Gesundheitsvorsorge Vor Nebenwirkungen wird gewarnt: Private Gesundheitsdienstleister locken mit Gentests und Ganzkörperscans, die persönliche Erkrankungsrisiken ermitteln sollen
Wenn ein gesunder Mensch Angst um seine Gesundheit hat, kann er auf viele Angebote zurückgreifen, die Heilung und Linderung versprechen. Hauptinformationsquelle ist natürlich das Internet, wo man schnell fündig wird — zum Beispiel bei Firmen wie 23andme, Decodeme oder Navigenics, deren Geschäftsmodell es ist, Privatpersonen die Segnungen der modernen Genforschung verkaufen.
Für einige Hundert Euro bekommt man einen speziellen Becher, in den man hineinspuckt und anschließend per Post zurück schickt. Einige Zeit später erhält man eine E-Mail mit dem Passwort für einen geschützten Bereich auf der Webseite der Firma, wo die Resultate abgelegt sind. Dort erfährt man dann sein persönliches Risiko, zum Beispiel einmal einen Her
er Firma, wo die Resultate abgelegt sind. Dort erfährt man dann sein persönliches Risiko, zum Beispiel einmal einen Herzinfarkt zu erleiden oder an Demenz zu erkranken. Ein E-Mail-Update-Service ermöglicht es, später automatisch neue Befunde zu bekommen, wenn die Wissenschaft neue Ergebnisse zur Interpretation der Gen-Daten herausgefunden hat.Internet statt HausarztDie Firma Lifescan beispielsweise wirbt mit den Slogans „Finde heraus, ob es dir so gut geht wie du denkst“, oder „Frühling ist die Zeit, deinem Körper durch den TÜV zu bringen“ darum, dass Kunden, die generell als gesund gelten, Computertomographien (CT) und Magnetresonanz-Scans (MRI) von sich anfertigen lassen. Die Ergebnisse all dieser Untersuchungen kann man in das neue Google-Health-Profil laden – ein Gratis-Service von Google, der es erlaubt, „all meine Gesundheitsinformation an einem Ort zu speichern und zu verwalten“.Vielleicht kommt der gesunde Internetnutzer nach all diesen Untersuchungen auf die Idee, doch besser zur Vorsorge ein paar Medikamente zu nehmen. Das Angebot verschiedener Internetapotheken kann hier gerade recht kommen. Und all das ganz ohne lästige und zeitraubende Überweisungen vom Hausarzt, den man vielleicht schon immer im Verdacht hatte, nicht wirklich an den allerneuesten Entwicklungen interessiert zu sein, und die besorgten Fragen eines gut informierten Internetnutzers vorschnell zur Seite zu wischten.Diese kurze Skizze verdeutlicht den gravierenden Wandel, der sich in jüngster Zeit vollzogen hat. Bislang war das Gesundheitssystem paternalistisch: Ärzte (und Krankenkassen) besaßen das exklusive Monopol über den Zugang zu gesundheitsrelevanten Dienstleistungen. Ärzte beauftragten sämtliche Tests und Laboruntersuchungen, interpretierten die Ergebnisse und vermittelten sie (im besten Fall) anschließend in einer Weise, die für ihre jeweiligen Patienten angemessen war.Aber jetzt, da das Konsum-Zeitalter im Gesundheitswesen angekommen ist, gibt es den freien Zugang der Konsumenten zu medizinischen Dienstleistungen und Informationen. Ist das ein Fortschritt? Nutzt es der Transparenz und Demokratisierung der Medizin?Zuerst sollte man natürlich fragen, was die Nachteile sind. Insbesondere einige der bildgebenden Verfahren sind hier in Kritik geraten. Das britische Strahlenschutzkommittee hat kürzlich empfohlen, das Anbieten von Ganzkörper-Scans für Personen ohne medizinische Indikation mit sofortiger Wirkung zu verbieten. Während der medizinische Nutzen eher fraglich ist, steht ganz außer Frage, dass die Strahlendosis einer