Wir gehören zu keinem Lager

Im Gespräch Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky über lachende und weinende Augen, Allparteien-Fronten und Alleinvertretungs-Merkmale, Zweitstimmen und Direktmandate

FREITAG: Sind vorgezogene Bundestagswahlen für die PDS eine gute Nachricht, oder hätten Sie gern etwas mehr Zeit gehabt?
LOTHAR BISKY: Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist gut, dass wir bald Klarheit haben, auch für die PDS. Manches aber muss jetzt sehr hastig durchgezogen werden. Ich habe durchdachte politische Aktionen lieber als Schnellschüsse. Aber jetzt sind ja alle Parteien zum Schnellschussverfahren genötigt. Und da nehmen wir das auch fröhlich auf.

Gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle.
Na, nicht ganz. Denn die großen Parteien haben ihre großen Apparate, und die kleinen Parteien haben kleine Apparate und wenig Kraft. Und insofern ist das schon eine einseitige Bevorteilung der Groß-Parteien, die dann untereinander die Welt aufteilen.

Es wird schon viel von einer Richtungsentscheidung gesprochen, um die es gehen soll - einer Entscheidung zwischen sozialer und radikaler Marktwirtschaft. Für das Eine steht angeblich Rot-Grün, für das Andere Schwarz-Gelb. Wie werden Sie damit umgehen?
Da sind wir, glaube ich, gut aufgestellt - wir folgen nicht Rot-Grün, wir folgen nicht Schwarz-Gelb, wir haben eine "Agenda sozial" als Konzept entworfen und präzisieren das in laufender Arbeit.

Wir haben zur Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen in der Öffentlichkeit klare Gegenpositionen bezogen - wir sind die einzige Partei, die im Deutschen Bundestag mit zwei Abgeordneten, zwei wichtigen Abgeordneten, gesagt hat, Reform des Sozialstaates ja, aber nicht einseitig zu Lasten der sozial Benachteiligten. Die Allparteienfront im Parlament hat sich eindeutig für das Gegenteil entschieden - das betrifft die SPD, das betrifft die Grünen, die CDU/CSU und die FDP. Da haben wir ein Alleinvertretungsmerkmal. Und wenn es in der Wahlschlacht um diese Fragen geht, dann fühle ich mich sehr wohl dabei. Wir haben Alternativen zu bieten. Diese Politik wollen wir nicht, und ich sehe auch nicht im Entferntesten, dass Rot-Grün und Schwarz-Gelb sich in dieser Frage unterscheiden. Jedenfalls haben sie das bisher sehr gründlich vor der Öffentlichkeit verborgen.

Rechnen Sie damit, dass für die SPD die Kapitalismuskritik in diesem Wahlkampf eine ähnliche Rolle spielen könnte wie Schröders Amerika-Kritik vor drei Jahren bei der Bundestagswahl 2002?
Das kann sein. Aber die gleichen Muster funktionieren auch nicht immer gleich. Man kann eine Bevölkerung gelegentlich überraschen, aber wenn sich die gleichen Muster wiederholen, gibt es Lerneffekte. Die Kapitalismuskritik ist nicht glaubwürdig, so lange die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze bleiben.

Ist es für die PDS günstig, dass momentan nicht sehr viel für ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU/CSU spricht? Das heißt, die PDS wird nicht das Zünglein an der Waage sein.
Da sage ich ganz klar: Wir sind kein Zünglein an der Waage! Wir sind keinem Lager zuzuordnen. Wir werden eine klare Oppositionspolitik auf Bundesebene entfalten. Und wir werden den Anti-Kapitalismus von Müntefering in politische Taten umsetzen und nicht als Seminar anbieten. Gewiss ist es immer schwierig, wenn sich die beiden großen Lager gegenüberstehen. Aber die PDS gehört keinem dieser Lager an, absolut nicht. Das ist übrigens auch eine Lehre, die wir aus der Bundestagswahl 2002 gezogen haben. Wir sind eine selbstständige sozialistische Partei, wir haben unser eigenes Profil, dabei bleibt es. Insofern ist mir relativ gleichgültig, wer künftig mit wem koaliert.

