Christoph Hein, geboren 1944, Dramatiker und Autor von Prosawerken und Essays, war Regieassistent bei Benno Besson. Von 1967 bis 1971 studierte er Philosophie in Leipzig, danach arbeitete er als Dramaturg an der Volksbühne bei Besson bis 1979. Wichtigste Stücke: "Die wahre Geschichte des Ah Q" (1983, Deutsches Theater, Regie Alexander Lang), "Passage" (1987, Dresden, Regie Klaus-Dieter Kirst), "Die Ritter der Tafelrunde" (1989, Dresden, Regie Klaus-Dieter Kirst). Heins Novelle "Der fremde Freund" (1982), und der Roman "Horns Ende" (1985) gehören zu den wichtigsten Werken, die in der späten DDR erschienen.
FREITAG: Hatte die DDR etwas besonders Theatralisches?
CHRISTOPH HEIN: Ulrich Eckhardt, der frühere Chef der Berliner Festspiele, sagte mal, die DDR sei ein Kunststaat gewesen, in des Wortes mehrfacher Bedeutung. Es gab eine besondere Wertschätzung, Hochschätzung der Kunst, und auch Angst davor. Das war schon eine Besonderheit etwa im Unterschied zur Bundesrepublik.
Heiner Müller meinte, Shakespeare wäre in einer Demokratie undenkbar. War tatsächlich das System als Reibungsfläche ein wesentlicher Punkt, um dramatische Texte zu verfassen?
Ich denke, dass besonders schwierige Situationen für die Kunst nicht unbedingt schädlich sind. Es ist eine Merkwürdigkeit, dass ein raueres Klima schönere Blumen hervorbringt. Das spricht nicht für das rauere Klima, Kunst ist eine merkwürdige Pflanze.
Wenn man sich Bilder von Großveranstaltungen in der DDR anschaut, Parteitage, Weltfestspiele, Sportfeste in Leipzig, so wirkt dies tatsächlich alles sehr theatralisch. War die DDR eher eine tragische oder eine komische Inszenierung?
Ich denke weder - noch. Die Inszenierungen waren vielfältig, ob freundlich oder unfreundlich, positiv oder negativ gesehen, aber mit den Begriffen von Komödie und Tragödie würde ich da etwas zurückhaltender umgehen. Das vermischte sich selbstverständlich. Und was diese Aufmärsche, dieses Offizielle, das zur DDR dazugehörte und verschiedene Diktaturen auszeichnet, das war nicht unbedingt eine Sache von Theater, das hat etwas mit der Art der politischen Präsentation zu tun.
Gleichzeitig hat es hervorragende Produktionsbedingungen für die Theater in der DDR gegeben, eine sehr große Breitenwirkung und eine große Theaterdichte.
Was ich vorhin sagte, diese besondere Hochschätzung und Wertschätzung der Kunst, das hat etwas mit der Arbeiterbewegung zu tun, auch der des 19. Jahrhunderts, als es diese Höhen der bürgerlichen Kultur zu stürmen galt. Gleichzeitig witterte der Staat da auch stets Verrat, hatte Angst. Das besserte sich im Laufe der Zeit, aber mit der Hochschätzung war auch die Angst vor ihr verbunden und der Wunsch, Kunst mittels Zensur zu beeinflussen.
Bevor Stücke auf die Bühne kamen, vergingen Jahre, bevor Bücher in die Buchläden kamen, wenn überhaupt, ebenso, und trotzdem blieb diese Riesenangst. Woher kommt so eine Grundangst gegenüber Künstlern?
Aus der Hochschätzung. Wenn ich etwas übermäßig schätze, entsteht auch die Vermutung, die Angst, die Hoffnung, wie auch immer, dass davon etwas ausgehen könnte. Es lag immer diese alberne Anekdote in der Luft, dass die französische Revolution durch eine Aufführung von Figaros Hochzeit ausgelöst worden sei. Das schwebte immer über diesem Staat, dass Künstler und ihre Kunst etwas verändern könnten. Das ist in der Bundesrepublik nun völlig anders. Da können wir machen, was wir wollen. Es interessiert keinen, und es verändert auch nichts.