typischen Computertomographie das Risiko für eine tödliche Krebserkrankung durchschnittlich um einen Fall pro 2000 Anwendungen erhöht. Gleichwohl könnte man argumentieren, dass dieses Risiko relativ moderat ist, und dass, wenn Kunden über das zusätzliche Risikos ausreichend aufgeklärt wurden, sie nicht gehindert werden sollten, egal wie wenig nützlich die CT-Untersuchung medizinisch ist. Schließlich sind wir in anderen Bereichen ebenso geneigt, Menschen sich selbst zu überlassen bei der Entscheidung, in welcher Weise sie sich um ihre Gesundheit kümmern.Gentests sind GlückssacheVon den Unterschieden im naturwissenschaftlichen Hintergrund einmal abgesehen, ist daher die Frage berechtigt, inwieweit sich das Angebot von Gentest-Firmen wie 23andme (bei dem es kein unmittelbares Gesundheitsrisiko gibt) oder Lifescan eigentlich von den traditionellen Anbietern alternativer Gesundheitsdienste unterscheidet. Auf der einen Seite haben wir Prozentzahlen und statistische Wahrscheinlichkeiten kombiniert mit CT-Bildern und Gensequenzen, auf der anderen Energiefeld-Analysen und Sternkonstellationen kombiniert mit Bachblütentherapie oder homöopathischen Mittelchen.Nichtsdestotrotz finden die neuen Anbieter ja großen Zulauf. Möglicherweise weil in einem unterschwelligen Szientismus vermutet wird, dass sie tatsächlich zukünftige Gesundheitszustände vorhersagen können, wohingegen andere Verfahren, nun ja, eben doch irgendwie ungenauer zu sein scheinen. Aber den Fakten ins Angesicht zu blicken, kann sich als ziemlich schwierig herausstellen.Zum Beispiel fand der englische Journalist Nic Fleming nach einer Genonanalyse der Firma 23andme heraus, dass sein Risiko im Alter an Grünen Star zu erkranken 3,5-fach über dem Durchschnitt liegt. Beruhigend hingegen war, dass sein Herzinfarkt-Risiko 17,5 Prozent niedriger als der Durchschnitt sei. Manche würden nun ganz auf Nummer sicher gehen, und denselben Test noch einmal bei einer anderen Firma machen lassen. So auch Nic Fleming, der zusätzlich Decodeme beauftragte. Dieses Mal lag sein Risiko für Grünen Star 91 Prozent unter dem Durchschnitt, allerdings sein Herzinfarkt-Risiko sechs Prozent darüber. Ein dritter Dienstleister, die Londoner Firma Genetic Health, kam zu dem Ergebnis, dass sein Herzinfarkt-Risiko „niedrig bis durchschnittlich“ sei.Ein Grund für die Abweichung liegt darin, dass es für privat angebotene genetische Tests bislang nur sehr lückenhafte Regeln und Qualitätsstandards gibt. So kam auch eine wissenschaftliche Studie im American Journal of Human Genetics zu dem Schluss, dass die derzeit angebotenen Gentests zum Zweck der individuellen Risko-Bestimmung nicht geeignet seien. Die Studie warnte auch, dass diejenigen, die als Ergebnis ein unterdurchschnittliches Risiko attestiert bekämen, eventuell fälschlicherweise denken könnten, dass sie keinerlei Anlass haben, auf ihren Lebenswandel aufzupassen.Finde dein wahres Alter!Das führt zur politischen Frage, ob ein Handlungsbedarf besteht, solche Tests zu verbieten oder einzuschränken. Hier sind jedoch auch praktische Erwägungen in Betracht zu ziehen. Denn viele der Anbieter operieren über Grenzen hinweg, und nationale Gesetze haben hier relativ stumpfe Zähne. Aus diesem Grund setzt die britische Human Genetic Commission derzeit auf die Entwicklung einer internationalen Regelung.