Wir haben kein Mitleid

Gastbeitrag Die Autoren der Plattform Kombinat Fortschritt haben die Verbindung Nadja Drygallas zu einem Neo-Nazi öffentlich gemacht. Hier schreiben sie ihre Version der Geschichte

Es war uns klar, dass die Geschichte um die Beziehung von Nadja Drygalla, die wir Anfang August online stellten, Potenzial haben würde. Eine Olympionikin im Ruderachter, deren langjähriger Freund zu den führenden Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern gehört, NPD-Direktkandidat für die Landtagswahlen und obendrein Kameradschaftsführer in beider Heimatstadt Rostock ist – dies würde, anders als die meisten der Berichte, die wir auf unserer Internetseite kombinat-fortschritt.com veröffentlichen, die überregionalen Medien interessieren.

Kombinat Fortschritt gab es zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr. Das erste Mal war unsere Berichterstattung vom Fernsehen Ende Februar aufgegriffen worden, als die „Nationalen Sozialisten Rostock“ gegen eine von ihnen als „Döner-Kundgebung“ diffamierte Gedenkveranstaltung im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel mobilmachten. Acht Jahre zuvor war hier am 25. Februar 2004 Mehmet Turgut mit drei Kopfschüssen ermordert worden. Turgut war das vierte Opfer der Mordserie der rechtsterroristische Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“. An der Gedenkkundgebung nahmen etwa 120 Menschen teil. Wahrscheinlich wäre davon über die lokalen Medien hinaus kaum Notiz genommen worden, wenn nicht eine knapp 20-köpfige Gruppe von Rechtsextremen sie zu stürmen versucht hätte. Angeführt wurde der gewaltbereite Trupp von Michael Fischer, dem Lebensgefährten von Nadja Drygalla. Die Sendung Report Mainz verwendete die Bilder des vermummten und bewaffneten Mobs, die wir online gestellt hatten, als Einstieg für einen Beitrag über die kriminellen Neigungen und Gewaltaffinität der NPD.

Kombinat Fortschritt wird von einer Handvoll Personen betrieben, die den Kern der Redaktion ausmachen. Darüber hinaus arbeiten wir ad hoc mit weiteren Personen oder Gruppen zusammen, sofern bestimmte Anlässe eine journalistische Begleitung erstrebenswert machen. Außerdem nehmen wir Artikel entgegen, die uns über unser Kontaktformular, via Mail oder über informelle Bahnen erreichen. Zu Anfang ging es uns vor allem darum, über die Aktivitäten von Antifaschisten gegen den Landtagswahlkampf der NPD zu berichten. Das liegt nahe, denn die Redaktion betrachtet sich als ein Teil der linken Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Bevor unsere Seite an den Start ging, benutzte diese vor allem Indymedia als Kanal. Indymedia oder genauer: das Independent Media Centre ist ein Portal, das vor mehr als zehn Jahren in den USA entstanden ist. Es ist ein früher Vertreter dessen, was heute Web 2.0 genannt wird: Publizieren ist einfach, Partizipation erwünscht. Das bietet Gruppierungen, die in den Mainstream-Medien in der Regel kaum gehört werden, die Möglichkeit, ihre Themen öffentlich zu machen, „den anderen Teil“ der Geschichte zu erzählen.

Wunsch nach Anonymität

Wie so etwas konkret aussieht, zeigt ein Ereignis im Juli 2011. Die Kampagne „Wake Up, Stand Up – Keine Stimme den Nazis in MV“ führte unter anderem Stadtteilspaziergänge durch. Größere Gruppen von linksgerichteten Jugendlichen hatten sich verabredet, in verschiedenen Städten Flyer gegen die NPD zu verteilen. In Toitenwinkel wurden sie von drei Neonazis mit Pfefferspray angegriffen. In den Lokalmedien hieß es zunächst, Vermummte hätten Passanten gejagt. Erst nach Berichten auf Indymedia, die mit Fotos von dem Vorfall belegt wurden, änderte sich die Darstellung der Geschichte: Die vermeintlichen Passanten wurden nun auch in den lokalen Medien als angreifende Neonazis beschrieben.