Nach dem Mauerbau gab es auch die Hoffnung, jetzt gäbe es einen Konsens darüber, dass wir hier arbeiten und dass wir hier alles sagen können, wenn wir uns über dieses Fundament DDR einig sind. Sie haben diese Geschichte aus einer besonderen Situation erlebt.
Ich war 14, als ich in den Westen ging, weil ich nicht auf die Oberschule gehen durfte, und ich war 17, als die Mauer gebaut und ich dann wieder eingefangen und wider Willen zum DDR-Bürger gemacht wurde, was in meiner persönlichen Lebensplanung nicht vorgesehen war. Es sollte eigentlich so laufen, dass ich das Abitur in Westberlin mache und dort auch studiere und so weiter. Natürlich sind das sehr entscheidende Jahre, und mit der Mauer war für mich auch ein Endpunkt gesetzt, für das, was ich da gehofft und geplant hatte, und ich musste mich völlig neu orientieren. Da setzten dann eben ein paar Jahre der Bestrafung ein, weil ich ja ein Abgehauener war. Also die Hoffnung, dass es durch den Mauerbau weniger Ängste geben würde und man sich mehr auf die eigenen Schwierigkeiten und Problemen konzentrieren könne, das habe ich anfänglich nicht so erfahren.
Was hat Sie dazu bewogen, 1963, in diesen schwierigen Jahren, bei Benno Besson zu assistieren?
Ich hatte mich schon als Zwölfjähriger entschieden, dass ich Stücke schreibe, und hatte auch in diesem zarten Alter gesehen, dass die glücklichsten Momente in der europäischen Theatergeschichte die waren, wo die Verbindung des Autors mit der Bühne intakt war. Ich nenne zwei Namen, Molière und Shakespeare. Und ich hatte absolut die Vorstellung, dass das eigentlich nur auf diesem Wege sinnvoll und fruchtbar ist, dass ich mit einem Theater zusammenarbeite. Das war der Grund, weswegen ich mich damals mit 18 bei Besson gemeldet habe, ein Jahr bei ihm als Assistent gearbeitet habe und nach dem Studium wieder an seine Bühne ging.
Sie sind hingegangen und haben gesagt Herr Besson: Ich würde gerne?
Ja, ja, ich habe ihn vor dem Deutschen Theater abgefangen, habe mich vorgestellt und gesagt: "Ich würde gerne als Assistent bei Ihnen arbeiten." Und da war er sehr überrascht und stutzte und sagte so zu mir: "Gut, einverstanden, wir machen´s aber wie in Frankreich." Und ich sagte: "Ich weiß nicht, wie man es in Frankreich macht." Darauf er: "Ohne Geld", und ich schluckte etwas und sagte: "Okay." Ich war dann ein Jahr bei ihm, immer in der Sorge, dass ich als "asoziales Element", weil ich keinen Arbeitsvertrag hatte, von den Behörden geschnappt und zur NVA geschickt werde beispielsweise, was eine übliche Bestrafung für solche "Subjekte" war.
Wie nah war die Arbeit an der DDR-Wirklichkeit dran? Besson ist ja auch in Betriebe gegangen und hat dort mit Arbeitern diskutiert und über sein Theater gesprochen.
Die Nähe zur DDR-Wirklichkeit war immer ein bisschen gebrochen. Theater neigt grundsätzlich dazu. Hinzu kam natürlich auch, dass Besson als Mann aus der französischen Schweiz die DDR nur sehr bedingt wirklich gekannt hat. Das beweist ja dieses Beispiel, dass er in die Betriebe ging und mit den Arbeitern redete. Das machten erfahrene DDR-Theaterleute nicht, die wussten, dass das unsinnig ist. Aber er hatte noch den Schwung einer Idee, die da längst nicht mehr funktionierte.
Die Besonderheit seines Theateransatzes hat letztlich etwas mit seiner Herkunft zu tun, der französischen Schweiz, dem Süden, der katholischen Kultur. Der Katholizismus war immer sinnenfreudiger als der Protestantismus, der, wie Marx mal sagte, den Christenmenschen aus dem römischen Joch befreit habe, nur um sein Herz in Ketten zu legen. Und mit Besson kam - obwohl er selbst, soviel ich weiß, nicht gläubig war - eine katholisch geprägte Kultur nach Berlin. Sehr sinnenfreudig, spielerisch. In diesem Zusammenhang brachte er auch, das war sehr wichtig, das französische Volkstheater, speziell Molière nach Deutschland, mit Spielweisen, die hier neu waren und mit großer Begeisterung aufgenommen wurden. Als er das wirkliche Volkstheater hierher brachte, achtete er sehr darauf, dass die Ebene der Kunst wieder beachtet wurde: Er antwortete sich selber, indem er im nächsten Programm einen Shakespeare oder einen Racine in der Volksbühne herausbrachte. Das war für ihn eine große kulturelle, künstlerische Einheit. Auch das war in diesem protestantischen Norden, wo eine strikte Trennung zwischen Hochkultur und niederer Kultur, zwischen bürgerlich-adliger Kultur und der plebejischen herrscht, neu, überraschend und begeisternd.
Ihre ersten Texte sind bei den Volksbühnen-Spektakeln zur Aufführung gekommen, wie "Schlötel", der gekürzt, aber auch viel diskutiert wurde. Wieweit hat die Wirklichkeit eingegriffen in den Theateralltag?
In den Theateralltag griff sie natürlich ständig ein, bis hin zu dem Schlusspunkt, als Besson kündigte, als ihm sein Spielplan dreimal von der ihm übergeordneten Behörde nicht genehmigt wurde. Da sagte er völlig zu Recht: "Wenn ein Intendant einen Spielplan nicht durchbekommt, dann ist er eben nicht mehr der Intendant", und er ging. Das war immer ein Kampf und immer mit Kompromissen verbunden.
Wie sehr setzte einen das als junger Autor, der weiß, dass es nicht einfach wird, jeden Stoff auf die Bühne zu bekommen, unter Druck?
Das stählt den Mut und hilft, die Fäuste oben zu behalten. Widerstände haben was enorm Anregendes, jedenfalls für mich. Man hat diese Möglichkeit, und nicht nur als Möglichkeit, denn diese ständig drohende Zensur oder Eingriffe haben mich ja auch gereizt.
Unter welchen Umständen musste "Schlötel" gekürzt werden?
Das waren politische Gründe. Die Zensurleute, die ins Theater kamen, waren nicht bereit, mit mir zu sprechen, die sprachen nur mit dem Intendanten und dem Regisseur. Und da hatte Besson verlangt, dass wir ein gemeinsames Gespräch führen. Das war eine ganz absurde Veranstaltung, weil diese Zensoren sich in dem ihnen aufgezwungenen Gespräch so setzten, dass sie mich nie anblicken mussten. Und alles, was sie an dem Text kritisierten, sagten sie dem Intendanten. Der war ihr Untergebener und nicht irgendein hergelaufener Autor. Das war ein absurdes Gespräch. Aber komisch, ich ging sehr belustigt raus.
Wieviel Fähigkeit zu, Zynismus gehört dazu, das so amüsiert aufzunehmen?
Kein Zynismus, mit Zynismus können Sie in der Kunst nicht arbeiten, das geht nicht. Nur einfach wissend aus der Geschichte, das ist nix Neues, was da passierte, das hatten ein paar Kollegen in den letzten Jahrhunderten alle schon durchgemacht, also insofern fühlte ich mich absolut in einer Tradition geborgen. Es geht mir nicht besser als den anderen, aber eben auch nicht schlechter.
In Ihrem Fall gipfelte das in der Anekdote, die Anfang der achtziger Jahre die Runde machte: Sie hätten so viele unveröffentlichte Texte, dass Ihr Debüt als mehrbändige Kassette geplant sei. Wie war das genau?
