Wieviel Ressourcen sind wessen Wünsche wert

IM GESPRÄCH Die Stadtplanerin Sabine Baumgart über gender-sensitive Planung

Die Architektin und Stadtplanerin Sabine Baumgart lebt in Bremen/Hamburg und ist Mitinhaberin des 1989 gegründeten Büros BPW Stadtplanung-Forschung-Beratung. Sie hat 1996 eine Studie über frauengerechte - "gender-sensitive"- Stadtplanung vorgelegt, die sie gemeinsam mit Hille von Seggern im Auftrag des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau erstellt hat.

FREITAG: Sie haben in den siebziger Jahren studiert. Gab es damals schon feministische Stadtplanung?

SABINE BAUMGART: Zu Beginn der Frauenbewegung ging es zunächst mehr um die Wahrnehmung des eigenen Ichs und um soziologische Fragestellungen, die fachliche Kooperation kam erst später. Ein Einstieg war 1985 die Veröffentlichung Emanzipationshindernis Wohnung von Myra Warhaftig. Die Frauen begannen, das herrschende Architekturverständnis und die realen Wohnverhältnisse zu kritisieren. Später erweiterte sich der Blick vom Wohnraum zum Außenraum, zur Stadtplanung.

Welche Ansätze und fachlichen Schwerpunkte haben Sie im Hinblick auf frauengerechte Planung?

Frauengerechte Planung umfasst zweierlei: Einerseits frauenbezogene Inhalte, andererseits ihre Umsetzung, die Beteiligung von Frauen am Planungsprozess. Heute ist das Wissen um die Inhalte viel weiter als ihre Verwirklichung. Unser Planungsbüro könnte nicht allein von feministischer Stadtplanung existieren. Unsere Brötchen verdienen wir hauptsächlich mit "ganz normaler" Bauleitplanung und Wettbewerbsbetreuung, mit Stadtforschung und Investorenberatung. Unser Engagement für frauengerechte Planung erledigen wir zu einem großen Teil in unserer Freizeit, ehrenamtlich.

In die "normalen" Projekte fließen selbstverständlich auch Frauengesichtspunkte ein. Im Hinblick auf Erfolg ist es ja nicht immer sinnvoll, ein Projekt mit dem Etikett "feministisch" zu versehen. Oft ist es besser, Frauenbelange in andere Themen zu integrieren, sie in laufende Projekte einzubinden. In dieser Hinsicht ist in den letzten 20 Jahren viel passiert, Zielsetzungen und Planungsprozesse laufen nicht mehr an uns Frauen vorbei. Das wird leider viel zu wenig thematisiert und in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Integration der Frauenthemen erfolgt manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Es ist wichtig, Frauenaspekte auch als solche deutlich zu machen.

Manche Planungsprojekte nennen sich frauenspezifisch, sind aber vor allem kinder- und familienfreundlich. Bedeutet feministische Stadtplanung nicht mehr?

Viele Themen der frauenspezifischen Planung knüpfen an die traditionelle Frauenrolle an, wenige stellen sie in Frage. Ein Gegenbeispiel ist die Diskussion um angstfreie Räume in Tiefgaragen. Tragen die inzwischen weitverbreiteten Frauenparkplätze nicht gleichzeitig zur Ghettoisierung von Frauen bei? Dabei sollte nicht die Freiheit der potentiellen Opfer, sondern die der Täter eingeschränkt werden, ohne auf einem besonderen Schutzstatus aufzubauen.

Der Umgang mit der Frauenfrage bricht alte Fronten auf - nicht nur unter Planerinnen. Für junge Frauen ist Frauensolidarität nicht mehr selbstverständlich, Studentinnen interessieren sich nur mäßig für "gender-Planung". Wir müssen neue Visionen und Leitbilder finden und die Frage diskutieren, wer für was zuständig ist. Forschungsfelder gibt es genug: Einzig das Wohnen ist einigermaßen intensiv analysiert und bearbeitet. Über die Themen Mobilität, Freiraum, Arbeitsstätten liegen nur sehr begrenzt Erkenntnisse vor. Hier besteht Handlungsbedarf, auch für intensive Kooperationen, zum Beispiel mit Gewerkschaften und mit Gleichstellungsbeauftragten.

