FREITAG: Was hat sich seit dem Einzug der NPD im Sächsischen Landtag geändert?
HEIKO HILKER: Es gibt stärkere Diskussionen darüber, wie man mit diesem Wahlergebnis umgeht, innerhalb und zwischen den Fraktionen. Bisher gibt es keinen Konsens, wie man auf Anträge der NPD reagieren oder wie man sich bei Abstimmungen verhalten sollte. Die FDP hat zum Teil bei der Besetzung von Posten in parlamentarischen Gremien den Vorschlägen der NPD zugestimmt, auch einige CDU-Abgeordnete haben das getan. Die Mehrzahl der anderen Abgeordneten hat sich bei den entsprechenden Wahlen nicht beteiligt.
Der NPD-Parteichef Udo Voigt hatte angekündigt, Fundamentalopposition zu betreiben. Kann man davon etwas merken?
Rhetorisch wird Fundamentalopposition betrieben, faktisch allerdings nicht. Bei inhaltlichen Auseinandersetzungen wird fundiert argumentiert. Die NPD-Abgeordneten zitieren zum Beispiel den Landesrechnungshof, um ihre Argumentation zu unterfüttern. Man argumentiert fachlich kompetent und lädt dann das Ganze mit nationaler Ideologie auf. Einfach gesprochen: alles zuerst für die Deutschen und für die Erhaltung des deutschen Volkes.
Wie geht die PDS mit dieser Lage um?
Die sächsische PDS hat noch nicht geklärt, wie sie auf Initiativen und Vorschläge der NPD reagieren will, es gab dazu schon eine Debatte in der Fraktion, aber es gibt noch keine klaren Regeln. Zumindest müsste zwei Monate nach der Wahl klar sein, wie man in "Standardsituationen" reagiert. Allerdings ist die Strategie der PDS-Fraktion für die nächsten fünf Jahre unter diesen neuen Bedingungen noch nicht geklärt: sechs Parteien - doppelt so viele wie vorher - und eine davon eine rechtsextreme.
Vor der Wahl und am Wahlabend schien es der NPD vor allem darum zu gehen, zu provozieren. Hat sich das in der kurzen Zeit geändert?
In Interviews vor der Wahl und kurz nach dem Wahlerfolg waren die NPD-Leute ehrlich und damit provokant. Sie sprachen sich klar für einen Systemsturz aus. In der Fraktion sind nun mehr intellektuelle Rechte als Berater tätig. Die geben den Kurs vor: sachlich fundiert argumentieren, Probleme der Menschen ins Parlament bringen und, wenn möglich, national aufladen. Ein Beispiel war das Thema "Schöner leben ohne Drogen", das die NPD für eine aktuelle Debatte eingereicht hat. Eine Woche zuvor hatte die jüngste PDS-Abgeordnete, Julia Bonk, die Freigabe von Heroin gefordert. In der konstituierenden Landtagssitzung trug sie zudem ein T-Shirt mit dem Spruch "Schöner leben ohne Nazis". Themen werden bisher auf ihre mediale Wirkung hin zugeschnitten, um nicht als verknöcherte, ewiggestrige Rechte in den Medien zu erscheinen.
Vom Maulhelden zum Biedermann?
So ist es, bis auf einige Verbalattacken. Die NPD in Sachsen ist viel weiter als die anderen Parteien glauben. Sie hat außerdem 20 Prozent Erstwähler. Das sind ja nicht alles Schläger oder Rechtsextremisten.
Die NPD hat sich im Wahlkampf auch als sozialistische Alternative präsentiert. Ist es für die PDS nicht ein Vorteil, wenn die NPD sich nun abgrenzt?
Ganz so ist es nicht, sie wollen ja beispielsweise unser Kindertagesstättengesetz unterstützen. Die NPD sucht gesellschaftliche Mehrheiten. Sie will über ihre Wählerklientel hinaus. Ihr geht es nicht darum, sich von der PDS abzusetzen, sondern von der PDS zu profitieren. Die Strategie der CDU vor der Wahl, PDS und NPD gleichzusetzen, als rechte und linke Extremisten, hat die NPD eher noch aufgewertet.
