Willkommen bei den Sch´tis

Kino Auf den ersten Blick lässt sich nicht begreifen, warum gerade dieser Film in Frankreich mehr als 20 Millionen Menschen ins Kino gelockt hat. Offenbar ...

Auf den ersten Blick lässt sich nicht begreifen, warum gerade dieser Film in Frankreich mehr als 20 Millionen Menschen ins Kino gelockt hat. Offenbar hat Dany Boons Willkommen bei den Sch´tis eine Gefühlslage in der Bevölkerung getroffen; der Film korrespondiert mit Wunschbildern, die im medialen Diskurs kaum vorkommen.

Die Geschichte der Komödie ist denkbar simpel: Weil er seiner Beförderung auf einen Posten ans Mittelmeer durch einen tollpatschigen Manipulationsversuch nachhelfen wollte, wird der Postdirektor Philippe Abrams (Kad Merad) aus der Provence nach Norden strafversetzt. Nicht nach Lyon oder Paris, sondern ins bitterkalte und unwirtliche Bergues, das die meisten Franzosen, wie man im Film schnell lernt, lieber den barbarischen Belgiern zuschlagen würden. Auf das Schlimmste gefasst zieht der Südländer in die Tristesse, und alle Vorurteile scheinen sich zu bestätigen: Die Menschen trinken Bier statt Wein, tunken Käse in den Kaffee und reden in einer unverständlichen Mundart, dem ch´timi. Das Herz aber sitzt am rechten Fleck, man steht füreinander ein. Vorzüge, die der Neue rasch zu schätzen lernt.

Boons Loblied auf die gelebte Volkstümlichkeit einer Region nach dem Niedergang des Bergbaus und der Stahlindustrie fällt in eine Zeit, in der Frankreich von einem Präsidenten regiert wird, der sich nicht als Patriarch oder Monarch sieht, sondern als Manager. Zur Attitüde des Bosses der Nation gehört für Nicolas Sarkozy nicht nur das Auftreten, sondern auch das Vorzeigen von Insignien des wirtschaftlichen Erfolges wie Rolex, Yacht und Modelgattin. Der parvenühafte Habitus hat den Präsidenten bei der konservativen Bevölkerung Beliebtheit gekostet. Die Welt der Sch´tis bietet das genaue Gegenstück zum Emporkömmling in Paris. Hier herrscht die Gutmütigkeit des kleinen Mannes, der an der Pommesbude sein Mittagessen zu sich nimmt; weit entfernt vom Reformfuror der Regierung nimmt das Leben seinen gewohnten Gang.

Der Erfolg des Films ist damit allein nicht erklärt. Willkommen bei den Sch´tis bietet Volkstheater für eine Gesellschaft unter Modernisierungsdruck. Der Film spielt auf einem Postamt und alle Freunde von Philippe sind jene Staatsbeamten, die seit dem Amtsantritt Sarkozys zu leiden haben unter Vorwürfen der Privilegierung und Verkrustung sowie unter Stellenabbau. Bei den Sch´tis aber kann man sehen, warum Privilegien und hohe Zahl eine Berechtigung haben: Gerade weil die Beamten einen betulichen Rhythmus pflegen, sind sie menschlich und anständig.

Die technische Revolution ist hierher noch nicht vorgedrungen. Kunden werden am Schalter bedient und sind dem Beamten namentlich bekannt, von unpersönlichen Kommunikationsmitteln wie Internet und Mobiltelefon wird kein Gebrauch gemacht. "Um sich zu unterhalten, klingelt man an der Tür", wie die Zeitschrift Marianne zutreffend resümiert hat. So malt der Film das Bild einer umgekehrten Globalisierung: Der von außen kommende, neue Postdirektor modelt nicht den Betrieb nach seinen Regeln um, sondern passt sich den Sitten der Einheimischen an - und alle werden damit glücklich. Dementsprechend gibt es auch keine sozialen Konflikte. Der Direktor lebt in trauter Einigkeit mit seiner Belegschaft und den Kunden, selbst die in der globalen Ökonomie geschmähten Signets der Arbeiterbewegung kommen kurz ins Bild: Für einen Moment sieht man ein Schwarzes Brett mit Aushängen der Gewerkschaften im Hintergrund. Ohne die Harmonie zu stören, werden sie als zugehörig zum glücklichen Leben betrachtet.

Willkommen bei den Sch´tis ist in der Schweiz und Belgien zum Kassenschlager geworden, in den USA wird an einem Remake gearbeitet. Die weltweite Modernisierung weckt den globalen Wunsch nach Idylle und Entschleunigung, der paradoxerweise aber immer national verankert ist. Zwar hat die deutsche Version das Problem der Synchronisation überzeugend gelöst ("s" wird als "sch" gesprochen und umgekehrt). Eine wirkliche Übersetzung hätte wohl aber zum Sächsisch greifen und Willkommen bei den Ossis heißen müssen, um die Mischung an Vorurteilen und wirtschaftlicher Misere zu reproduzieren, die bei den Sch´tis für Lacher sorgt. Das mag abwegig klingen. Noch abwegiger wäre indes, dass die Hauptrollen von einem Russlanddeutschen und einem Deutschtürken gespielt würden: Die französischen Hauptdarsteller Dany Boon und Kad Merad sind nordafrikanischer Abstammung.

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