Es ist noch nicht lange her, da legte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück großen Wert darauf, dass er kein Nutzerkonto beim Kurznachrichtendienst Twitter besitze und dass sein Profil bei Facebook nicht von ihm, sondern seinen Mitarbeitern gepflegt werde. Das alles, so ließ er verkünden, sei auch gar nicht wichtig, schließlich sei ein Stahlkocher in Duisburg ja gar nicht in der Lage, digitale Medien als Instrument für mehr politische Teilhabe zu nutzen.
Nun mag es dem Alter des Kandidaten geschuldet sein, dass ihm ein Teil des gesellschaftlichen Wandels entgangen ist: In Deutschland nutzen längst mehr als 53 Millionen Menschen regelmäßig das Internet, Tendenz weiter steigend. Selbst 45 Prozent der Rentner greifen nahezu täglich darauf zur
uf zurück. Dabei nutzen die Deutschen das Internet nicht allein für Online-Einkäufe, E-Mails und Nachrichtenseiten, sondern etliche sind auch in den sozialen Netzwerken aktiv – etwa über das Handy, wenn sie gerade unterwegs sind.Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Kandidaten Steinbrück als nicht auf der Höhe seiner Zeit abzutun. Schließlich hat er sich vor drei Jahren schon sehr positiv über die Wirkung von Blogs für die politische Kommunikation geäußert. Und auch Steinbrücks Umfeld hat die Entwicklung im digitalen Raum sorgsam verfolgt. Schließlich will man im Online-Wahlkampf nicht wieder wie 2009 von Union, Piraten und selbst der FDP abgehängt werden.Das alles hat dazu geführt, dass Steinbrück sich dann doch bei Twitter angemeldet hat. Spätestens seit dem emphatischen Plädoyer des CDU-Politikers Peter Altmaier für den Kurznachrichtendienst haben eine ganze Reihe von Politikern dieses Medium für sich entdeckt. Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert und SPD-Chef Sigmar Gabriel bieten seit langem Twitter-Interviews an, da wollte und konnte auch Steinbrück nicht mehr zurückstehen.Umso begeisterter war er nun offenbar, als eine Initiative um die einstigen Macher des SPD-nahen Enthüllungsblogs „Wir in NRW“ den Sozialdemokraten mit dem Peerblog quasi frei Haus einen zusätzlichen Kommunikationskanal anbot. Mit einem solchen Weblog, der organisatorisch und finanziell unabhängig agiert, aber dennoch Partei ergreift, wähnte man sich ganz vorne in der digitalen Kommunikation. Schließlich können solche Plattformen Aktivisten in ihrem Handeln bestärken, und gut recherchierte Beiträge können darauf hoffen, eine Reichweite zu erzielen, die unabhängig von den Verbreitungsgraden und -gebieten der großen Tageszeitungen, TV-Sender und Radiostationen sind.In den USA konsumiert immerhin jeder dritte Erwachsene regelmäßig die Inhalte politischer Blogs. Populäre Texte auf Blogs wie mydd.com oder dailykos.com erreichen mehr Leser als manch einflussreiches Printjournal. Die Zahl der täglichen und wiederkehrenden Leser liegt freilich selbst bei erfolgreichen Blogs oft bei wenigen 10.000. Die übrigen kommen eher sporadisch über die sozialen Netzwerke oder ähnliche Verbreitungswege vorbei.Ähnliches gilt auch in Deutschland. Hierzulande haben sich Blogs noch nicht zu einer vergleichbar wichtigen politischen Kommunikationsform entwickelt. So bewegt sich etwa die Zahl der politischen Blogs im Bereich von wenigen 100. Die Mehrzahl der deutschen Blogger kommuniziert lieber über Urlaube, gutes Essen und Computerprobleme.Die Einstellung des Peerblogs nach Hackerattacken scheint in dieser Perspektive also wenig dramatisch zu sein. Die Erregungswellen und Dynamiken im Netz jedoch kann inzwischen kein Politiker so einfach abtun: Die ersten Erfolge der Piraten 2009 waren durch das Internet begünstigt. Die Aberkennung der Doktortitel von Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan nebst den folgenden Rücktritten wären ohne kollaborative Recherche im Internet kaum möglich gewesen. Im Netz haben auch die erfolgreichen Proteste gegen das Handelsabkommen ACTA ihren Ursprung gefunden.Für Parteien und Aktivisten stellt sich jetzt die Herausforderung, die bisher zufälligen Prozesse digitaler Erregung politisch nutzbar zu machen. Obwohl ja mittlerweile ein übergroßer Teil der Bevölkerung sich in den digitalen Sphären tummelt, stellt man doch ein wenig verwundert fest, dass etliche Debatten in eigenartigen Nischen verbleiben. Andere entfalten dafür ein überraschendes Mobilisierungspotenzial.Ein paar Vorbilder gibt es: Dem damaligen US-Gouverneur von Vermont, Howard Dean, gelang es 2004 in erheblichem Maße Spenden über das Netz zu generieren für seinen Versuch, demokratischer Präsidentschaftskandidat zu werden. Deans Kandidatur scheiterte zwar letztlich, doch aufbauend auf diesen Erfahrungen steuerte Barack Obamas Team 2008 und 2012 eine Kommunikationsmaschinerie, die das Internet als zentrale