FREITAG: Sie sind seit über 30 Jahren in der SPD. Waren Sie, als eine Art »sozialdemokratisches Urgestein«, stolz auf den Kanzler, als er sein Nein zum Krieg äußerte?
RENATE SCHMIDT: Es ist für mich eine große Befriedigung, dass deutlich geworden ist, dass dieses Nein zum Krieg eine außenpolitische Haltung ist und keine Wahlkampfmasche. Dass unsere Bemühungen, was die Verhinderung des Krieges angeht, nicht aufgegangen sind, ist leider so. Doch wenn man jetzt sieht, wie dieser Krieg verläuft, dann kann ich nur sagen, dass unsere Haltung richtig war. Krieg besteht nun einmal nicht aus irgendwelchen Bildern, die man abends im Fernsehen sieht, sondern darin, dass Menschen sterben. Die deutsche Bevölkerung hat das Gott sei Dank begriffen. Ic
ank begriffen. Ich wünschte mir nur, dass andere das auch begreifen würden.Nicht nur der Irak-Krieg, auch Fragen der Familienpolitik bestimmten den Wahlkampf vor mehr als einem halben Jahr. Ihr Ministerium hat sich für die laufende Legislaturperiode ein großes Ziel gesetzt: Den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Doch Studien belegen: Nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ müsste sich da einiges ändern. Wie wollen Sie Qualität bei der Betreuung gewährleisten?Es gibt inzwischen Bände von Literatur, was die Qualität von Kinderbetreuung betrifft. Selbstverständlich wollen wir die Qualität ebenso verbessern wie die Quantität der Angebote. Doch wir dürfen die Länder und Kommunen nicht überfordern. Wir wollen, was Westdeutschland betrifft, die Zahl der Betreuungsangebote wirksam steigern. Gleichzeitig auch noch deutlich an der Qualitätssteigerung zu arbeiten - zum Beispiel was die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern betrifft, ist vom Finanziellen her nicht in einem Zug zu leisten. Trotzdem müssen wir uns aus diesem umfangreichen Material fünf bis zehn Prioritäten heraussuchen und mit den Ländern und Kommunen Terminpläne vereinbaren, was wir bis wann erreicht haben wollen.Wie sehen diese Prioritäten für Qualitätsstandards konkret aus?Es wird sicherlich darum gehen, Bildungsziele auch für den Bereich der Früherziehung zu vereinbaren. Womit ich nicht eine Verschulung der frühkindlichen Erziehung meine, wie sie etwa an den französischen écoles maternelles zu sehr praktiziert wird. Was wir brauchen, sind Angebote, die der Neugier, dem Wissensdurst, der Kreativität, dem Etwas-Können-Wollen von Kleinkindern entgegenkommen. Da erhoffe ich mir Hilfe von der neuen PISA-Studie, an der sich Deutschland beteiligen wird. Im Jahr 2004 wird über die OECD die Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung begutachtet werden und diese Ergebnisse werden uns helfen, das eine oder andere etwas schneller umzusetzen als es im Moment noch den Anschein hat.Das zweite große familienpolitische Projekt sollte die Reform des Ehegattensplittings werden. Sie hatten persönlich vor gut einem Jahr einen entsprechenden Antrag formuliert, der auch ins SPD-Wahlprogramm aufgenommen wurde. Warum sind Sie, warum ist Ihre Partei da nach den Wahlen eingeknickt?Wir sind nicht eingeknickt. Was wir wollten, was ich in meinem Leitantrag zum Nürnberger Parteitag vorgeschlagen hatte, war, das Ehegattensplitting unter bestimmten Bedingungen zu verändern: Das hieß keine Kappung für Ehepaare, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben, und keine Kappung für diejenigen, die Kinder erzogen haben.Was zugespitzt bedeutet hätte: Ältere Ehepaare weiter zu fördern, während die, die jetzt Kinder zu versorgen haben, wenn sie allein erziehend oder unverheiratet sind, weiterhin leer ausgegangen wären.Ich spreche hier von Frauen meiner Generation, die im Regelfall vollkommen andere Biographien haben als ich: Sie haben ihre Kinder groß gezogen ohne Erziehungsgeld, zum Teil auch ohne Kindergeld und haben heute mit Anfang, Mitte 50 keinerlei Chance, wieder in den Beruf zurückzukehren. Ihre Männer stehen noch im Beruf und diese Paare können sich jetzt, nachdem sie drei Kinder durchs Studium oder die Ausbildung gebracht haben, zum ersten Mal ein bisschen was leisten. Und dann sollen wir als SPD hingehen und sagen: Ihr seid jetzt ein kinderloses Ehepaar und jetzt wird euch das Ehegattensplitting gekappt?Es wären auch andere Kompensationen denkbar. Fakt ist doch, dass das Ehegattensplitting geschlechterpolitisch ein fatales Signal setzt: Gefördert wird die Einverdiener-Ehe, nicht die eigenständige Existenzsicherung von Frauen.Die Lebensverhältnisse haben