Wie ein Cheerleader

Im Gespräch Der britische Literat Tariq Ali über den Autismus der politischen Elite seines Landes und einen denkbaren Kurswechsel Blairs in der Irak-Politik

FREITAG: Sie haben die Bomben von London als Vergeltungsaktionen für die britische Beteiligung an den Kriegen in Irak und Afghanistan bezeichnet. Machen Sie es sich damit nicht etwas zu einfach? Anschläge gab es doch schon lange vor diesen beiden Feldzügen.
TARIQ ALI: Das ist sicher richtig, aber diese Attacken waren ausnahmslos gegen US-amerikanische Ziele gerichtet. Denken Sie an den Anschlag auf das World Trade Center in New York 1993, als al-Qaida dafür die Verantwortung übernahm, oder an die Zerstörung der US-Botschaften in Daressalam und Nairobi Anfang August 1998. Erst seit dem Afghanistan-Krieg vor knapp vier Jahren und der Besetzung des Irak finden diese Anschläge auch in anderen Staaten statt. Die letzten Bomben in London explodierten 1996 in den Docklands, glaube ich, während der militärischen Auseinandersetzungen mit der IRA in Nordirland. Seitdem aber herrschte Ruhe.

Die Regierung Blair bestreitet vehement, dass die Anschläge der Preis für die Besatzung und die Allianz mit den USA sind.
Es kann nicht überraschen, dass sich die politische Elite so verhält. Diese Leute haben ein schlechtes Gewissen. Würden sie den politischen Kontext der Anschläge anerkennen, käme das einem indirekten Eingeständnis ihrer Mitschuld für die Toten gleich. In gewisser Weise werden im so genannten Krieg gegen den Terror von beiden Seiten die gleichen Mittel angewandt: Folter, Terror gegen Zivilisten, Bruch internationalen Rechtes.

Genau davor hatte einst Londons Oberbürgermeister Ken Livingstone gewarnt: Ein Überfall auf den Irak werde Sicherheit und Frieden weltweit gefährden, meinte er am 15. Februar 2003, als es in London die großen Anti-Kriegsdemonstrationen gab.
Ja, das hat er. Nur zieht der "Rote Ken" leider erst jetzt daraus die notwendigen politischen Schlüsse, wenn es um die Ursachen des Terrors geht, der London heimsucht. Aber ich war immer zuversichtlich, dass er seine Meinung ändert, wenn die Londoner mehrheitlich die Verbindung zwischen dem Terror und der Besetzung des Irak und der Besatzung in Afghanistan herstellen. Diese Bomben haben schließlich nicht Paris oder Berlin treffen sollen. Es bleibt übrigens zu hoffen, dass auch Angela Merkel diese Botschaft versteht und von ihrem "Atlantizismus" Abstand nimmt.

Halten Sie letzten Endes solche Konsequenzen für möglich, wie sie Spanien nach den Anschlägen von Madrid im März 2004 ergriffen hat?
Kurzfristig nicht, denn in Spanien gab es seinerzeit eine starke Sozialistische Partei mit einer starken Anti-Kriegs-Position, die noch dazu in diesem Moment die Regierungsgeschäfte übernahm. In Großbritannien unterstützen die beiden führenden Parteien - Labour und die Tories - die Kriege im Irak und in Afghanistan. Ich halte es allerdings durchaus für denkbar, dass Blair seinen Kurs ändert, sollte sich die öffentliche Meinung massiv gegen ihn richten. Vorerst aber steht er Bush wie ein Cheerleader zur Seite.

Das Gespräch führte Harald Neuber

Tariq Ali (62) gehört zu den Gründungsmitgliedern der Bewegung New Left (Neue Linke) und gibt die Zeitschrift New Left Review mit heraus. In seinem Buch Bush in Babylon hat er jüngst scharfe Kritik an der Irak-Invasion der USA und ihrer Verbündeten geübt.


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