Wie geht´s?

Gäbe es eine "Unfrage des Jahres", ich würde regelmäßig "Wie geht´s?" nominieren. ...

Gäbe es eine "Unfrage des Jahres", ich würde regelmäßig "Wie geht´s?" nominieren.

Denn einmal davon abgesehen, dass sich das wahre Interesse des Fragestellers üblicherweise genau indirekt proportional zur Länge der Ausführungen des Antwortgebers verhält, macht sich der Frager moralisch schuldig, weil er den Verhörten für gewöhnlich zum Lügen, zum Rumeiern und im schlimmsten Fall zum Weinen verleitet. Und überhaupt, wie soll es schon gehen? Mal so und mal so eben. Aber ist das wirklich wichtig?

Nehmen Sie zum Beispiel mich. Gestern morgen nach dem Frühstück ging es mir gut. Dann gegen Mittag wurde ich müde, was ich als weniger angenehm empfand. Dafür hatte ich am späten Nachmittag wieder frischen Wind in den Segeln. Allerdings wurde meine Stimmung gegen Abend getrübt, weil Regen aufkam und ich außerdem einen Stein im Schuh hatte, den ich nicht los wurde, weil ich nämlich eine Teppichrolle aus dem Baumarkt trug, die ich nicht absetzen konnte, weil es, wie gesagt, regnete.

Und nun seien Sie ehrlich. Interessiert Sie das etwa?

Na sehen Sie. Und doch werden hierzulande tagtäglich unbescholtenen Bürgern von vollautomatischen Plaudertaschen tausendfach Löcher in den Bauch gefragt.

"Ja aber ...", werden Sie jetzt sagen, "... manchmal geht es einem doch einfach nur super, so super, dass man sich direkt jemanden wünscht, der einen fragt, wie es geht, bloß um einmal Einfach super! sagen zu können."

Das ist ein kluger Einwand, wie ich finde. Aber Hand aufs Herz - trauen Sie Ihren zahlreichen Gesichtsmuskeln etwa nicht zu, dass sie es in so einem Fall einigermaßen hinkriegen, für alle sichtbar auszudrücken, dass es Ihnen super geht? Wozu also die ewige Fragerei nach dem Befinden? Oder nehmen wir das andere Extrem. Es geht Ihnen hundeelend. Sie schleichen wie ein Schatten Ihrerselbst durch die Weltgeschichte, und plötzlich streift Ihr leerer Blick das Gesicht eines Bekannten. Doch statt respektvoll einen großen Haken zu schlagen, verstellt er Ihnen den Weg und trällert Ihnen quietschvergnügt sein penetrantes "Wie geht´s?" entgegen. Das ist doch wohl der Gipfel der Grausamkeit.

Das wirklich Unangenehme aber ist, dass es einem im Normalfall weder super noch dreckig, sondern so lala geht. Aber "so lala" kann man natürlich nicht sagen, weil der für solche Situationen gedrillte Nervtöter von der Schwafelguerilla auf der Stelle wissen will: "Wie lala?"

Und schon ist man wieder gezwungen, zu labern, Phrasen zu dreschen oder wegen Nötigung seinen Anwalt einzuschalten.

Also wenn es nach mir ginge, dann dürfte sich nur noch mein Hausarzt ungestraft nach meinem Befinden erkundigen. Und die Frage "Wie geht´s?" stünde auf der Liste der bedrohten Redensarten. Aber nach mir geht es ja nicht. Leider. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, wie es mir damit geht - danke, ich kann nicht genug klagen.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden