Wie mache ich das?

Progress Das Alter kommt ohne Ankündigung und ohne Einladung. Neuerdings auch digital, muss unsere Kolumnistin feststellen
Ausgabe 10/2020
Selbstverständlichkeiten, damals und heute
Selbstverständlichkeiten, damals und heute

Foto: John Moore/Getty Images

Das mit dem Alter ist ja so eine Sache: Es kommt ohne Ankündigung, ohne Einladung und eigentlich ohne Sinn. Menschen zählen Falten, ärgern sich plötzlich über Knie, denen sie bis dato keinerlei Beachtung geschenkt hatten, und sprechen mit einer altersbedingten hierarchischen Haltung Drohungen aus: „Du wirst noch sehen, wie das ist. Ich habe mir das auch nicht vorstellen können, dass ich mal sage ...“, und so weiter. Unsereins, die wir unsere Knie und andere Gelenke noch vergessen dürfen, die wir hauptberuflich Sneaker tragen und unsere Wollmützen auch in geschlossenen Räumen anbehalten – wie damals in der Pubertät –, wir können uns zurücklehnen. Und sagen, dass Zahlen keine Rolle spielen, dass das Leben zu kurz sei, um es in Begriffe wie Altersvorsorge zu pressen. Das ist vielleicht die Tür, die Menschen versuchen geschlossen zu halten, weil dadurch das Alter immer ohne Einladung hereinbricht. Sie vergewissern sich damit, dass das innere Gefühl den körperlichen Tatsachen trotzt.

Letztens hat mich jemand nach einem Studentenausweis gefragt, obwohl ich schon seit mehr als fünfzehn Jahren keinen Vorlesungssaal mehr von innen gesehen habe. An so was halte ich mich fest, während mich in Schreibwerkstätten die Schüler*innen automatisch und wiederholt siezen, obwohl ich ihnen einhämmere, wir seien hier, verdammt noch mal, per Du! Ich sage „verdammt noch mal“, wenn sie wieder ins Sie verfallen. Sie sagen „das ist nice“ über gute Texte und auch sonst alles, was ihnen gefällt, und tauschen sich über einen Tanzsport aus, von dem ich noch nie gehört habe. Nicht alle von ihnen können mir ihre Texte per E-Mail schicken, obwohl alle von ihnen mit Kopfhörern bestöpselt den Raum betreten, weil man – so lerne ich – eine E-Mail-Adresse nicht zwingend haben muss. Und ich halte kurz inne, bevor ich frage, wie sie Dateien ohne E-Mail versenden, ich trage immerhin wie sie mit Hunden, Kakteen und Früchten bedruckte Socken. Sie tippen ihre Texte – auch lange – wie selbstverständlich ins Handy, und ich, die ich twittere, habe gelernt, dass Facebook etwas für die Generation unserer Eltern ist. Ich, die ich mit vielen Freund*innen per Sprachnachricht und Chats über diverse Kanäle kommuniziere, fühle mich plötzlich ein wenig wie sich eigentlich unsere Eltern fühlen müssen: Wie mache ich das? Warte, ich verstehe das nicht ...

Es fällt mir schwer, das zuzugeben. Dass ich bereits Instagram nicht verstanden habe. Es ist vielleicht wie das Wegschminken von Falten. Es geht nicht um die Benutzeroberfläche, es ist ein anderes Nicht-Verstehen als das unserer Eltern, die fragten: Wo muss ich denn mit der Maus hin, um das Fenster zu schließen? Es geht tatsächlich um den Sinn: Ich weiß, wie man die Bilder bearbeitet, damit sie nostalgisch wie eine ferne romantisierte Erinnerung oder strahlend scharf aussehen, als würde mein Leben leuchten, ich weiß, wie man sie mit Hashtags versieht. Ich habe nur noch nicht verstanden, wozu ich das tun sollte, wie und was und warum ich Fremden etwas mit einer Story erzähle, die wieder verschwinden wird, obwohl ich lese und höre, dass man Instagram vor allem im kreativen Milieu beruflich nutzt. Von TikTok lese ich nur noch in den Medien und mache mir nicht mal mehr die Mühe, es herunterzuladen. Das wäre, als würde ich graue Haare (die ich nicht habe!) zählen. Das Alter kommt ohne Ankündigung und ohne Einladung, das ist eine alte Weisheit, es kommt aber neuerdings auch digital.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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