Wie ich erfolgreich wurde

Kino Der Dokumentarfilmer Marko Doringer spürt in „Mein halbes Leben“ der Angst seiner Generation nach und stößt dabei: auf sich

In den ersten Minuten der Dokumentation Mein halbes Leben zieht ein etwa 30-Jähriger das Fazit seines bisherigen Lebens. Es ist der Salzburger Filmemacher Marko Doringer selbst, der zum einen mit einer Art Lebensbeichte kokettiert (der Ausfall eines Backenzahns als Zeichen des nun einsetzenden Verfalls). Zum anderen begibt er sich alsbald auf die Spuren von gleichaltrigen Freunden und Bekannten, spürt ihren Biografien und Befindlichkeiten nach, um so etwas wie ein Generationenporträt zu entwerfen.

Mit diesem Statement: „Meine Generation lebt in einer Art Zwischenwelt: Auf der einen Seite stehen unsere Eltern. Auf der anderen Seite die heute Unter-20-Jährigen. Diese Generation steht unter einem enormen Leistungs- und Anforderungsdruck.“ Das ist eine ziemlich bekannte Konstellation: Die nach etwa Jahrzehntedifferenz zurecht geschnittenen Generationenscheiben und die ihnen jeweils zugeschriebenen Markierungen sind ein Dauerbrenner medialen Interesses.

So ist zunächst Doringers Selbstfindungstrip weder eine Überraschung noch gar ein Unikat. Doringers erzählerischer Einstieg nährt Erwartungen, ist er doch mit einigen Prisen Selbstironie gewürzt. Doch zusehends geht es grüblerischer, bedeutsam raunender zur Sache. Der Film mutiert zum melancholischen Lamento: „Wohin will ich? Was habe ich denn überhaupt bis jetzt erreicht? Ich habe kein Studium abgeschlossen, keine Berufsausbildung, noch kein Haus gebaut oder mir Geldreserven zur Seite gelegt. Ich habe weder Kind noch Frau noch Freundin! Ich habe nichts, ich bin nichts – und in 30 Jahren bin ich tot!“

Marko Doringer findet die bei sich selbst fixierten Symptome variiert auch bei anderen Protagonisten der Generation der thirty somethings. Wenngleich zunächst ein anderer Schein trügt – da es doch irgendwie erfüllte Karrieren sind, die Martin, Katha und Tom präsentieren: Sportjournalist, Modedesignerin, Industriemanager. Doch das Nachhaken ergibt gleichfalls Überdruss und Frust, Probleme mit der Leistungsideologie, Experimentieren mit anderen Modellen der Selbstverwirklichung.

Immerhin mutmaßt Doringer, dass die Ängste dieser Generation „mehr als nur eine innere Befindlichkeit sind“. Vage, sehr vage wird diese Frage gestellt. Der Blick des Filmemachers auf vielleicht komplexe soziale Kausalitäten, auf Metamorphosen von Systemen findet nicht statt.

Es bleibt das Bewusstwerden einer unsicher gewordenen Gegenwart, das Gefühl eines Verlustes an Sicher- und Vertrautheiten. Diese starke persönliche Attitüde in der ersten längeren Filmarbeit verdient Beachtung. Für Marko Doringer schuf sein Film Mein halbes Leben zudem eine ganz neue Erfahrung: „Ich habe etwas erreicht!“ Auf der Diagonale 2008 in Graz erhielt Mein halbes Leben die Auszeichnung als „bester österreichischer Dokumentarfilm 07/08“. Die Diagonale-Jury sprach von einer „klugen wie witzigen Tour d’Horizon über Erwachsenwerden, Mobilität und Beharren, Utopien und Realitätstüchtigkeit“. Bei dieser Maximierung des lobenden Zuspruchs erscheint es nun beckmesserisch, in den Widerspruch zu gehen. Doch: Es sollten ein paar Maßstäbe nicht zur Gänze vergessen werden. Doringer vermittelt seine Reflexion nicht nur thematisch zu linear, ohne den Versuch, auch einmal Kontrapunkte zu setzen, Widerhaken einzubauen. Der Film bleibt auch filmästhetisch zu genügsam. Schwächen in Strukturierung und Dramaturgie schaffen gleich mehrfach das Gefühl, dass Mein halbes Leben sich bald nur noch im Kreise dreht. Das äußere Erscheinungsbild wirkt in zu vielen Sequenzen als Zwitter von konventionellem Fernsehformat und Homevideo.

Das Leben ist in den besten Fällen Material zur Schaffung von Form. Nicht schon das Ziel.

Fred Gehler, geb. 1937, lebt in Leipzig. Als Filmkritiker schrieb u.a. für den Sonntag. Von 1994 bis 2003 Leiter des Leipziger DokfilmfestsDokumentarfilm

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