Wie dämlich ist die deutsche Umweltpolitik!

Nitrat-Urteil Ziele benennen und verfehlen, so macht die Bundesregierung Agrarpolitik. Dafür wurde sie nun abgestraft. Das Tragische: Die Lösungen sind eigentlich bekannt
Ausgabe 26/2018
Das ganze Düngeregelwerk sei ein „Betrug an guter Landwirtschaft“, sagt der Kieler Agrarprofessor und Nitrat-Experte Friedhelm Taube
Das ganze Düngeregelwerk sei ein „Betrug an guter Landwirtschaft“, sagt der Kieler Agrarprofessor und Nitrat-Experte Friedhelm Taube

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

„Eine saftige Ohrfeige“, kommentiert der NDR. „Blamage“, schreibt die taz. Der Kieler Agrarprofessor und Nitrat-Experte Friedhelm Taube nennt es schlicht „Politikversagen“. 1991 hatte die Europäische Union beschlossen, das Wasser in Europa zu schützen und verbindliche Grenzwerte für Nitrat festgelegt. Das war nötig geworden, weil in Gegenden mit hoher Viehdichte und intensiver Landwirtschaft zu viel Nitrat in die Gewässer gelangt war. Deutschland hat diese EU-Richtlinie ein Vierteljahrhundert stoisch ignoriert. Die Nitratwerte stiegen weiter, der Protest der Wasserwerke wurde lauter – bis die EU-Kommission die Bundesregierung schließlich vor den Europäischen Gerichtshof zerrte und wegen Vertragsverletzung verurteilte. Nun drohen Strafzahlungen, für die selbstverständlich nicht das Verursacherprinzip gilt. Es werden vielmehr die Steuerzahler sein, die für die politischen Versäumnisse aufkommen.

Nach langem Hin und Her hat die Bundesregierung vergangenes Jahr endlich eine neue Düngeverordnung beschlossen. Der Bauernverband versucht deshalb abzuwinken: Das Urteil beziehe sich ja auf die alte Rechtslage und sei damit irrelevant. Doch der Dünge-Experte Taube hat die neue Verordnung für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft untersucht und kommt zu einem vernichtenden Urteil: Wegen vieler Schlupflöcher für Nitrat-Betrug seien keine Verbesserungen zu erwarten, das ganze Düngeregelwerk sei ein „Betrug an guter Landwirtschaft“.

Wie dämlich ist das! Nach der neuen Rechtslage müssen nun alle Betriebe ausführliche Düngebilanzen erstellen – auch die Landwirtinnen und Landwirte, die jahrelang sorgfältig und verantwortungsvoll gewirtschaftet haben. Aber das Wasser wird davon nicht besser, weil in den kritischen Regionen, in denen sich die Megaställe drängen, die Grenzwerte fürs Düngen viel zu hoch angesetzt wurden.

Was für ein Bild von unserer Demokratie entsteht bei den Bürgerinnen und Bürgern angesichts solcher Verhinderungspolitik? Deutschland verfehlt die Nitratziele der EU genauso wie die selbst gesetzten Klimaziele. Auch aus der UN-Konvention zur Biodiversität, die das Artensterben begrenzen sollte, ist leider nichts geworden. Ebenso wenig wie aus der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, die einen guten Zustand von Seen, Flüssen und Meeren als Ziel formuliert hatte. Nach diesem Muster macht die Bundesregierung Umweltpolitik: Ziele benennen und verfehlen, neue Ziele aufstellen und wieder verfehlen. Das Tragische dabei ist: Die Lösungen sind bekannt. Sie werden nur ignoriert.

Der ökologische Landbau hat jahrzehntelange Erfahrung darin, Lebensmittel zu produzieren, ohne Gewässer und Artenvielfalt zu gefährden. Eine simple Flächenbindung der Tierbe-stände würde das Gülleproblem lösen und ein Ende der Megaställe bedeuten, was wiederum die Antibiotika-Mengen sinken ließe. Natürlich bräuchte es Übergangsfristen und Umstellungshilfen. Aber es gäbe sogar Geld dafür: im EU-Agrarhaushalt, der gerade neu verhandelt wird. Auch Einnahmen aus einer Zuckersteuer und einer Risikoabgabe für den Einsatz von Ackerchemie könnten für einen solchen Umbau genutzt werden. Alle Standards müssten unbedingt auch für importierte Lebensmittel gelten, damit nicht anderswo das Grundwasser für unseren Fleischkonsum gefährdet wird. Das Ergebnis wäre eine Win-win-win-Situation: für das Trinkwasser, für die Artenvielfalt, für die Tiere in der Landwirtschaft und für unsere Gesundheit.

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