Besson kündigte aus den schon erwähnten Gründen, und ich kündigte auch. Etwas kühn, weil ich allein auf der Straße stand und mir überlegen musste, wie ich mir die Brötchen verdiene. Ich kramte alle Texte zusammen, die ich hatte, und ging zu einem Verlag, wieder mit der Arroganz, die mir eigen ist, zu dem besten des Landes. Und Aufbau war auch bereit, das alles zu drucken. Sie sagten aber, es sei doch sehr viel, sie würden mit drei Bänden beginnen. Dafür bräuchten sie dann eine Kassette, und es starb daran, dass sie keine Firma fanden, die ihnen die Kassette bastelte. So sind die Bände schließlich nacheinander erschienen. Ich hatte Hacks davon erzählt, dass sie mit drei Bänden in einer Kassette beginnen wollen, und er schaute mich so an und überlegte und sagte dann: "Eigentlich ein schöner Gedanke, mit gesammelten Werken zu debütieren."
Ihr erster Essayband erschien mit dem Titel "Öffentlich arbeiten". Was wir eben besprochen haben, ist ja genau genommen das Gegenteil von öffentlich arbeiten, nämlich eine Nichtexistenz in bestimmten Jahren.
Darum hieß dieser Essay-Band zu DDR-Zeiten Öffentlich arbeiten, weil in ihm mehrfach diese Schwierigkeiten zur Sprache kommen. Es hat ja genau damit zu tun, dass die Arbeit auch dann, wenn ihr die Öffentlichkeit genommen ist, immer noch eine öffentliche Arbeit bleibt, die Arbeit von Künstlern, von Autoren, von Theatern immer eine öffentliche Arbeit ist, egal, ob sie zugelassen ist, ob sie das Publikum erreicht oder nicht. Ein Widerspruch in sich, gar keine Frage.
Auf dem Schriftstellerkongreß 1987 haben Sie gefordert, die Zensur abzuschaffen. Nicht allein der Freiheit der Kunst wegen, sondern auch weil sie eine Ersatzöffentlichkeit hervorbringt. Es ging letztlich darum, was Kunst ist und nicht dauernd zu fragen, wo ich noch was verstecken kann.
Es war aufreibend, aber es war auch anregend. Ein wichtiger Punkt bei diesem Arbeiten mit der Zensur oder gegen die Zensur war eben auch, sich nicht auf eine andere Art und Weise von der Zensur bestimmen lassen, indem man ausschließlich gegen die Zensur schreibt und sich im Grunde darauf fokussiert. Wenn man der Zensur genügt und ihr nachgibt, dann sollte man das Schreiben aufgeben. Aber wenn man nur dagegen schreibt, ist das natürlich wieder eine Begrenzung, eine Einschränkung, die für die Kunst genau so fatal ist.
Über Ihre Stücke haben Sie kurz nach der Wende gesagt, dass Sie einerseits nie konkret die DDR beschrieben hätten, im Sinne von Anprangern und Einmischen, andererseits haben Sie nach mit ihren Stücken seit 1974 elfmal das Ende der DDR beschrieben, in historischen Stoffen, in Verkleidungen. Nehmen wir als Beispiel "Die wahre Geschichte des Ah Q", wie haben Sie daran gearbeitet - ohne Blick auf die DDR?
Wahrscheinlich kann ich das am deutlichsten erklären mit Die Ritter der Tafelrunde. Das war ein Stoff, den ich über Jahre erkundet habe. Ich bin heilfroh, dass ich den 1987 beendet hatte, zwei, drei Jahre später hätte ich ihn wohl nicht mehr zu einem Ende geführt. Ich hatte deswegen Schwierigkeiten, ich wollte den Mythos nicht kränken, nicht verändern, und das war das Wesentliche. Aber da gab es noch diese andere Kleinigkeit für mich: Es sollte sich auch nicht nur, schon gar nicht ausschließlich auf die DDR beziehen, denn das würde den Mythos unendlich verkleinern und Kabarett werden.
Bei der Uraufführung 1989 hat Ihnen die Wirklichkeit diesen großen Stoff dann doch aus der Hand genommen und in diese kleine Republik zurück übersetzt. Es hat also eine Unmittelbarkeit gegeben, die Ihnen als Autor die Ideen aus dem Stück wegnimmt. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das war das Übliche. Man konnte mit bestimmten Aufführungen eines Goethe-Stückes die gleichen Effekte erzielen, das Publikum hatte sehr gespitzte Ohren. Ich erinnere mich, dass Dieter Hildebrandt, der Kabarettist, Mitte der achtziger Jahre in der DDR ein Gastspiel hatte, und meinte, das Publikum säße in der DDR anders auf den Stühlen, so mehr vorne auf der Leiste. Er hat damit die ungemein hohe Aufmerksamkeit des Publikums sehr schön beschrieben. Also insofern passierte da meinem Stück nur das, was jedem Stück von irgendeinem beliebigen Kollegen in der DDR passieren konnte.
