Wie sich mit der Zeit der Blick ändert

Sartre und Camus Der Streit zwischen Albert Camus und Jean-Paul Sartre wird in zwei Biografien neu verhandelt. Dabei weichen die Autoren der historischen Situation aus
Ausgabe 41/2013
Albert Camus
Albert Camus

STF/AFP/Getty

Zwei Biografien über den französischen Schriftsteller Albert Camus sind in diesem Herbst erschienen, verdientermaßen von prominenten Autoren in großen Verlagen: von Iris Radisch (Die Zeit) bei Rowohlt und Martin Meyer (Neue Zürcher Zeitung) bei Hanser. Die Bücher lesen sich gut und man darf hoffen, dass demnächst Camus noch mehr gelesen wird. Der Nobelpreisträger wäre in diesem Jahr 100 geworden.

Die Biografien erzählen viel über Camus, aber auch einiges über Leben und Lebenszeit der Biografen. Beide schreiben mit Verve über den Bruch der Freundschaft zwischen Camus und Sartre. Dabei nehmen sie mit Entschiedenheit Partei für Camus. Dieser hatte anfang der fünfziger Jahre in seinem Buch Der Mensch in der Revolte die Sowjetunion wegen der dort von den Kommunisten betriebenen Konzentrationslagern kritisiert. Dafür war er von der Mitte-Rechts-Presse sehr gelobt worden. Sartre, der immerhin das bis heute beste antikommunistische Stück Die schmutzigen Hände (1948) geschrieben hatte, fand das unpassend. Er ließ das Buch von einem Mitarbeiter seiner Zeitschrift Les Temps Modernes verreißen. Er räumte Camus Platz für eine lange Antwort ein und verfasste dazu einen ebenfalls sehr langen und groben Brief an den ehemaligen Freund.

Dieser Brief war vernichtend. Und den Biografen von heute liegt sehr daran, Camus im Nachhinein Recht zu geben. Jawohl, die KZs der Kommunisten waren furchtbar und es gab keine Entschuldigung für sie und man muss das immer wieder sagen. Aber Sartre hatte das gar nicht in Abrede gestellt. Er hatte nur darauf hingewiesen, dass in der historischen Situation jener Zeit das Mitte-Rechts-Lager in den westlichen Nationen solche Angriffe als entlastend empfand angesichts der grausamen Kolonialkriege, die ihre Regierungen fast überall führten. Und für viele der Unterdrückten war die Sowjetunion wirklich die einzige Macht, deren Existenz sie mit Zuversicht erfüllen konnte. Sartre verhielt sich da situationsgerecht. Camus wich der historischen Situation aus. Die beiden Biografen tun heute das Gleiche.

Sie tun es offensichtlich in Erinnerungen an Diskussionen von einst. Beide zitieren Sartres ersten Satz „Lieber Albert Camus. Unsere Freundschaft war nicht einfach, aber ich werde sie vermissen.“ Seit mehr als 20 Jahren heißt das – nach Traugott Königs Gesamtausgabe – in revidierter Übersetzung: „... ich werde ihr nachtrauern.“ Das klingt anders. Es klingt ernster. Aber die Biografen leben in ihren alten Lektüre-Erlebnissen fort. Auch ein Weg, der Historisierung zu entkommen.

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