sich doch grundlegend geändert. Heute gibt es die kinderlose Ehe zwischen der nicht-erwerbstätigen Ehefrau und dem gut verdienenden Mann, bei der sich das Splitting sehr hoch auswirkt, nur noch in sehr geringem Ausmaß. Und das ist auch der Grund, warum wir auf die Reform verzichtet haben: Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die steuerlichen Mehreinnahmen bei einer Einschränkung des Ehegattensplittings nicht besonders hoch wären. Statt, wie wir vorher erwarteten, im einstelligen Milliardenbereich hätten sie nur in der Größenordnung von hundert Millionen Euro gelegen - um den Preis von drei Millionen zusätzlichen Steuererklärungen. Diese Maßnahme erschien mir nicht sonderlich praktikabel.Andere Länder haben längst eine Individualbesteuerung. Bei uns macht es für eine verheiratete Frau, die deutlich weniger verdient als ihr Ehemann, finanziell kaum Sinn erwerbstätig zu sein: Einen Großteil ihres monatlichen Verdienstes frisst die Steuer.Das ist eine Frage der Lohnsteuerklassen III und V und das werden wir ändern - mit einer neuen Lohnsteuerregelung, bei der ein Teil der Freibeträge auf die Frau übertragen werden kann. Dann hat sie monatlich das netto, was ihr zusteht, ihr Mann auch, und fürs Familieneinkommen bleibt es gleich. Das praktisch zu regeln, ist ziemlich kompliziert, aber daran arbeiten wir im Moment. Im Übrigen: die Länder, die eine Individualbesteuerung haben, haben auch keine Unterhaltsverpflichtung gegenüber Erwachsenen wie wir. Das zu verändern, hätte Folgen - angefangen vom Scheidungsrecht bis zum BAföG.In den neuen Ländern lebt jedes dritte Kind unter sieben Jahren in Armut, im Westen jedes sechste. Diese Familien profitieren kaum oder gar nicht von Steuererleichterungen. Wäre es da nicht höchste Zeit für eine gezielte Förderung von Kindern aus einkommensschwachen Familien?Wir überlegen im Moment gemeinsam mit dem Sozialministerium, was wir tun können, um in einer ersten Stufe diejenigen aus der Sozialhilfe herauszubringen, deren Eltern zwar erwerbstätig sind, bei denen das Einkommen aber nicht für alle reicht. Das Ganze ist insofern ein bisschen schwierig, weil wir hier erst einmal sehen müssen, wie sich die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf die Situation dieser Menschen auswirken wird. Das wird zwar auch zu materiellen Verbesserungen führen, weil beim Arbeitslosengeld II die Anrechnungsmodalitäten zum Beispiel für Transferleistungen oder für Vermögen nicht in demselben Umfang greifen werden wie bei der Sozialhilfe, aber damit sind diese Familien noch nicht aus der Sozialhilfe heraus. Um das zu erreichen, wollen wir noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit dem Bundessozialministerium Konzepte entwickeln.Die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird ja nicht nur für SozialhilfeempfängerInnen Konsequenzen haben. Wer arbeitslos ist und keinen Job findet, wird künftig binnen Jahresfrist Leistungen beziehen, die »in der Regel auf dem Niveau der Sozialhilfe« liegen, wie der Kanzler erklärt hat. Den Mut zum zweiten oder dritten Kind wird das nicht gerade erhöhen.Ich sehe nicht, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in irgendeiner Weise Auswirkungen aufs Geburtsverhalten haben wird. Unser Ziel ist es doch nicht, möglichst vielen Menschen Leistungen zu kürzen, sondern sie möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen.Trotzdem hat sie Konsequenzen - auch für Familien. Welchen Einfluss hat Ihr Ministerium da gegenüber dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium beispielsweise?Wir werden uns da einmischen, wo die Gefahr besteht, dass für bestimmte Personengruppen, für die mein Ministerium da ist, wesentliche Nachteile entstehen. Das betrifft zum Beispiel Frauen, die nach einer Erziehungsphase wieder in den Beruf wollen. Man muss darauf achten, dass deren Vermittlungschancen jetzt nicht gegen Null tendieren, weil sie sechs, sieben Jahre aus dem Beruf raus sind und keinerlei Ansprüche auf Arbeitslosengeld - weder I noch II - haben. Da werde ich mich einmischen und unsere Belange vertreten.Ist es ein strukturelles Problem Ihres Ministeriums, dass Sie zwar formal zuständig sind, aber die Politik, die den Alltag von Familien prägt, eigentlich woanders gemacht wird?Das gilt genauso für andere Bereiche: Als mein Haus in der letzten Legislaturperiode ein Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst entworfen hat, haben die Kollegen auch nicht nur gejubelt. Die jeweiligen