Medienaktivismus von links gab es in Mecklenburg-Vorpommern also bereits vor dem Start von Kombinat Fortschritt. Er reduzierte sich jedoch darauf, Pressemitteilungen zu erstellen und gelegentlich Artikel auf Indymedia zu posten. Eine kontinuierliche, zentral koordinierte Berichterstattung gibt es erst seither – ebenso einen Ort, an dem grundsätzliche Fragen unseres Engagements diskutiert werden können. Diesen selbstgesteckten Anspruch können wir jedoch noch längst nicht einlösen. Für unsere Arbeit gibt es noch viele weiße Flecken, unsere Mittel reichen bei Weitem nicht aus, um mit unserer Berichterstattung tatsächlich das gesamte Bundesland abdecken zu können, denn natürlich werden wir nicht entlohnt, bekommen keine Spenden, sondern tun all dies nur in unserer Freizeit. Dazu kommt, dass die linke Szene zu den Medien ein ambivalentes Verhältnis hat: Auf der einen Seite steht die Einsicht, dass ohne öffentliche Aufmerksamkeit keine Politik möglich ist, auf der anderen der Wunsch nach Anonymität.

Dass wir bei unserer Medienarbeit nicht unter bürgerlichen Namen agieren, hat zwei Gründe. Zuerst geht es um den Schutz vor Angriffen von Neonazis. Hetze in den Kommentaren ist keine Seltenheit. Erst am Wochenende wurden Molotow-Cocktails gegen ein alternatives Haus in Rostock geworfen, gegen das in rechten Foren wie MupInfo oder NSRostock immer wieder Stimmung gemacht wurde. Das zeigt die konkrete Bedrohungssituation, aus der heraus wir agieren. Darüber hinaus geht es aber auch darum, dem Interesse staatlicher Sicherheitsorgane vorzubeugen, die nach der sogenannten „Extremismustheorie“, antifaschistische Aktivitäten zu kriminalisieren suchen.

Indem wir als eigenständiges Medium auftreten, stellen wir eine Gegenöffentlichkeit dar, wenn in den Mainstream-Medien falsch oder verzerrend berichtet wird. Mitteilungen der Polizei werden dort oft mangels eigener Augenzeugenschaft ungeprüft übernommen. Wenn unsere abweichende Darstellung überzeugend ist, wie im Fall Drygalla, wird sie Teil der großen Öffentlichkeit. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir trotz aller Parteilichkeit keine Propaganda betreiben können, wenn wir als ernsthafter und verlässlicher Akteur wahrgenommen werden wollen. Auch wenn unsere Redaktionssitzungen nicht öffentlich sind und wir nicht mit professionell arbeitenden Journalisten zu vergleichen sind, gibt dies unserer Arbeit ein gewisses Maß an Legitimität, auch nach Innen in die eigene Szene hinein.

Der Artikel über die Verbindungen von Nadja Drygalla zur gewaltsuchenden Neonazi-Szene in Mecklenburg-Vorpommern verschaffte unserer Seite binnen von drei Tagen 54.000 Besucher. Die breite Berichterstattung, die er nach sich zog, war jedoch nicht nur angenehm. Zur Liaison zwischen Drygalla und Fischer gab es im März 2011 erste Berichte aus dem antifaschistischen Spektrum. Zum September des gleichen Jahres löste Drygalla ihr Dienstverhältnis bei der Landespolizei auf, wo sie als Polizeianwärterin und in der Sportfördergruppe beschäftigt war. Ein Umstand, der Kombinat Fortschritt jedoch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels wie anderen Medien unbekannt war. An solchen Fehlern, die wir auf der Seite umgehend korrigiert haben, kann man unsere begrenzten Mittel zur journalistischen Recherche erkennen.

