Am 18. Mai dieses Jahres überquerte JJ1 alias Bruno zum ersten Mal die Grenze von Österreich nach Deutschland. Dabei gibt es seit 171 Jahren hierzulande keine frei lebenden Bären mehr. Wie also umgehen mit dem Tier? Zuerst schien der Bär zu Gast bei Freunden, doch dann wurde er zum unwillkommenen Besuch, der sich nicht einfach auf sanfte Art hinauskomplimentieren ließ. Bruno war kein verträumter Winnie-the-Pooh, sondern ein Flegel, plünderte Bienenkörbe und riss Schafe. Der Bär kam Einheimischen und Touristen gefährlich nah - nur den eigens engagierten finnischen Bärenexperten ging das Tier gekonnt aus dem Weg. Von den Medien wurde Bruno in Szene gesetzt als eine Art tierischer Richard Kimble auf der Flucht, nur dass es kein Happy End
nd gab, sondern das Todesurteil vollstreckt wurde. Der Bär ist tot. Nach mehrwöchiger Odyssee durch die Alpen wurde er am 26. Juni erschossen.Dieses gewaltsame Ende macht ihn endgültig zum tragischen Helden: Das Bären-Merchandising umfasst "Rache-für-Bruno"-T-Shirts und Trauerflor mit Tatzenaufdruck für die Autoantenne. Die Proteste gegen seinen Abschuss reichen von Antijagd-Demonstrationen bis zu Drohungen gegen den unbekannten Schützen. Die Berichterstattung vom Bären ist auf Medienkonsumenten getroffen, die "kulturell auf ein positives Bild vom Bären geprägt sind", wie Frank Schwab, Medienpsychologe an der Universität des Saarlandes, meint.In amerikanischen Fernsehserien wie Der Mann in den Bergen sind Bären halbzahme Kumpane des Menschen. Auch in Märchen erscheinen sie als Gute, und in der Werbung füllen lächelnde Bären Kondensmilch ab oder kuscheln sich in weichgespülte Handtücher. Was das Phänomen Bruno auslöste, war darüber hinaus die Art der Berichterstattung: "Auf der einen Seite spielt man mit der Angst", stellt Schwab fest, "andererseits wird personalisiert: Der Bär kriegt zum Beispiel einen Namen". Bruno passte nicht nur ins Sommerloch, sondern auch ins Kuscheltier-Schema: "Wäre das Tier ein Nacktmull gewesen, dann wäre das nicht passiert", konstatiert Schwab.Mit einem schlechteren Image hätte der Bär also womöglich bessere Überlebenschancen gehabt. Im Gegensatz zu Bruno haben sich, ohne für bundesweiten Wirbel zu sorgen, Luchse nach Sachsen und Wölfe in die Lausitz eingeschlichen. Auch sie sind Heimkehrer, die in früheren Zeiten ausgerottet wurden. Und auch sie sind Beutegreifer. "In Deutschland kennt man den Wolf eigentlich nur aus Märchen und Mythen, und man glaubt nicht, wie stark sich anhand solcher Geschichten die Angst festsetzt", beschreibt Forstwirtin Jana Schellenberg die Ausgangssituation. Sie betreibt Diplomatie in Sachen Wolf im Kontaktbüro Wolfsregion-Lausitz: "Die Menschen haben verlernt, mit diesen Tieren in ihrer heimischen Fauna umzugehen". Dabei sind Haustierverluste vermeidbar. Für einen Schafhalter beispielsweise müsse dass Sichern seiner Herde mit Herdenschutzhunden oder Elektrozäunen so selbstverständlich sein "wie ein Hühnerhalter abends seine Stalltür zumacht, damit die Hennen nicht vom Fuchs geholt werden", meint Schellenberg.Prävention und Aufklärung sind wichtig: "Es kann nicht die Lösung sein, dass man nur Entschädigungen zahlt", glaubt Ute Grimm, Biologin im Bundesamt für Naturschutz (BfN). Das BfN plant für das kommende Jahr den Beginn eines Projekts, das die Grundlagen im Umgang mit den Rückkehrern bereitstellen soll. Da Naturschutz Ländersache ist, erstellt die Bundesbehörde quasi die überregionale Gebrauchsanweisung: Präventionsmaßnahmen ausarbeiten, Konfliktfelder erkennen und Managementpläne entwerfen. Grundsätzlich müsse auch geklärt werden, wo überhaupt mögliche Zuwanderungsgebiete sind, mit Ein- und Durchwanderungskorridoren. Auch die Kooperation mit den Nachbarländern müsse geregelt sein, denn, so Ruth Petermann, Landschaftsökologin am BfN, "so ein Bär kommt ja nicht aus der Luft".Es sei aber realistisch, dass sich einige Arten wieder dauerhaft ansiedeln. "Grundsätzlich", so Grimm, "haben Arten eine Chance, die von selber wiederkommen, denn natürliche Rückwanderung ist ein Kennzeichen dafür, dass der Lebensraum da ist". Ulrich Simmat, Projektbetreuer bei der Heinz Sielmann Stiftung, beurteilt die Ausgangslage kritisch: "Große Tiere sind hier nicht wegen der Lebensräume ausgestorben, sondern vom Menschen ausgerottet worden. Sie sind viel anspruchsloser, als man früher dachte".Geringe Verfolgung, Glück, Zufall und offene Grenzen bestimmen, ob die Tieren zurück kehren. Doch es ist generell erst nach Jahren erkennbar, ob sich einzelne Zuwanderer zusammenfinden und zu stabilen Populationen entwickeln. Eine Wahlmöglichkeit, ob man Elch und Co. überhaupt eine Chance zur Wiederausbreitung geben will, sieht Simmat nicht: "Wenn wir vom armen Land Indien erwarten, die Tigerbestände zu erhalten, müssen wir als reiche Bundesrepublik auch die Bereitschaft zeigen, uns auf Wölfe und Bären einzulassen." Sind die Tiere erst einmal da, muss man lernen, mit ihnen zu leben. Es ist ein Elchtest für den Artenschutz, Akzeptanz für altbekannte, fremde Tiere zu schaffen und den Menschen beizubringen, wie man mit ihnen umgeht.Besonders schwierig wird die Lobbyarbeit für eine der größten Vogelarten Europas, obwohl sie anspruchslos alles frisst, nur tot muss es sein: Der Gänsegeier. Was die Tiere dazu treibt, in diesem Jahr vermehrt über aufgeräumten deutschen Feldern zu kreisen, ist unklar. "Es ist ein Phänomen, das wir erst noch zu verstehen versuchen", räumt Thorsten Krüger, Biologe an der staatlichen Vogelschutzwarte Hannover ein. Vielleicht leiden die Tiere aufgrund einer neuen EU-Hygieneverordnung ja unter Nahrungsmangel und haben, weil sie in Südeuropa nicht mehr genügend Kadaver finden, ihr Streifgebiet ausgeweitet.Für eine dauerhafte Ansiedlung dieser Tiere in Deutschland sieht Krüger schwarz: "Was die Geier betrifft, ist Aas in der Landschaft der Schlüssel zum Glück". Und das gibt es hier nicht. Insofern gewinnt ein Plakat neue Aktualität, das der Deutsche Verkehrssicherheitsrat Anfang 2000 an Autobahnen aufstellen ließ, darauf zu sehen war ein Ast, auf dem vier Geier hocken und der Aufruf: "Hallo Raser, wir warten!"
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