Wie Kaffeesatz lesen

Wirtschaftsforschung Die Krise lässt die bisherigen Modelle der Wirtschaftforschungsinstitute alt aussehen. Die Prognosen schwanken zwischen schlimm und fürchterlich und sind kaum verlässlich

Schon zum zweiten Mal musste das Deutsche Institut für Wirschaftsforschung (DIW) heute die wartenden Journalisten enttäuschen. Bereits am Freitag hätte das Berliner Institut sein monatliches Konjunkturbarometer veröffentlichen sollen, doch dann entschieden sich die Wissenschaftler anders und verschoben die Präsentation auf Montag. Doch auch diesen Termin konnten sie nicht einhalten. Erklärung: offiziell keine.

Die Panne beim DIW reiht sich nahtlos in das Durcheinander, das die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute in den letzten Monaten abgeliefert haben.Die prognostizierten Schreckensszenarien der letzten Monate weichen bisher so weit voneinander ab, dass eine realistische Einschätzung für 2009 bislang kaum möglich erscheint. Da fällt jetzt eine mehrfach verschobene Vorhersage auch nicht weiter ins Gewicht.

Es hat sich viel verändert seit letztem Sommer, als das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut IFO noch ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent für 2009 prophezeite. Zwar lag da der Fast-Kollaps der Investentbank Bear Stearns schon einige Monate zurück, doch ernst schien dieses Warnsignal in Deutschland kaum jemand zu nehmen. Finanzminister Steinbrück (SPD) plante weiter mit einem ausgeglichenen Haushalt für 2011 und die große Koalition ließ es sich nicht nehmen, im Boom-Jahr 2008 auch ihre Wähler zu beschenken. Zwar warnten einige Oppositionspolitiker wie die Grüne Christine Scheel vor einem „Wahlkampfhaushalt“, doch die Regierung ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Es sah ja auch alles gut aus im Sommer 2008.

Abwärtsspirale

Dann kam der September und mit ihm die Pleite von Lehman-Brothers. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig für die Wirtschaftsforschungsinstitute. Schließlich standen Veröffentlichungstermine für die neuen Prognosen an – und die waren schließlich das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Bald darauf korrigierten alle Institute ihre Zahlen deutlich nach unten und spätestens im Dezember hatte die Abwärtsspirale Fahrt aufgenommen.

Das IFO sah mittlerweile ein sattes Minus von 2,2 Prozent. Andere zogen nach: Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) rechnete mit -2,0 Prozent. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagte hingegen, es würden -2,7 Prozent werden. Nobert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank sagte sogar einen Einbruch um 4 Prozent voraus. Sicher war er sich da allerdings nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Schätzung richtig sei, setzte er bei „30 Prozent“ an.

Es dürften solche Spekulationen gewesen sein, die den Chef des DIW, Klaus Zimmermann, zu einem ungewöhnlichen Vorschlag brachten: Man solle doch in der nächsten Zeit auf Prognosen verzichten, schlug er vor. Sie heizten die sowieso schon negative Stimmung nur weiter an und seien vor allem unzuverlässig. Gerade mit letzterem dürfte er recht gehabt haben.

Unsichere Rechenszenarien

Denn die Modelle der Wirtschaftsforschungsinstitute sind auf diese Krise nicht vorbereitet. Es kommen zu viele Faktoren zusammen, die so wohl noch kein Rechenmodell abdeckt.

Modelle sind vereinfachte Darstellungen der Wirklichkeit. Deshalb sind die Schätzungen immer ungenau, doch da die Messinstrumente der Wirtschaftsforschungsinstitute über Jahre erprobt und verbessert wurden, stimmte die prognostizierte Zahl meist mehr oder weniger mit der realen Entwicklung überein. Durch die Wirtschaftskrise sind die alten Modelle jedoch unzureichend geworden. Das macht die Prognosen der Institute noch nicht zum Kaffeesatzlesen, doch allzu belastbar sind sie auch nicht.

Jetzt, da wieder das Ende eines Quartals naht, werden die Abstände zwischen den neuen Horrormeldungen wieder geringer. Hans-Werner Sinn, Chef des IFO-Instituts, sagte der Financial Times Deutschland bereits, der Tiefpunkt für die Wirtschaft sei 2010 zu erwarten. Und auch die ersten Zahlen sind schon da: Das IfW sieht in seiner neusten Schätzung die deutsche Wirtschaft 2009 um 3,8 Prozent schrumpfen. Vielleicht lag Norbert Walter mit Minus-Vier-Horrorszenario also doch gar nicht so falsch. 30 Prozent Sicherheit scheinen heutzutage eine Menge zu sein.

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