„Wiederhören, Herr Diekmann“

Journalismus-Schau Die Ausstellung "Unter Druck! Medien und Politik" zeigt in Leipzig anhand von Mobiltelefonen und Zellentüren wie schwierig dieses Verhältnis stets war
Ausgabe 50/2014

Kanzlerduell, Talkshows, investigative Recherche im Stil von Günter Wallraff – wie beeinflusst der politische Journalismus das bundesdeutsche Politikgeschehen seit 1945? Diese Frage stellt aktuell die Ausstellung Unter Druck! Medien und Politik im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig. Mehr oder minder eindrückliche Objekte verdeutlichen, wie in dieser Beziehung Druck mal von der einen, mal von der anderen Seite erzeugt wird: Eine Zellentür aus dem Trakt des Hamburger Untersuchungsgefängnisses, in dem Rudolf Augstein 1962 einsaß, steht etwa für die Spiegel-Affäre. Sie gilt bis heute als der entscheidende Punkt, an dem die Presse sich gegenüber der Politik behaupten konnte.

Die Medien setzen Themen und beeinflussen, welche Bedeutung diesen zugeschrieben wird – Agenda Setting nennt das die Fachwelt. So konzentrierte sich die Berichterstattung zur Leipziger Schau bisher auf die originale Mailboxnachricht, die Christian Wulff vor drei Jahren Bild-Chef Kai Diekmann hinterließ. Der Versuch des damaligen Bundespräsidenten, Inhalt und Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Artikels zu seinem Hauskredit zu beeinflussen, markierte den Anfang des Rücktritts. Bekannt ist der Inhalt schon lange, Wulff selbst hat ihn kürzlich in seinem Buch Ganz oben, ganz unten kommentiert. Mitgeschnitten werden darf der Originalton in Leipzig zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte nicht, doch allein dass er nun bei freiem Eintritt für jedermann nachzuhören ist, schließt gleich mehrere Nachrichtenfaktoren aus dem Publizistiklehrbuch ein: Eindeutigkeit, Überraschung, Kontinuität, Bezug zur Eliteperson, Personalisierung und Negativismus. Dass auch die Originalhandys von Diekmann und Merkel zu sehen sind, fällt hingegen eher unter die Kategorie Gimmick.

Auch eine Ausstellung ist selbstverständlich ein Medium. Und die Befreiung von Zeichenzahl und Sendezeit hätte (Ausstellungs-)Raum geboten für einen Blick hinter die Kulissen derer, die sonst kritische Fragen stellen. Frank Plasbergs originale Moderationskarten oder ein seriöses Jackett von Sabine Christiansen sind da nur ein schwacher Trost. Aufschlussreicher sind Fotos, die zeigen, wie die Ex-Kanzler Adenauer und Schröder Journalisten exklusiv zu „Teegesprächen“ und als Flugbegleitung einluden. Sie werfen die Frage nach dem angemessenen Verhältnis zwischen Politikern und Medien auf, die doch bitte so nah dran wie möglich, dabei aber schön distanziert bleiben sollen.

Bleibt als dritte Partei der Bürger. Dessen verändertes Medienverhalten setzt inzwischen Journalisten wie Politiker unter Druck. Stellvertretend zeigt die Schau die Bücher, die zur Aufdeckung von Karl-Theodor zu Guttenbergs Plagiatsdoktor gelesen wurden. Recherchieren kann jeder, seine Ergebnisse veröffentlichen auch. Viele Verlagshäuser begegnen den sinkenden Auflagenzahlen mit weiteren Standbeinen, eine Tüte „tazpresso“ (Bioespresso aus dem Berliner Zeitungshaus) muss dafür in Leipzig herhalten. Allenfalls Special-Interest-Magazine wie das seit 2013 erscheinende Kreativmagazin Flow boomen. Eine solide Recherche aber – sei es zum Finanzgebaren eines hochrangigen Politikers oder zur NSA-Affäre –, die kann man sich leider nicht so einfach basteln.

Unter Druck! Medien und Politik Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Bis 9. August 2015

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