Arbeiten Sie organisiert mit anderen interessierten Fachfrauen zusammen?

Der Zusammenhalt ist existentiell, alleine geht gar nichts. Wir Planerinnen bilden Netzwerke in Städten, Regionen, bundesweit, über die Grenzen hinweg. Der Austausch läuft über persönliche Kontakte und verschiedene Institutionen. Das Netzwerk FOPA* widmet sich ausschließlich diesem Thema. Auch in berufsständischen Organisationen wie der SRL** diskutieren wir diese Fragen; das neue Heft der Publikationsreihe "PlanerIn" befasst sich in seinem Schwerpunktthema damit. Titel: Vom Spagat der gender-sensitiven Planung - zwischen feministischer Theorie(bildung) und strategischen Bausteinen für die Praxis.

Was bringt der Erfahrungsaustausch?

Die meisten Frauenprojekte sind innovativ, sowohl inhaltlich als auch im Prozess der Umsetzung. Wenn sie grundsätzlich neu sind, können andere Planerinnen die Ideen aufnehmen und in eigene Projekte einbringen. Und wenn ein Projekt lediglich vor Ort neu ist, woanders aber schon realisiert wurde, ist es gegen mögliche Zweifel und Widerstände leichter durchzusetzen. Wir brauchen Modellprojekte als vorzeigbare Beispiele und für die Erhöhung von Qualitätsstandards, weil dies die soziale und ökonomische Tragfähigkeit verstärkt, zum Beispiel im Wohnungsbau generell, nicht nur bei Frauenprojekten.

Welche Schwierigkeiten sehen Sie in der aktuellen Diskussion?

Die eigentlich erfreuliche Tatsache, dass Frauenfragen in den Planungsalltag integriert und akzeptiert sind, findet zu einer Zeit statt, wo die öffentlichen Ressourcen knapp werden. Das bringt die "Frauenthemen" in Gefahr, als zusätzlicher Aufwand und als "Luxus" etikettiert zu werden. Es wird wieder wichtiger, auf Machtstrukturen zu achten.

Die Landschaftsplanerin Maria Spitthöver hat einmal eine ganz interessante Rechnung aufgemacht über die Verwendung von Ressourcen. Die eindeutig männliche Domäne Fussball verursacht - auch als Wirtschaftsfaktor - enorme Kosten: Stadien wollen gebaut und unterhalten werden, Spieler und Spiele sind aufwendig, Polizeieinsätze und Reinigungsdienste fallen an - wieviele Schwimmbäder könnten mit diesen Summen unterhalten werden? Aber die Bäder werden geschlossen, obwohl sie zu den wenigen Freizeit-/ Freiraumangeboten für (ältere) Frauen zählen.

Welche Wünsche haben Sie an die künftige Planung?

Frauenaspekte sollen selbstverständliche raumrelevante Kriterien werden - bei der Erhebung und Forschung wie bei der Planung und Umsetzung. Das Gleichstellungsprinzip, das inzwischen vielerorts gestaltend in den Alltag eingreift, soll umfassender in der räumlichen Planung umgesetzt werden: in einzelnen Bauprojekten, in Kommunen, in der Raumplanung. Durch die Verknüpfung von Hausarbeit, Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung sind Frauen zumeist stärker in ihrem Stadtteil verankert, sie besitzen "lokale Kompetenz". Dies als Lebensqualität wahrzunehmen, berührt die aktuelle grundsätzliche Diskussion über gesellschaftliche Werte und Zielsetzungen.

Das Gespräch führte Susanne Barck

* FOPA e.V. feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen, ist ein bundesweites Netzwerk von Fachfrauen. Vereine in mehreren Städten, zentrale Anlaufstelle: FOPA e.V. Adlerstr. 81 44137 Dortmund Tel.: 0231/143329 Fax: 0231/162174
** SRL e.V.Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung, Köpenicker Str. 48/49 in 10179 Berlin. Dort kann auch das erwähnte Heft (PlanerIn, Heft 4/99) bezogen werden.

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