU verbunden werden.
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Schon lange hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass die ökonomischen und sozialen Verwerfungen in politische Katastrophen münden können, so Alain Badious vor einem „demokratischen Faschismus“. Bereits die Weltwirtschaftskrise 1929 war eine der Ursachen für den Aufstieg des Faschismus.
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Ein erbarmungsloser Sozialdarwinismus, der als Sachzwang der finanzmarktgetriebenen Globalisierung daherkam, hat viele Verlierer produziert und Angst vor dem Abstieg erzeugt. Die Wirkung der Austeritätspolitik kam dann noch einmal obendrauf.
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Abgehängt, entwürdigt, erbittert und wütend, wendet auch ein Teil dieser Verlierer sich jetzt einer Rechten zu, die ihnen Sicherheit, Respekt und Teilhabe verspricht. Dabei erliegen sie der Illusion, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit könnten ihre Probleme lösen.
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Der weitere Aufstieg der populistischen Rechten kann nur durch eine andere Wirtschafts-, Sozial- und Friedenspolitik gestoppt werden.
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So wie Luther die Gläubigen in seinen Thesen 94 und 95 ermutigte, so benötigen die Menschen in Deutschland, in Europa und der Welt eine realistische Zuversicht, dass die geballten und schwierigen Herausforderungen für ihre soziale Situation sowie durch Kriege, Not und Klimawandel gelöst werden können.
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Ohne Hoffnung, so Salomon, werden die Menschen wüst und wild. Menschen, die lediglich auf Lösungen von oben oder außen warten, werden sie jedoch nicht bekommen.
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Dort werden sie nur die Vorherrschaft der Finanzmärkte und ihrer Interessen vorfinden.
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Es geht um nicht weniger als um die Vormacht von Demokratie und Menschenrechten, die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen durch solidarisches Handeln auch gegen die Finanzmärkte.
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Doch anders als selbstbewusst und selbstverantwortlich wird eine solche Reformation der Gesellschaft von den Menschen nicht erreicht werden.
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Nur durch den Druck aus der Gesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird es möglich sein, die Reformblockade im politischen und gesellschaftlichen System zu überwinden.
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