Jahrelang war er IRA-Anführer, dann ein allseits geschätzter Unterhändler, schließlich - 72 Tage lang - Bildungsminister von Nordirland. Und jetzt - so scheint es - steht er wieder in der Opposition. "Der Friedensprozess befindet sich in seiner schwersten Krise seit Unterzeichnung des Nordirlandabkommens", sagt Martin McGuinness auf dem Parteitag der IRA-nahen Partei Sinn Féin am Wochenende in Belfast. Man müsse sich leider fragen, ob der Staat Nordirland nicht doch unreformierbar sei. Heftiger Beifall der Delegierten. Die Einschätzung, das von probritischen und protestantischen Unionisten dominierte Nordirland sei nicht zu reformieren, hatte vor 30 Jahren die IRA zu den Waffen greifen lassen.
Diese Waffen stehen seither im Zentrum aller Kontroversen. Lange Zeit hatten die Unionisten (und die frühere britische Regierung) sogar Verhandlungen mit Sinn Féin/IRA ablehnt - zuerst müssten die Republikaner ihr Waffenarsenal aufgeben, hieß es bis 1995/96. Als dann New Labour auf eine Lösung drängte, zeigte sich der auf Ausgleich bedachte unionistische Flügel um Friedensnobelpreisträger David Trimble immerhin gesprächsbereit. Viel Druck (vor allem aus den USA, aber auch der EU) trieb Trimbles Ulster Unionist Party (UUP) in langwierige Debatten, die Ostern 1998 in das Karfreitagsabkommen mündeten.
Der Vertrag entsprach dem Versuch einer Quadratur des Kreises, denn nach wie vor sind in Nordirland drei Konfliktparteien präsent: Die Republikaner wollen eine Wiedervereinigung von Nord- und Südirland; da der militärische Kampf sie diesem Ziel nicht näher brachte, suchen sie seit Ende der Achtziger nach einem politischen Weg. Die britische Regierung bekämpfte die IRA, stand aber seit den IRA-Anschlägen in der Londoner City Anfang der neunziger Jahre einer politischen Lösung nicht mehr ablehnend gegenüber. Die unionistische Seite schließlich wollte und will die Union von Nordirland und Britannien auf jeden Fall beibehalten. Das Karfreitagsabkommen wollte diesen Antagonismus eingrenzen, ohne ihn aufzuheben, um zu demonstrieren, Nordirland sei eben doch reformierbar, die Belange der irisch-katholischen Minderheit könnten respektiert werden. Für die Sinn-Féin-Führung, die sich (zumindest vorläufig) mit der Teilung der Insel abgefunden hatte und dafür erhebliche Kritik von der Basis einstecken musste, entstanden mehrere (grenzüberschreitende) irisch-irische Gremien (Tourismus, Landwirtschaft, Verkehr). Für die Unionisten, die in derartigen Strukturen eine Nord-Süd-Vereinigung durch die Hintertür sehen, wurde ein "Rat der Britischen Inseln" geschaffen, der für eine engere Bindung Nordirlands an Britannien stehen sollte. Nicht minder wichtig waren die Freilassung der Paramilitärs auf beiden Seiten oder die Reform der nordirischen (vorwiegend protestantischen) Polizei RUC.
Das Abkommen funktionierte halbwegs, bis sich im November 1999 mit der Bildung der Regionalexekutive die Kontroverse um eine Entwaffnung der IRA wieder zuspitzte. Doch gerade davon war im Karfreitagsabkommen keine Rede. Alle wussten, die Irisch-Republikanische Armee würde zu einem solchen Schritt erst gegen Ende des politischen Prozesses bereit sein; sie hatte das immer wieder erklärt. Und so schlitterte das Abkommen von Krise zu Krise - und die Hardliner auf beiden Seiten hatten und haben daran ihren Anteil.
UUP-Chef David Trimble etwa sieht sich einer mittelständischen und bigotten Gefolgschaft (angetrieben vom fundamentalistischen Prediger Ian Paisley) gegenüber, für die auch ein rein pragmatisches Zusammengehen mit Sinn Féin nicht anderes ist als eine Kapitulation vor den "Terroristen".
Auf der anderen Seite haben die Republikaner die Pogrome von 1969 nicht vergessen, als ein protestantischer Mob katholische Häuser gleich reihenweise abfackelte. Das beeinflusst nach wie vor die strikte Ablehnung einer Waffenübergabe zum gegenwärtigen Zeitpunkt - nicht zuletzt auch deshalb, weil von einer synchronen Entwaffnung der protestantisches Paras, die in den vergangenen Jahren viel mehr Menschen getötet haben, nie in gleicher Weise die Rede war.
Ende März wurde nun Trimbles Spielraum noch enger. Er schaffte nur knapp seine Wiederwahl zum UUP-Vorsitzenden (über 43 Prozent der Delegierten stimmten für einen Gegner des Karfreitagsabkommens), zudem sprach sich der UUP-Parteirat gegen wesentliche Bestandteile einer Reform der Polizei (RUC) aus. Die - so der Tenor - dürfe beim andauernden Kampf gegen den "Terrorismus" nicht behindert werden - nicht einmal eine Namensänderung komme in Frage. Diese unnachgiebige Haltung hat ihren Grund - noch immer glauben viele Unionisten, dem Nordirland-Problem sei nur militärisch - also auch mit einer starken Polizei - beizukommen.
Trimbles Machtverfall schwächt nicht zu letzt die Sinn-Féin-Führung um Adams und McGuinness. Wie soll man angesichts dieser unionistischen Kompromisslosigkeit einer ohnehin skeptischen Basis beibringen, dass sich Kompromissbereitschaft weiterhin lohnt? Ein Teil der IRA-Mitglieder hat sich bereits abgewandt und denkt an eine Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes - ein selbstmörderischer Ansatz. Doch Verzweiflungstaten sind besonders in Zeiten eines politischen Vakuums nicht auszuschließen. Die Unionisten haben das Karfreitagsabkommen mit ihren ständig neuen Bedingungen hintertrieben, London hat es aufgehoben, ein paar militante Republikaner wollen es beerdigen. Eine Wiederbelebung braucht wohl Jahre. Und am Ostermontag beginnt die Marschsaison, während der die Unionisten den Katholiken gern demonstrieren, dass sie eigentlich nichts zu sagen haben in einem protestantischen Land.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.