Werden Sie dieses Profil auch gegenüber der WASG schärfen, wenn es zu keiner wie auch immer gearteten Zusammenarbeit kommt?
Ich halte die Tür offen. Ich will mich später gern auch strategisch mit der Frage weiter befassen. Aber jetzt sind wir durch den Zeitdruck in einer äußerst komplizierten Situation. Ich habe im Moment alle Hände voll damit zu tun, die Partei auf den Wahlkampf einzustellen, in dem wir ja bereits stehen. Ich kümmere mich nur noch darum, wie wir bis zur Wahl jeden Tag ein, zwei Wähler hinzu gewinnen können. Da ist es schwierig, längere Debatten über "Was wäre, wenn?" zu führen.

Gilt das auch für Angebote von Oskar Lafontaine nach seinem Austritt aus der SPD?
Wir sind gesprächsbereit, aber Wahlrecht und Wahltermin setzen enge Grenzen für eine Verständigung. Im Interesse einer starken linken Fraktion im Bundestag sollten wir die Möglichkeiten gemeinsamen Agierens dennoch ausloten.

Vieles deutet zu Beginn dieser politisch lebhaften Woche, da wir dieses Gespräch führen, darauf hin, dass Gregor Gysi für die PDS antreten und dies am Wochenende auf Ihrem kleinen Parteitag mitgeteilt wird.
Gregor Gysi wollte Ende des Jahres die Ärzte noch einmal befragen, ob er sich das gesundheitlich zumuten kann. Jetzt hat er um einen schnelleren Rat gebeten. Und soviel Menschlichkeit muss sich eine sozialistische Partei leisten, das Urteil der Ärzte abzuwarten. Das muss man Gregor Gysi einräumen. Deshalb sage ich keinen Termin, ich sage nur, er wird sich bald entscheiden.

Bisher galt, wenn die PDS beim Zweitstimmenergebnis über fünf Prozent kommen will, muss sie in den alten Bundesländern etwa zwei Prozent erreichen. Das könnte jetzt durch die WASG in Frage gestellt sein. Werden Sie sich gleich darauf konzentrieren, drei Direktmandate zu gewinnen?
Wir konzentrieren uns auf Direktmandate, aber natürlich will ich die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Und ich weiß gar nicht, warum ich mich jetzt einschüchtern lassen soll. Wir haben bei den Landtagswahlen und der Europawahl 2004 die besten Ergebnisse in der Geschichte der PDS gehabt. Wir müssen uns nur auf unsere Stärken besinnen: besonders eine motivierte Mitgliedschaft. Wir sollten etwas mehr Selbstbewusstsein tanken, klare Entscheidungen treffen und für eine verständliche Politik werben. Man muss wissen, was will die PDS? Ich sage deshalb: nicht verzagen! Wir müssen versuchen, mit den Kräften, die wir haben, Menschen zu gewinnen.

Was Sie garantiert nicht haben werden, ist die Aufmerksamkeit der großen Medien.
Das müssen wir dann mit anderen Mitteln wettmachen. Es gibt kein Naturgesetz, dass wir die fünf Prozent nicht nehmen können.

Zu den klaren Entscheidungen: Könnte die SPD-PDS-Koalition in Schwerin an der Abstimmung im Bundesrat über die EU-Verfassung zerbrechen?
Das weiß ich nicht. Das ist eine Entscheidung, die in Schwerin gefällt wird. Die Bundespartei hat sich eindeutig entschieden auf ihrem Potsdamer Parteitag und nein zu dieser Verfassung gesagt. Dabei bleibt es. Aber über Schwerin entscheidet die PDS in Mecklenburg-Vorpommern. Da muss der Parteivorstand zwar beratend zur Seite stehen, aber die Entscheidung fällt der Landesverband.

Das Gespräch führte Lutz Herden


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