Wir haben es so gut hier

Chinesischer Abschied Unser Kolumnist Finn Mayer-Kuckuk ist zurück nach Berlin gezogen. Und freut sich
Ausgabe 09/2019
Ob der Moment seiner Rückkehr ähnlich romantisch aussah, wissen wir nicht. Gefreut hat sich unser Kolumnist trotzdem, dass er wieder in Berlin ist
Ob der Moment seiner Rückkehr ähnlich romantisch aussah, wissen wir nicht. Gefreut hat sich unser Kolumnist trotzdem, dass er wieder in Berlin ist

Foto: Manfred Siebinger/Imago

Ich bin wieder zu Hause. Preiswertes Essen? Günstige Massagen? Offene Läden am Sonntag? Das mag nett sein, doch tatsächlich fällt es mir schwer, etwas an China wirklich zu vermissen. Seit Jahreswechsel bin zurück und arbeite wieder in Berlin. Ich kann ohne Einschränkung sagen: Es ist großartig, wieder zu Hause zu sein. Meine zwölf Jahre als Korrespondent in Asien – zuerst in Tokio und dann in Beijing – möchte ich nicht missen, ich liebe Japan und China sehr. Aber sowohl privat als auch beruflich fühle ich mich durch die Rückkehr nach Deutschland einfach nur befreit.

Das hat in erster Linie mit den Arbeitsbedingungen für Journalisten zu tun. Was jetzt nach großer Politik klingt, doch es geht erst mal nur um den Alltag. In China kam ich mir all die Jahre vor wie ein Arzt, der durch eine Betonwand hindurch mit Greifarmen operieren muss. Ich kam nie wirklich an die Sache heran.

Selbst einfache Bürger hatten zunehmend Vorbehalte, mit mir als ausländischem Journalisten zu sprechen. Zu Recht, denn es konnte ja durchaus sein, dass ich sie durch meine Arbeit in Gefahr brachte. Staatliche Stellen mauerten eigentlich meist, ebenso wie Firmen und Akademiker.

Während ich vor Ort aus China berichtete und einen Artikel nach dem anderen schrieb, machte mir das gar nicht so viel aus: Ich wusste ja, worauf ich mich eingelassen hatte und musste halt irgendwie damit leben. Doch jetzt merke ich, was mir fehlte. In Deutschland kann ich eine beliebige Organisation einfach anrufen und erhalte fast sofort eine Auskunft. Mein neues Büro liegt im Haus der Bundespressekonferenz. Die Regierung steht uns hier täglich Rede und Antwort. Das fühlt sich absolut umwerfend an.

Klar, ich vermisse die Megastädte Tokio und Beijing. Aber was mich derweil begeistert, sind die lebhaften Debatten: Wie viele Flüchtlinge sollte Deutschland aufnehmen? Retten Grenzwerte für Dieselabgase Leben? Oder killen sie unsere Autoindustrie? Die Digitalisierung vorantreiben oder bremsen? Die Menschen in China diskutieren zwar gern, doch über die wirklich wichtigen Dinge sind ihnen keine Gespräche erlaubt. Welchen Kurs wollen wir für unser Land? Entwickelt sich unsere Gesellschaft in die richtige Richtung? Bei aller Redefreude umgehen viele Chinesen diese Themen so hartnäckig, dass ich irgendwann dachte, der Fehler liege bei mir selbst.

Viele Menschen in Deutschland wissen dagegen nicht, wie gut sie es haben. Wie wertvoll ihre Freiheit ist, wie groß ihr Wohlstand. Wie preiswert und sicher die Lebensmittel sind, wie sauber die Luft. Wie frei sich Minderheiten hier entfalten können, wie sehr Arbeitnehmer und Mieter geschützt sind. Viele scheinen diesen fast paradiesischen Zustand als selbstverständlich hinzunehmen.

Deutschland ist längst da, wo China hin will – und nur mit viel Glück hinkommen kann. Dennoch spüre ich in Deutschland erstaunlich viel Unzufriedenheit und Unsicherheit. Vielleicht – hoffentlich – ist allerdings das auch Antrieb, nicht stehenzubleiben, sondern das Erreichte weiterzuentwickeln.

Finn Mayer-Kuckuk, seit 2010 Korrespondent in Beijing, beschließt mit diesem Text seine Kolumne Chinesische Zeiten

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