Es ist aber schon so, dass dieses Stück vom Scheitern einer Utopie letztlich selbst zu einer Art Revolutionsappell wurde, als in Dresden die Schauspieler aus ihren Rollen traten und die Wirklichkeit quasi auf der Bühne stand. Das ist ja eigentlich etwas anderes, als das, was Sie geschrieben hatten.
Ja, gut, das ist eine Besonderheit dieses Jahres und dieser Wochen und Monate. Das passierte nicht nur dort, bei diesem Stück wurde vielleicht das Thema etwas stärker, aber das ist der normale Zustand, wenn solche heftigen Veränderungen in einer Gesellschaft passieren.
Warum hat Sie das immer wieder gereizt, in historischen Stoffen Momente des Scheiterns zu entdecken?
Ich denke, weil ich ein Kind des Landes war, ein DDR-Bürger, der sich mit seiner Gesellschaft beschäftigte, bestimmte Missentwicklungen sah und ein paar Belehrungen aus der Geschichte hatte, so dass ich dieses Ende mehrmals beschreiben konnte, ohne als Prophet zu gelten, sondern einfach nur, indem ich aufschrieb, was ich gesehen habe. Und die Bezüge auf die Geschichte, etwa mit solchen historischen Stoffen wie dem Cromwell, das war ein Moment des Theaters. Theater arbeitet immer gern mit dem Kostüm. Es kann ein ganz aktuelles Problem immer mit dem Gewand des Hamlet abhandeln, den Gegenwartsbezug stellt der Schauspieler her, der mein Zeitgenosse ist.
1974 also, kurz nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker, beginnen Sie über das Ende zu schreiben. Das war aber auch eine Zeit, in der nicht wenige noch einmal eine Hoffnung auf Honecker richteten, auf eine Öffnung. Wie haben Sie das erlebt?
Nein, das kann ich so nicht bestätigen, dass das der allgemeine Eindruck war. Ich kannte auch sehr viele ältere Kollegen, die genau das Gegenteil sagten, die an diesem Wechsel überhaupt nichts Freundliches oder Positives entdecken konnten. Ich merkte zwar, im Unterschied etwa zu den fünfziger Jahren, die ich selbst eher aus der Geschichte kannte, dass sich da die Zensur etwa oder der Umgang mit Kunst in den Jahrzehnten verändert hatte. Aber dass da ein grundsätzlicher Wechsel stattgefunden hat, kann ich nicht sagen. Irgendwelche Parteitagsreden hatten sich verändert, aber da war ich sehr misstrauisch. Da ließ ich mich doch eher von den Realien überzeugen.
Führen Sie diese Grundeinstellung auf ideologische Dogmen zurück, dass Leute wie Ulbricht und Honecker möglicherweise mit Theater, Kunst und Kultur ohnehin nicht so viel anfangen konnten?
Jetzt spreche ich natürlich ein bisschen aus heutiger Sicht und muss aufpassen, dass das etwas mit dem Damaligen zu tun hat. Ich denke, dass die regierende Mannschaft letztlich nicht allzu gebildet war, um es sehr höflich auszudrücken. Aber dass sie eben auch ganz den Prinzipien und Idealen des 19. Jahrhunderts, der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, diesen Arbeiterbildungsvereinen verhaftet war. Und aus diesem Grund in der Kunst und Kultur eine zu erobernde Höhe sahen, mit einem heftigen Unverständnis dafür, was Kunst ist. Kultur war diesem Verständnis nach Goethe, Schiller plus ein paar politisch brauchbare Gedichtchen.
Das Gespräch führten Thomas Irmer und Matthias Schmidt
Literaturhinweis: Die Bühnenrepublik - Theater in der DDR von Thomas Irmer Matthias Schmidt, Alexander Verlag, Berlin 2003, 240 S., 15 EUR
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