Die Linken haben sich über Edmund Stoiber nur verschieden mokiert, es kömmt aber darauf an, ihn zu verhindern. In der Tat ist es der alertste Kanzlerkandidat, den die Konservativen je hatten. Flink drängelt er sich vor jede Kamera und jedes Mikrofon, die irgendwo im Lande herum stehen. Aalglatt schlüpft er an jeder konkreten Aussage vorbei. Gespreizt spielt er die Personifizierung von Kompetenz. Die weißen Haare suggerieren Seriosität und Weisheit. Die straffen Züge und die drahtige Gestalt symbolisieren asketische Lebensweise und Kraft. Komödienstadelreif der Zynismus, in dem er mit gelassen-freundlicher Miene Verbal-Attacken reitet. Ein Staatsmann im Format von Vilshofen. Edmund Stoiber könnte für Treppenlifter und Haftcremes werben, wenn
en, wenn er denn nicht Politiker wäre. Aber als solcher wirbt er erfolgreich um dieselbe Zielgruppe, und die könnte wahlentscheidend werden: die älteren Frauen. - Spätestens an dieser Stelle wird es richtig ernst, Sätze wie die obigen entlarven sich als das, was sie sind: überhebliches linksintellektuelles Gerede, hinter dem sich ein Schwanken zwischen Nichtwahrhaben-Wollen und leiser Resignation verbirgt. Die Lage im Lande ist ebenso ernst wie überschaubar. Alle Zeichen scheinen auf einen politischen Wechsel zu Gunsten der Konservativen zu deuten. Selbst unter den Anhängern der gegenwärtigen Regierungsparteien geht mittlerweile eine Mehrheit davon aus, dass CDU und CSU die größte Chance haben, die Wahlen zu gewinnen. Es ist ähnlich wie 1994, als noch sechs Wochen vor den Wahlen alle an einen SPD-Sieg glaubten. Sozialdemokraten und Grüne haben ihre Chance gehabt. Die Hoffnung auf eine sozial orientierte Reformpolitik, die sie in die Regierungsverantwortung hievte, wurde enttäuscht. Die ersten Schritte schienen vielversprechend. Aber wer erinnert sich heute noch an die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vom ersten Tage an oder an die Aufhebung des von Kohl verhängten Rentenmoratoriums? Was folgte, war die Kurskorrektur zu einer "wirtschaftsfreundlichen" Politik. Oskar Lafontaine wurde abgehalftert. Das war gleichsam der Versuch eines posthumen Wettlaufs mit der Vorgängerregierung: um den besseren Vollstrecker nationalkapitalistischer Standortpolitik und finanzkapitalorientierter Globalisierung, notdürftig garniert mit reformatorischem Wortgeprassel. Erreicht wurde nichts von alledem. Weder gibt es den wirtschaftlichen Aufschwung oder gar ein Umsteuern zu einer nachhaltigen Entwicklung, noch ist die Gesellschaft der Bundesrepublik heute sozial gerechter als vor vier Jahren. Flankiert wurde das gesellschaftspolitische Hin und Her dadurch, dass es ausgerechnet SPD und Grüne waren, die erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten zu Kriegseinsätzen in anderer Herren Länder schickten, erst nach Jugoslawien, Bosnien und Mazedonien, dann nach Afghanistan, Kuweit und an das Horn von Afrika. Das alles hat Erwartungen erschüttert und neue Ängste vor der Zukunft geschürt. Erreicht wurde von SPD und Grünen eines: Sie haben das Projekt einer sozial orientierten Reformpolitik gründlich diskreditiert und damit überhaupt die Chancen für linke Politik in Deutschland beschädigt. Selbst das kleine Boot der PDS, wo eben Gregor Gysi von Bord ging, gerät in diesen Strudel, obwohl sie es ist, die soziale Reformen nach wie vor parlamentarisch einklagt, und ihre Opposition zur Regierung vor allem in der Friedensfrage nicht deutlicher sein kann. Das alles scheint in den Hintergrund gedrängt, seit die Hochwasserfluten von Donau und Itz, von Elbe, Weißeritz und Mulde das Land in einen nationalen Notstand gestürzt haben. Erfahrungsgemäß wirken solche Ereignisse zu Gunsten der großen Parteien. Die notwendigen Anstrengungen angesichts der ungeheuren kulturellen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Schäden sowie die massenhaften privaten Katastrophen rücken nur "große" Akteure ins Blickfeld, unter deren Führung man aus der Zerstörung zum Neuaufbau oder wenigstens zu irgendeiner Art Normalität zu kommen hofft. Die großen Parteien wissen das und betreiben - unter der ständigen Beschwörung, dies sei nicht die Zeit für Wahlkämpfe - aufs Heftigste Wahlkampf. Aber das kann auch eine Gradwanderung werden. Es ist möglich, dass es Gerhard Schröder gelingt, den "Deichgrafen" von 1997 als "Deichkaiser" zu toppen, sich als Organisator einer neuen "nationalen Solidarität" zu präsentieren. Es kann auch sein, dass Edmund Stoiber als uneigennütziger "bayerischer Retter der Nation" inszeniert wird. Aber gerade Betroffene äußern bereits Unmut ob der vielen Stippvisiten von Politprominenz. Sie könnten es also auch übertreiben und sich als politische Katastrophentouristen und versuchte Notstandsgewinnler selbst demontieren. Wie dem auch sei, bis zu den Wahlen sind es noch reichlich vier Wochen, und wie sich die Gratwanderung dann auswirkt, ist gegenwärtig ungewiss. Was bleibt, sind die Tendenzen sich verschärfender Ungleichheit und Ungerechtigkeit und die Turbulenzen in den Stimmungslagen. Weil SPD und Grüne das soziale Reformprojekt gründlich diskreditierten, haben sich die Stimmungen von Mehrheiten gegenwärtig von den Linken abgewandt. Aber wohin sollen sie sich wenden? CDU/CSU und FDP profitieren doch nur deshalb davon, weil sie Opposition sind - aber die Alternative, die sie darstellen, ist sehr abstrakt. Sie hüten sich tunlichst, allzu genau zu sagen, wie ihre Politik aussehen wird, sollten sie die Wahlsieger sein. Nur eins ist sicher: Eine Reformpolitik mit sozialer Orientierung würden sie auf Jahre oder gar Jahrzehnte unmöglich machen. Eben in dieser trüben Aussicht liegt der Rest an Hoffnung. Es ist noch nicht gelaufen, Stoiber hat die Wahlen noch nicht gewonnen. Gegenwärtig existiert im Wahlvolk ein großes Segment von Unentschlossenen. Reichlich 20 Prozent der Wahlberechtigten wissen noch nicht, welche Partei sie wählen werden. Ein großer Teil von ihnen will keine Stoiber-Regierung. Wenn es den Linken gelingt, wenigstens die Hälfte von ihnen zu mobilisieren, dann kann eine konservative Mehrheit für diesmal noch verhindert werden. Dazu braucht es aber mehr als linke Überheblichkeit und Resignation. Dazu braucht es eine Klarstellung: Die bisher nur in Aussicht gestellte Reformpolitik wird möglich, wenn Rot-Grün mehr Druck von links erhalten. Nur dann. Gefordert ist also eine große Kraftanstrengung der Linken in den nächsten Wochen, mit der sie sich - wie weiland Baron Münchhausen - gleichsam selbst an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
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