Verzögertes Echo

Für uns stand Michael Fischer im Fokus der Beobachtung, was bedeutete, seine Aktivitäten im Netz zu verfolgen. Dass er auf seinem Facebook-Profil „Fail Better Photography“, wo er Frauen im rechten Szenelook porträtierte, auch Fotos seiner Lebensgefährtin einstellte, war hinlänglich bekannt. In unseren Artikeln werden solche Informationen dann zusammengetragen. Dass dies im Fall von Nadja Drygalla erst nach dem Ausscheiden des Frauenachters geschah, war Zufall. Die Redaktion war in andere Projekte involviert, das Abschneiden von Drygalla in London interessierte uns nicht sonderlich. Anders als der Umstand, dass auch Fischer sich in England aufhielt. Das Echo auf den Artikel erfolgte dann mit einer gewissen Verzögerung.

Dabei reduzierte sich Berichterstattung relativ schnell auf die verharmlosende Formel „Drygalla mit NPD-Kandidat liiert“. Als sich die Ruderin vom rechtsextremen Gedankengut distanzierte, sprangen viele Journalisten und Politiker der jungen Frau zur Seite. So wurde darauf hingewiesen, sie habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, eine Verfolgung wegen ihres Freundes sei ein Fall von Gesinnungsschnüffelei oder gar Sippenhaft. Gerne bemüht wurde der Vergleich mit der DDR. Für uns zeigt sich hier doppelte Geschichtsvergessenheit: So unangenehm die Nachrichten für Frau Drygalla sein mögen, ging es uns nicht darum, einen Menschen durch geballte Anwendung aller staatlichen Exekutivmaßnahmen auf Linie zu bringen. Und auch der Begriff „Sippenhaft“, der in der NS-Zeit geprägt wurde, ist fehl am Platz. Im Fall von Nadja Drygalla ging es um den Entzug von Privilegien, nicht um die Aufkündigung ihrer bürgerlichen Rechte.

Wer nun einwendet, dass die Beziehungen zu einem Verfassungsfeind kein Kriterium für das Versagen staatlicher Zuschüsse sein darf, der sei an die so genannte Extremismusklausel erinnert. Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, werden genötigt, eine Erklärung zu unterschreiben, die eine Zusammenarbeit mit Extremisten ausschließt. Worunter die Linkspartei fallen könnte. Insofern ist es heuchlerisch, wenn sich Bundesinnenminister Friedrich (CSU) gegen „Gesinnungschnüffelei“ im Sport ausspricht, während diese in anderen Bereichen Praxis ist.

Auch muss man sich vor Augen halten, welche Folgen Toleranz gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut hat: Mecklenburg-Vorpommern ist das zweite Bundesland, in dem die NPD im Landtag sitzt. Rechts oder Nazi zu sein, ist, gerade bei jungen Erwachsenen, in einigen Gegenden die Regel, nicht die Ausnahme. In Umfragen sagen 20 Prozent der Wahlbevölkerung, die NPD sei eine ganz normale Partei. In diesem Klima auf rechtsextremistische Umtriebe hinzuweisen, bedeutet Nestbeschmutzer zu sein. Sei es in der idyllischen Dorfgemeinschaft oder im Sportverein.

Nadja Drygalla wusste, in welchem Umfeld sie auf Bildern posiert, sie wusste, dass ihr Freund, wenn er nicht sie fotografiert, seine politischen Feinde ablichtet, um ihnen zu drohen. Wir wurden in den vergangenen Tagen von konservativen Medien häufig gefragt, ob wir das Schicksal von Nadja Drygalla nicht bedauern, ob wir Fehler gemacht haben. Wir haben kein Mitleid mit Nadja Drygalla.

Kombinat Fortschritt publiziert im Netz unter kombinat-fortschritt.com

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