Wie liest man den Gesang der Vögel?

Gartenkolumne Es gibt Vögel, wie den Kuckuck, die singen wie sie heißen. Aber wie schreibt man den Gesang der anderen auf? Der Ornithologe Alwin Voigt fand einen Weg

Liebe Gartenfreunde, ich bleibe die Fortsetzung der in der vorvergangenen Ausgabe begonnenen Zwiebelkunde für dieses Mal schuldig, um Ihnen zwei Bilder aus dem Excursionenbuch zum Studium der Vogelstimmen des Prof. Dr. Alwin Voigt zu zeigen; genauer aus der fünften Auflage dieses epochalen Werkes, das im Jahr 1909 in Leipzig erschienen ist. (Die fünfte Auflage unterscheidet sich von der vierten vor allem durch die Aufnahme vier weiterer Vogelarten, nämlich Strandpieper, Schneeammer, Zipp- und Zaunammer.)

Die Bilder zeigen Professor Voigt bei der Arbeit. Draußen im Schilf, das Ohr im Wind, den Schreibblock in der Hand, bei seiner Bemühung dem vieltönenden Klang der Vögel nachzuhören, ihn festzuhalten und zu entwirren. Um dann daheim, umgeben von gelehrten Büchern, die Notizen zu sortieren, zu bewerten und zu kategorisieren. Mit einem Wort: Ordnung zu schaffen, wo vorher keine war. Professor Voigt ist heute weitgehend, um nicht zu sagen: vollkommen, vergessen. Dabei leistete er seinerzeit Bahnbrechendes auf dem schmalen Zweig jener Forschung, der zwischen Musikwissenschaft und Vogelkunde austreibt. Voigt erfand eine neue Systematisierung für die Darstellung von Vogelstimmen.

Bis dahin hatte man sie mehr schlecht als recht in der üblichen Notenschrift abzubilden versucht. Aber Professor Voigt fand: „Die Tonstufen der menschlichen Musik sind etwas Gemachtes“– und darum ungeeignet die Natur abzubilden. Eine Anschauung, die durchaus nicht allgemein geteilt wurde.

Wir berühren hier, ich möchte darauf nur am Rande hinweisen, wieder einmal das Thema, das eigentlich jeder ernsten Beschäftigung mit dem Garten zugrunde liegt: Das Verhältnis von Kultur und Natur.

Es gibt Vögel, die es einem leicht machen. Die heißen einfach, wie sie rufen: Kuckuck, Pirol, Kiebitz, Krähe oder Fink. Andere Vögel wie die Kohlmeise pfeifen schlichte Terzen, die sich in Notenschrift leicht darstellen lassen. Wenn die Lieder aber kompliziert werden wie jene der Grasmücken, versagt die arme Kunst der Menschen. Voigt entwickelte also eine neue Notierung aus Strichen und Punkten, aufsteigend und fallend, verbunden und nebeneinander. Wir sehen ein Beispiel auf dem nebenstehenden Bild, es zeigt den Gesang des Sprossers, auch polnische Nachtigall genannt.

In seinem Werk, das ich Ihnen sehr ans Herz lege, gibt Voigt dem Vogelfreund hilfreiche Anleitung für die Bestimmung des Gesangs von nicht weniger als 254 Vogelarten, eine Vielzahl davon werden Sie in Ihrem Garten kaum antreffen, aber: „Wenn Sie einen Garten, einen Teich lange Zeit und gewissenhaft beobachten, werden Sie mehr leisten, als wenn Sie im Fluge die ganze Welt durchziehen.“

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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