Mobilisierungsressource einsetzte. Insbesondere war es Obama über Twitter möglich, seine Botschaften zu verbreiten, während sich die Netzgemeinde zugleich über Einlassungen von Obamas Gegenspieler amüsierte.Wer politisch erfolgreich im Netz kommunizieren will, muss verstehen, dass die Kommunikation im Internet in erster Linie über Text funktioniert. Menschen nehmen jede Kommunikation über mehrere Sinnebenen wahr: Ästhetik, Rhetorik, Gestik, Stimmungen, Atmosphären oder Bilder beeinflussen massiv unsere Wahrnehmung von Worten, Begriffen und Aussagen. Im Internet wird der Austausch dadurch keineswegs leichter. Ein Teil der digitalen Erregungswellen, auch jener sagenumwobenen Shitstorms, ist darauf zurückzuführen, dass sich die Gesprächspartner nicht in die Augen schauen, sich nicht sprechen hören und meistens auch nicht wirklich persönlich kennen. Dies müsste Kommunikation im Netz jedes Mal mit besonderem Bemühen um Kontextualisierung auffangen – was nicht immer gelingt und oft gar nicht gewollt ist.Dafür liefern die USA den besten Beleg. Kaum ein Anhänger der Republikaner kommt dort in die Verlegenheit, mit einem Anhänger der Demokraten zu interagieren. Man wohnt bereits in stark voneinander geschiedenen Counties. Man hört separate Radiosender, liest unterschiedliche Zeitungen, folgt unterschiedlichen Weblogs und hat bei Facebook vorwiegend Freunde mit der gleichen Parteiorientierung. Die Folgen lassen sich mehr und mehr in der politischen Kultur der USA ablesen: Sie radikalisiert sich. Statt dass sich Republikaner mit Demokraten auseinandersetzen, streiten sich Tea-Party-Anhänger mit gemäßigten Republikanern. Auf der anderen Seite ringen zentristisch ausgerichtete Demokraten mit Occupy-Aktivisten um den richtigen Kurs.Die damit einhergehenden jeweiligen Radikalisierungsprozesse verschrecken zum einen die politische Mitte. Besonders deutlich ist das gegenwärtig bei den Republikanern zu beobachten. Kandidaten mit aberwitzigen Ansichten zu Vergewaltigungen oder Homosexualität setzen sich nach hartem Ringen zwar in der Parteibasis durch, verlieren aber hinterher selbst als sicher geltende Senatssitze an die Demokraten. Zum anderen verliert der amerikanische Kongress seine Fähigkeit, politische Kompromisse auszuhandeln. Je schärfer die Lager voneinander geschieden, desto härter auch die Konfrontation. Die USA erleben gerade einen Prozess der Re-Ideologisierung, der auch durch die Internetkommunikation befördert wird.Der Netzaktivist Eli Pariser liefert dazu den passenden Begriff: die Filterblase. Sie beschreibt die netzspezifische Form der ideologischen Separation. Dahinter verbirgt sich ein nicht offenkundiges Phänomen, das mit den Algorithmen von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken zusammenhängt. Diese untersuchen die Präferenzen der Nutzer und setzen diese in Beziehung zu statistisch naheliegenden Vorlieben Dritter. Die Folge ist, dass unsere Neigung, eh vorzugsweise mit jenen zu kommunizieren, die uns ideologisch nahestehen, verstärkt wird. Dafür blenden Google, Facebook und Twitter all jene Einwürfe aus, die unser Weltbild stören würden. Die Nutzer politischer Angebote im Netz bewegen sich deswegen immer stärker in Blasen, in denen sie vom gesellschaftlichen Umfeld nur spezifische Ausschnitte wahrnehmen.Zwar kommt das unseren alltäglichen habituellen Gewohnheiten entgegen, doch damit nehmen die Zwänge ab, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen. Wer also mit digitaler Kommunikation etwas erreichen will, kann diese vor allem zur Mobilisierung eigener Anhänger einsetzen. Er muss zugleich aber überlegen, wie er diese einsetzen kann, die politische Mitte oder politisch Andersdenkende zu erreichen.Kurzum, digitale Kommunikation ist zweifelsohne wichtiger geworden. Die Reichweiten sind mitunter beachtlich, und vor allem die Kommunikationskanäle sind direkt. Doch obwohl die Reichweiten an sich unbegrenzt wären, beginnen sich auch in Deutschland digitale Parallelgesellschaften zu entwickeln. Der Stahlarbeiter in Duisburg hat eben schon Zeit, sich im Internet zu tummeln, doch man erreicht ihn eben nicht so einfach wie vor dem Werkstor. Für die Parteien und Aktivisten bedeutet das paradoxerweise, dass sie im Internet das Bedürfnis nach selbstbezüglicher Kommunikation bedienen und zugleich aus ihrer Filterblase ausbrechen müssen.Nicht nur im bevorstehenden Wahlkampf wird dabei entscheidend sein, ob es ihnen gelingt, digitale und leibhaftige Kommunikation von Angesicht zu Angesicht zu verknüpfen. Dort, wo eben auch andere Sinnesebenen als rein textuelle angesprochen werden, lässt sich das eigene Potenzial besser – wenn auch nicht unbedingt leichter – mehren als in den digitalen Räumen.
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