Wir applaudieren nicht

SPARMAßNAHMEN / DGB Ursula Engelen-Kefer über die Streichpolitik der Bundesregierung

FREITAG: Gerhard Schröder hat über Sie gesagt: »Frau Engelen-Kefer kritisiert alles und jeden, nur nicht sich selbst«. Damals ging es um die geplante Berufung von Jost Stollmann zum Wirtschaftsminister ...

Engelen-Kefer: Zum Glück sind die rabiaten Töne von Herrn Stollmann nicht in die Politik eingeflossen. Ich habe das weggesteckt, die Gewerkschaften sind schließlich nicht der verlängerte Arm der SPD, und die SPD nicht das Sprachrohr der Gewerkschaften. Aber die SPD steht uns näher, als die Parteien der vorhergehenden Regierungskoalition.

Lag Jost Stollmann mit seinen Ankündigungen nicht ganz dicht bei dem, was jetzt geschieht?

Da gibt es schon noch Unterschiede, aber ich sage auch: Ob das mit der Nähe jetzt so bleibt, ist mindestens infrage gestellt. Diese Bundesregierung hat zwar mit Massenarbeitslosigkeit und einer Riesenverschuldung eine enorme Hypothek übernommen. Sie ist an deren Abtragung gegangen. Das 630-Mark-Gesetz, das Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit sollten der Erodierung der sozialen Sicherungssysteme entgegenwirken, ebenso wie die erste Stufe der Steuerreform zugunsten der unteren Einkommensgruppen, oder die Wiederherstellung der Lohnfortzahlung und des Kündigungsschutzes. Nicht zu vergessen das »Bündnis für Arbeit«. Aber das heißt nicht, daß wir jetzt nicht deutlich machen werden, daß auch unter schwierigen Bedingungen eine andere Politik möglich ist. Renten sind kein Almosen des Staates, die je nach Kassenlage gezahlt oder entzogen werden, es sind erworbene Ansprüche. Im Interesse aller Beteiligten muß die Rentenformel verläßlich bleiben. Sie darf nicht willkürlich von einer Anpassung an die Nettolöhne in eine Anpassung an die Preissteigerungsrate verändert werden. Daß das nicht den Beifall der Gewerkschaften findet, ist kaum verwunderlich. So gesehen ist das vorgelegte »Sparpaket« keine Reform, sondern der Versuch, den Bundeshaushalt zu entlasten.

Der Bundesarbeitsminister sagt: ist ja alles nur für zwei Jahre...

Es ist trotzdem vor allem für Arbeitslosenhilfeempfänger problematisch. Der Finanzminister entlastet nämlich auf deren Kosten den Gesamthaushalt. Deren Beiträge zur Rentenversicherung berechnet er nicht mehr auf der Basis von 80 Prozent des Einkommens, sondern nur noch von 57 Prozent. Damit erhalten gerade die Ärmsten der Armen hinterher auch noch niedrigere Renten, und bei den Rentenversicherungen fehlen kurzfristig Einnahmen von etwa drei Milliarden Mark. Da reicht es nicht, wenn der Sozialminister auf der anderen Seite eine Mindestsicherung einführen will. Es bleiben Verschiebungen vom Bund zu Lasten der Rentenversicherung, die wir nicht akzeptieren.

Was wäre denn ein akzeptabler Ansatz?

Aus Gründen der Gerechtigkeit müßte zumindest die private Vermögenssteuer wieder eingeführt werden. Das würde dem Finanzminister ersparen, den Empfängern von Arbeitslosenhilfe die Rentenbeiträge zu kappen.

Der Bundeskanzler hat für diese Legislaturperiode die Diskussion über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Anhebung bei der Erwerbssteuer für beendet erklärt.

Er muß wissen, was er tut. Er braucht allerdings auch künftig Wählerstimmen. Ich weiß nicht, ob er so viel in der »neuen Mitte« gewinnt, wie er verliert, wenn er sich konsequent über Interessen von Ärmeren hinwegsetzt.

Haben die Gewerkschaften Alternativen für eine Reform des Rentenrechts?

Falls Rentner überhaupt einen Beitrag zur Sanierung des Haushalts erbringen sollen, könnte man kurzfristig die besondere Entlastung für kinderreiche Familien aus der Rentenformel herausrechnen. Mittelfristig halten wir im »Bündnis für Arbeit« eine Arbeitsgruppe zur Rentenstrukturreform für nötig, in der die Verbreiterung der Einnahmenbasis und die Einbeziehung von Selbstständigen erörtert werden sollen. Wer zum Beispiel das Schweizer System hochlobt, sollte wissen, daß dort die Selbstständigen eingeschlossen sind und alle Einkünfte für Beiträge herangezogen werden, auch Zinsen oder Mieten. So können die Beiträge insgesamt niedriger gehalten werden. Ein sehr solidarisches Modell.

Horst Schmitthenner, im Vorstand der IG Metall für Sozialpolitik zuständig, stellt grundsätzlich in Frage, daß Rentenbeiträge gesenkt werden müssen. Vor zwei Jahren hätten sie schon bei 20,3 Prozent gelegen, ohne daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beeinträchtigt war.