Parallel zu der "Verbürgerlichung" der NPD scheint es vielerorts in Sachsen eine Ermutigung zur Gewalt zu geben. Man hört von Einschüchterungsversuchen und Aufrufen zur Gewalt.
Die Frage ist, ob das eine abgestimmte Strategie ist. Leute von den Kameradschaften in den Bundesvorstand oder in die NPD zu holen deutet darauf hin. Meiner Meinung nach wird die Strategie der "National befreiten Zonen" weiter verfolgt. Natürlich wird die Partei versuchen, dass hier keine direkten Zusammenhänge hergestellt werden können. Aber man kann sehen, dass in der Sächsischen Schweiz, wo die NPD am stärksten ist, auch die rechtsextreme Gewalt stärker als in anderen Gegenden ist.
Dient die gegenwärtige Multikulti-Debatte wieder dazu, am rechten Rand zu graben?
Wenn, dann wird es nicht funktionieren. Das Problem der Politik ist, dass sie wesentlich aus Verkündung besteht und über Schlagzeilen in den Zeitungen abläuft. In Sachsen gibt es seit zwölf Jahren einen Runden Tisch gegen Gewalt. Der hat Dutzende Beschlüsse gefasst, wie Jugendarbeit auszusehen hat, dass es mehr Geld für Jugendarbeit, mehr Streetworker und Fachkräfte geben soll. Von diesen Beschlüssen wurde seit Jahren praktisch keiner umgesetzt. Wer feststellt, dass viele junge Leute vor Ort Probleme haben - sei es die Heizung in ihrem Jugendclub oder fehlende Malerfarbe - und die Politik erklärt ihnen immer, warum was nicht geht, der braucht sich nicht zu wundern, dass Jugendliche sich Gruppierungen zuwenden, die ihnen helfen. Ja, mittlerweile erreicht die NPD über die Kinder die Eltern.
Was kann man dem entgegensetzen?
Erst einmal geht es in einigen Regionen darum, Alternativen zu ermöglichen. Da gibt es nicht die Lösung. Eine Alltagskultur, die sich über die Jahre ausgeprägt hat, muss wieder geöffnet, Vielfalt ermöglicht werden. Kurzfristig dürfte es keinen Landkreis in Sachsen ohne Streetworker geben, weil die sehr schnell auf Probleme reagieren können. Jede Kommune muss Räume für Jugendliche haben. Allerdings dürfen dort nicht die Rechten das Sagen haben.
Kultur gehört vor Ort, sei es als Theatergruppe, die durch Fachkräfte unterstützt wird, sei es durch ein Programmkino, das über die Orte fährt und Filme aus einem breiten Angebot zeigt. Wenn musische Bildung so wichtig ist, muss langfristig jeder, der das will, ein kostenloses Musikschulangebot bekommen. Und - Sportgruppen dürfen nicht in der Hand von Rechtsradikalen sein.
Die Kommunen klagen über Geldmangel.
Ja, durch Abwanderung sinken die Zuweisungen, die ja pro Kopf erfolgen. Die Multiplikatoren, die flexibleren, mobileren gehen weg und kommen meist nicht zurück. Sachsen verliert viele Akteure, auch in der Politik.
Wie kann man aus der Abwärtsspirale herauskommen?
Wir müssen Strategien entwickeln, die auf 15, 20 Jahre angelegt sind. Vor Ort kann man mit wenig Aufwand viel bewegen, wenn die politischen Akteure bereit sind, sich auf die Bürgerinnen und Bürger einzulassen und zu überlegen, wie man aus dem wenigen so viel wie möglich machen kann. Es geht darum, Vielfalt und Offenheit zu befördern, statt Einfalt zu verwalten.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
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