Ähnlicher Regelungsbedarf könnte sich auch in Bezug auf vermeintlich unverfängliche Internet Informationsseiten ergeben. Die Journalistin der New York Times Stephanie Clifford beschäftigte sich kürzlich mit dem Angebot von RealAge, einer in den USA populären Internetseite, bei der man mehr als einhundert Fragen beantworten muss, um sein „wahres“ biologisches Alter zu erfahren. Nachdem dieses ermittelt ist, gibt die Seite Ratschläge wie man sich „verjüngen“ bzw. jung halten kann, zum Beispiel durch gesünderes Frühstück, das Benutzen von Zahnseide, oder Vitaminpräparaten. Medikamente empfiehlt die Seite nicht – zumindest nicht direkt. Allerdings werden Nutzer während des Tests gefragt, ob sie eine gratis RealAge-Mitgliedschaft möchten. Die Testresultate von Personen, die die Mitgliedschaft annehmen, landen in einer Marketing-Datenbank, die es dann Firmen wie Pfizer, Novartis oder GlaxoSmithKline ermöglicht, aus der Fülle von Daten Personenprofile zu erstellen. RealAge schickt den Mitgliedern dann regelmäßig Informations-Mails über Krankheiten (oder Prädispositionen), die sie haben könnten. Und diese Mails sind üblicherweise gesponsert von Firmen, die entsprechende Medikamente herstellen.In gewisser Weise kann man sagen, dies sei ein typisch amerikanisches Problem mit geringer Relevanz für die deutsche oder europäische Situation. Hier ist jedoch erstens zu berücksichtigen, dass das Internet, wie bereits gesagt, generell keine Grenzen kennt. Nichts hindert Deutsche, Franzosen oder Engländer RealAge-Mitglieder zu werden, und in Ihren jeweiligen Gesundheitssystemen darauf zu dringen, die ihnen dort empfohlenen Medikamente zu bekommen – und wer weiß, wie viele der 27 Millionen Nutzer des Tests bereits Nicht-Amerikaner sind. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass die Europäische Kommission zur Zeit eine Konsultation zur Direktive 2001/83/EC durchführt, die bisher die Werbung für verschreibungspflichtige Medikamenten verbietet. Es ist möglich, dass diese Regelung in Zukunft gelockert wird.All diese Firmen haben gemein, dass sie ein hohes Grad individueller Kontrolle in Bezug auf die eigene Gesundheit als Ideal anpreisen. Zweifelsohne ist ein integraler Bestandteil eines guten Lebens, eigenständige Entscheidungen darüber zu treffen, wie gesund man leben möchte. Eine Vielzahl von Diensten sind hierzu hilfreich, und insbesondere das Internet kann Menschen helfen „gesundheitsmündig“ zu werden, um mit dem Medizinethiker Hans Martin Sass zu sprechen.Die Anonymität von Online Apotheken oder Patienten-Diskussionsgruppen kann Menschen helfen, die an Krankheiten leiden, die mit einem Stigma belegt sind, oder solchen, die aus anderen Gründen den Arztkontakt scheuen. Reflexartige Antworten, denen zufolge alle der hier erwähnten Angebote nichts als verwerfliche Ausgeburten zunehmender Konsumerisierung von Gesundheitsleistungen sind, sind daher unangebracht. Nichtsdestotrotz ist es alles andere als trivial, ein Umfeld zu schaffen, das es Menschen einerseits so einfach wie möglich macht, gesundheitsmündig zu werden, aber andererseits die Gefahr der Ausbeutung von Ängsten und Unkenntnis so weit wie möglich unterbindet.Das britische Nuffield Council on Bioethics hat zu diesem Thema eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die im Frühjahr 2010 einen Ergebnisbericht vorlegen wird. Zur Zeit gibt es eine öffentliche Anhörung, bei der Kommentare und Meinungen über „private Gesundheitsleistungen“ von einer möglichst großen und vielseitigen Menge von Betroffenen gesammelt werden.
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