Wie eine Barrikade liegt der Baumstamm quer auf der Bühne. An ihn lehnen sich die sechs jungen Menschen Anfang 20, die im Mai 1968 in einer kommuneartigen Gemeinschaft leben. Ihn berührend singen sie Revolutionslieder, auf ihm balancieren sie, hier umarmen sie sich kollektiv. Schließlich demontieren sie den Baum - zerbrochen ist das Vertrauen in den Wandel, zerstört auch die Illusion von freien Liebeskonzeptionen. Starke Bilder findet Alexander Charim in seiner Diplominszenierung für die Berliner Ernst Busch-Hochschule, um von einer Generation zu erzählen, die ein autoritäres Staats- und Wertesystem zu stürzen versuchte. Doch ist Liebe 1968 kein historischer Bilderbogen, sondern Dank der hervorragenden Schauspieler und der vielfältig gebrochenen
ebrochenen Erzählperspektive die Frage an uns: Wie wollen wir leben?Wie ein roter Faden durchzog sie das diesjährige Körber Studio Junge Regie in Hamburg, eine Art Theatertreffen für den Regienachwuchs. Das Festival im Thalia in der Gaußstraße bot die Möglichkeit, Arbeiten von zehn Regiestudierenden miteinander zu vergleichen. Die Bilanz zeigt: Es wird wieder erzählt, oft kraftvoll und mit dem Willen, eine eigenständige Form zu finden, die die Erzählung spiegelt - und nicht umgekehrt. Filmeinspielungen gehören längst nicht mehr zum stilistischen Repertoire, stattdessen rhythmisieren Musik und Pausen die Erzählungen, und Zigaretten werden gepafft, als handele es sich um die letzte Bastion des zivilen Ungehorsams. Es gibt mehr junge Regisseurinnen als Regisseure, doch ein genereller Unterschied in den Inszenierweisen scheint nicht zu existieren. Das Politische ist wieder da, wird aber vor allem im Alltag gesucht - und gefunden: Wie wollen wir leben? Wollen wir so leben? Kann man unter diesen Umständen lieben? Um diese Fragen gruppieren sich politische Autoren wie Ödön von Horváth, Rainer Werner Fassbinder, Max Frisch, und Themen wie der Mai 1968 oder der Versuch einer neuen Revolution.Gerade die Fassbinder- und Horváth-Inszenierungen zeigten aber auch, wie sehr man sich an solchen Namen verheben kann. Bis zur Ärgerlichkeit wurden hier Klischees gehäuft, so in Fassbinders Preparadise Sorry Now, einem Stück kalter Wut, dass streng formal nach faschistischem Verhalten im Alltag fragt. Die Salzburger Inszenierung scheiterte vollkommen, weil es ihr nicht gelang, eine auch nur halbwegs adäquate Form für Fassbinders Thesentheater zu finden. Ganz anders Jan Gehler aus Hildesheim, der "Separatisten" nach Thomas Freyers gerade am Berliner Maxim Gorki-Theater uraufgeführten Stück inszenierte. Seine fünf Schauspieler, allesamt Laien, erzählten mit den einfachsten Mitteln - fünf Stühle, eine alte Stereoanlage - die Geschichte eines abrissbereiten Plattenbauviertels. Dessen Bewohner rebellieren, bauen einen Zaun und gründen eine kommunistische Republik. Das Projekt scheitert. Die Sehnsucht nach weniger Anonymität und Egoismus bleibt, ebenso wie die Frage, ob utopische Projekte heute noch möglich sind. Aus der leisen Geschichte machte das Hildesheimer Kollektiv eine stille, konzentrierte Stunde, die nur zum Ende hin etwas an erzählerischem Sog verlor.Die einfachen Mittel waren vielen Inszenierungen eigen. Oft wurden selbstbewusst die theatralen Mittel offen gelegt, wurde das Licht und der Ton auf der Bühne bedient oder erzeugt, wurde stolz behauptet: Seht her, wir machen Theater. Zumeist mit Erfolg. Viele der Regisseure betonten zudem, wie sehr sich ihre Teams als Gruppe, als Kollektiv verstehen und ihre Schauspieler aktiv am Findungsprozess beteiligen. Dieses Prinzip gipfelte in der siebenköpfigen Performance-Gruppe Monster Truck aus Gießen. Hier ist jedes Mitglied in allen (Regie-)Fragen gleichberechtigt. Ihre Science-Fiction-Freakshow Live Tonight! polarisierte das Publikum wie kein anderes Stück und präsentierte eine kryptische Bilderfolge, die in ihrer oft schrillen Ästhetik an die Filme des amerikanischen Künstlers Matthew Barneys erinnerten und von einer deutlich fühlbaren Binnenlogik getragen wurden.Es war die einzige Inszenierung, die jeglicher Stadttheatertauglichkeit entbehrte. Ganz anders Jan Philipp Glogers Biedermann und die Brandstifter. Seine gestylten Spießer gehen temporeich und witzig den schamlos-charmanten Feuerlegern auf den Leim. Der Zürcher Beitrag entstaubte Max Frischs moralinsaure Parabel in ungewohnter Weise, gelangte aber dort an seine Grenzen, wo das Stück auch mit viel Phantasie keine Reibung mehr zuließ.Den Preis des diesjährigen Körber Studios erhielt ausgerechnet jene Regisseurin, die sich zu Beginn des Festivals kritisch zur Auszeichnung geäußert hatte, weil er die Woche der Begegnungen schließlich auf einen Sieger reduziere. Julia Hölscher und ihre Schauspieler, die ebenfalls als Kollektiv arbeiten, gewann verdient: Ihre ungemein rhythmische Version von Aki Kaurismäkis Das Mädchen aus der Streichholzfabrik besticht nicht nur durch eine überzeugende Figurenführung, sondern durch ungewöhnliche Bilder, die die Lebenswelt der Iris erlebbar machen. Verrostete Heizkörper, die niemanden wärmen, werden begossen und geschlagen. Aus einfachsten Geräuschen, einem Räuspern, einem Schlurfen entwickelt sich die Musik von Tobias Vethake, die sich wie die ganze Inszenierung zwischen mechanischer Monotonie und poetischer Melancholie bewegt und alle beteiligten zum Tango einlädt. Am Ende setzt Iris ihre private Utopie um und tötet die Menschen, die sie unterdrücken.Julia Hölscher setzte sich auf ungleich sanftere Weise durch. Sie wird in der nächsten Spielzeit am Schauspiel Frankfurt und am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenieren. Doch auch für die übrigen Regisseure hat sich die Anfahrt gelohnt. Ein Forum wie dieses, wo jede Inszenierung vor Fachpublikum diskutiert wird, wo man die eigenen theatralen Mittel mit denen gleichaltriger Kollegen vergleichen kann und sich zudem einer jungen Publizistik wie der festivalinternen "junge regie textversion" stellen muss, gibt es so kein zweites Mal.
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