Wieder trifft es die Ärmsten und Abgehängten

Corona Von einem Tag auf den anderen reicht eine Impfung mit dem Vakzin von Johnson und Johnson nicht mehr aus, um als vollständig geimpft zu gelten. Das verstärkt einmal mehr die Ungleichheit. Wo bleibt der Aufschrei?
In Köln Chorweiler wurden die Menschen bei dieser Impfaktion mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft. Über Nacht hat sich nun ihr Status verändert
In Köln Chorweiler wurden die Menschen bei dieser Impfaktion mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft. Über Nacht hat sich nun ihr Status verändert

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Jetzt haben sie also ohne Vorwarnung oder eine Übergangsfrist über drei Millionen Menschen (die Angaben schwanken) um ihren Impfstatus gebracht: Über Nacht gelten die, die sich nur ein Mal mit dem Wirkstoffe Johnson und Johnson haben impfen lassen, um als vollständig geimpft zu gelten, als eben das nicht mehr. Und diejenigen, die sich mit einer weiteren Impfdosis geboostert wähnten, brauchen dafür nun auch noch eine weitere Impfung. Das verkündet das Paul-Ehrlich-Institut, eine untergeordnete Behörde. Ohne Debatte, ohne Parlamentsbeschluss, einfach so.

Wo bleibt der Aufschrei? Ich höre eher nichts. Woran liegt das, obwohl doch so viele betroffen sind? Die Einmalimpfung wurde vor allen Dingen den Ärmsten und Abgehängten verabreicht – Menschen, die so gut wie keine Lobby haben. Johnson und Johnson bekamen Geflüchtete, Obdachlose und Menschen in sozialen Brennpunkten. Ach nein, sie nennen die Gegenden, aus denen ich mich rausgekämpft habe, jetzt „vulnerable Sozialräume“. Als würde das einer der Betroffenen verstehen, geschweige denn, dass der neue Begriff etwas an den katastrophalen Wohn- und Lebensverhältnissen ändern würde.

Aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen

Diese Viertel liegen in Wahlbezirken, in denen nicht mal die Hälfte der Menschen zur Wahl geht. Diese Menschen sind jetzt also ohne Vorwarnung raus aus dem gesellschaftlichen Leben. Als hätten sie in der Pandemie, im Gegensatz zu gesellschaftlichen und politischen Eliten, nicht nicht schon genug gelitten – in ihren beengten Wohnverhältnissen (wo sie massiv von den Ausgangsbeschränkungen betroffen waren) und am Geldmangel, der durch die Schul- und Tafelschließungen noch verstärkt wurde. Der neue Impfstatus wird die Betroffenen jetzt scharenweise bei der nächsten Wahl an die Urnen bringen. Ironietaste aus.

Warum haben die Ärmsten überhaupt diesen Impfstoff bekommen? „Weil“, so erklärte mir eine Ärztin letztes Jahr im Juni, „man mit solchen Menschen keine zwei Termine machen kann.“ Mit „solchen“ Menschen, was immer das auch heißen soll.

Deutschland, deine soziale Spaltung wird immer weiter vertieft.

Mirijam Günter ist Schriftstellerin und Publizistin

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