Ministerien haben eben entweder die Federführung oder die Mitberatung - und wir sind relativ häufig auf die Mitberatung beschränkt. Darum habe ich zum Beispiel auch darauf gedrungen, dass bei der Ausgestaltung der EU-Gleichstellungsrichtlinie mein Haus federführend ist, und das ist auch gelungen.Und was die Familienpolitik betrifft, so ist sie nun einmal Querschnittspolitik und das hat natürlich auch den strukturellen Nachteil, wie Sie richtig sagen, dass man wenige, detaillierte Gesetzgebungskompetenzen hat und versuchen muss, in andere Bereiche hineinzuwirken.Ein Bereich, der sowohl Gleichstellungs- als auch Familienpolitik betrifft, ist das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule. Was halten Sie davon?Davon halte ich im Moment überhaupt nichts und das wird es in dieser Legislaturperiode definitiv nicht geben.Warum?Weil ich der Meinung bin, dass Kinder die Möglichkeit haben sollten, mit Mutter und Vater umgehen zu können. Es ist für sie wichtig, beide Identitäten zu erleben.Aber schon heute wachsen Schätzungen zufolge 650.000 Kinder bei lesbischen Müttern auf.Wenn Schwule und Lesben Kinder in eine solche Verbindung mitbringen, dann sind das für mich natürlich Familien wie andere auch. Aber eine Adoption ist etwas, das vom Staat sanktioniert wird. Und da bin ich der Meinung, muss man darauf achten, was für die Kinder am besten ist.Vor knapp zwei Jahren hat die Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft eine Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern geschlossen. Ende des Jahres sollen die Verbände nun ihre Bilanz dazu vorlegen. Nach welchen Maßstäben wird dann beurteilt, ob die Betriebe ihren Teil der Vereinbarung erfüllt haben?Die Wirtschaft hat sich zur Förderung der Chancengleichheit verpflichtet. Das kontrolliert eine hochrangig besetzte Begleitgruppe aus Mitgliedern der Bundesregierung und der Wirtschaftsverbände. Ende 2003 wird bilanziert, was in der Zwischenzeit für mehr Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit passiert ist. Dazu werden Fragen an die Unternehmen im Rahmen des Betriebspanels, einer regelmäßigen Umfrage unter den deutschen Firmen, gestellt. Zum anderen muss der Unternehmer jährlich über seine Bemühungen zur Gleichstellung berichten, so will es nun das Betriebsverfassungsgesetz. Bilanz wird also gezogen.Wenn dabei herauskommt, dass die Wirtschaft ihren Beitrag nicht freiwillig geleistet hat, kommt dann noch in dieser Legislaturperiode das versprochene Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft?Mein Ziel ist es, die Gleichstellung nicht im Konflikt, sondern gemeinsam zu regeln. Was kommen wird, ist die Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinie, mit der wir dann eine nationale Gleichstellungsstelle für Beschwerden, aber auch positive Beispiele schaffen werden. Wir brauchen vor allem einen Mentalitätswechsel bei den Unternehmen. Sie müssen erkennen: Gleichstellung und familienfreundliche Arbeitszeiten sind für sie ein Plus. Der volkswirtschaftliche Nutzen liegt auf der Hand. Ich habe zusätzlich eine Studie in Auftrag gegeben, die den betriebswirtschaftlichen Nutzen von frauen- und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen aufzeigen soll. Frauen steuern erheblich zum Erfolg eines Betriebes bei, denken Sie nur an die Fähigkeiten von Frauen, vernetzt zu denken und im Team zu arbeiten. Unternehmen mit Frauen in Spitzenpositionen sind laut Studien erfolgreicher. Die Erkenntnis, dass familienfreundliche Arbeitszeiten und Gleichstellung nutzen, wächst langsam, aber stetig.Sie haben kürzlich öffentlich bekannt gegeben, dass Sie nicht als Bundespräsidentin zur Verfügung stehen. Ist Deutschland noch nicht reif für ein weibliches Staatsoberhaupt? Ich bin der festen Überzeugung - ohne sagen zu können, wann das sein wird - dass der Nachfolger von Johannes Rau eine Frau sein sollte. Doch die wird garantiert nicht Renate Schmidt heißen. Das hat private Gründe. Als die für mich sehr unverhoffte Berufung zur Bundesministerin kam, haben mein Mann und ich vereinbart, dass dies das letzte Mal ist, dass ich diese Art von Unruhe in unsere Partnerschaft bringe. Dazu kommt: Im Mai 2004 wird keines der Projekte, die wir gerade in Angriff genommen haben - weder die Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinie noch die Betreuung der unter Dreijährigen - unter Dach und Fach sein können.Das Gespräch führten Karin Nungeßer und Andrea Roedig
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