Diese Auffassung teile ich nicht. Im »Bündnis für Arbeit« haben die Gewerkschaften eingewilligt, aus beschäftigungspolitischen Gründen die Lohnnebenkosten zu senken. Die Geamtbeitragsquote zu den Sozialversicherungen soll unter 40 Prozent sinken.

Wo könnte der Ausweg liegen?

Wenn die Rentenversicherung durch das Sparpaket nicht belastet würde und die nächsten Stufen der Ökosteuer, wie geplant, der Rentenversicherung zufließen, dann wäre dieses Ziel erreicht.

Die Vorsitzenden von IG Metall und IG Medien kritisieren, daß es in den Arbeitsgruppen des »Bündnisses für Arbeit« um alles mögliche, und nur noch am Rande um die Verringerung der Massenarbeitslosigkeit gehe.

Wir gehen mit konkreten Zielen in die Runde der nächsten Woche: Wir brauchen zunächst eine Ausbildungsplatzgarantie, Versprechungen reichen nicht. Wir brauchen darüberhinaus Vereinbarungen über einen Ausgleich für Abschläge bei Rente mit 60 und bessere Regelungen bei Altersteilzeit. Wir sind bereit, über Tarifmodelle unseren Beitrag zu leisten. Wir wollen drittens konkrete Verabredungen zum Abbau von Überstunden, um damit die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern.

Gerade bei der Arbeitszeitgestaltung drohen im Falle gesetzlicher Regelungen Arbeitgeber damit, das »Bündnis« zu verlassen.

Diese ständigen Ausstiegsdrohungen sind ermüdend und wenig hilfreich. Wir werden immer eine gesetzliche Flankierung brauchen. Nehmen Sie die Altersteilzeit. Wenn diese Möglichkeit auf breiter Basis genutzt werden soll, muß es einen gesetzlich abgesicherten Ausgleich für Abschläge bei der Rente ab 60 geben. Gesetzliche Änderungen sind auch nötig, damit es eine Insolvenzsicherung für Arbeitszeitkonten geben kann und Arbeitnehmer nicht ihre Ansprüche verlieren, wenn ein Betrieb zum Beispiel pleite macht. Bei Überstunden ist die Anpassung des Arbeitszeitgesetzes an das, was man will, auch nötig. Nur, die gesetzliche Flankierung muß bei allen Parteien durch die Bereitschaft zu Vereinbarungen ergänzt werden.

Aber dieser gemeinsame Wille scheint ja nicht da zu sein...

Wir wären bereit, Teilzeitarbeit stärker zu fördern, wenn es einen Einkommensausgleich gibt. Wenn Väter und Mütter freiwillig von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitarbeit übergehen, um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen, könnte, wie bei der Altersteilzeit, die Bundesanstalt für Arbeit einen Einkommensausgleich gewähren, vorausgesetzt gleichzeitig würden Arbeitslose eingestellt oder Auszubildende übernommen. Wenn so etwas als gemeinsame Aktion von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Gesetzgebern gestartet würde, wäre eine differenzierte Arbeitszeitverkürzung in bestimmten Lebenslagen möglich, die auf den Arbeitsmarkt entlastend wirken würde.

Drosselt die Bundesregierung mit ihrem Sparpaket die Nachfrage, die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nötig ist?

Das sogenannte Rekordsparpaket in den unterschiedlichen Ressorts ist nur zum Teil ein Sparpaket. Ein Teil wird aus der Ökosteuer gegenfinanziert, was konjunkturell nicht negativ zu Buche schlägt. Es ist eine Umfinanzierung, die die Nachfrage nicht drosselt. Beim Sparen zu Lasten der Rentner und Arbeitslosenhilfeempfänger ist das anders, das wird Nachfrageausfälle zur Folge haben. Der Durchschnittsrentner muß auf durchschnittlich circa 500, DM Rentenzuwachs verzichten. Derjenige, der nur auf seine Rentenleistung angewiesen ist, hätte das ausgegeben und nicht in den Sparstrumpf gesteckt.

Könnte denn eine Steuerreform als Teil des Sparpakets Anreize für mehr Arbeitsplätze schaffen?

Eine Nettosteuerentlastung für Unternehmen von acht Milliarden Mark war dafür nicht nötig, weil die Gesamtbelastung der Unternehmen nicht zu hoch war. Sie ist nur völlig falsch verteilt. Zudem werden die Arbeitgeber bereits bei den Lohnzusatzkosten durch die Ökosteuer entlastet.

Teile der CDU wollen den Unmut von Betroffenen für Aktionen ausnutzen. Wird der DGB eigene Aktionen, zum Beispiel so etwas wie eine Unterschriftenaktion für die Einführung der Vermögenssteuer dagegensetzen?

Auf jeden Fall werden wir unsere Kritik weiter deutlich machen, damit am Ende mehr Arbeit und mehr soziale Gerechtigkeit stehen.

Das Gespräch führte Friedrich Siekmeier

Unsere Gesprächspartnerin, promovierte Volkswirtin, ist seit 1990 im DGB-Bundesvorstand unter anderem für die Bereiche Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständig.

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